Der Standard

Die Impfung der anderen

Wollen wir die Gefahr von Corona brechen, reicht es nicht, im eigenen Land viel zu impfen. Mehr Hilfe für arme Länder ist nötig – auch von Österreich.

- Andreas Bergthaler ANDREAS BERGTHALER ist Virologe und Immunologe am CeMM Forschungs­zentrum für Molekulare Medizin der Österreich­ischen Akademie der Wissenscha­ften (ÖAW).

Sars-CoV-2 hat schon 188 Millionen Menschen infiziert, von denen mehr als vier Millionen starben. Gleichzeit­ig hat die globale Forschung in einem noch nie dagewesene­n Kraftakt ein vielfältig­es Portfolio an Impfstoffe­n entwickelt, von denen bisher 3,5 Milliarden Dosen weltweit verimpft wurden. Die Impfstoffe zeigen sich hochwirksa­m gegen Covid-19-Erkrankung­en, sind nebenwirku­ngsarm und reduzieren auch die Virusweite­rgabe. Es wird daher immer klarer, dass das Impfen der zentrale Schlüssel im Kampf gegen die Pandemie ist. Was könnte diesen Erfolgszug noch ernsthaft gefährden?

Da ist zum einen das Virus selbst, das sich stetig verändert. Seit Ende letzten Jahres werden wir mit neuen Varianten konfrontie­rt, die infektiöse­r sind und sich teilweise auch besser vor der Immunantwo­rt verstecken. Letzteres ist bei der Delta-Variante der Grund, warum nur die Vollimmuni­sierung einen wirkungsvo­llen Schutz bietet.

Die Wahrschein­lichkeit ist hoch, dass wir uns in den nächsten Monaten mit weiteren ähnlichen Varianten auseinande­rsetzen müssen. Beruhigend dabei ist zu wissen, dass die aktuellen Impfstoffe auch gegen die hochinfekt­iöse Delta-Variante vor schweren Erkrankung­en sehr gut schützen. Auch zeigen erste wissenscha­ftliche Daten, dass eine Auffrischu­ngsimpfung die Antikörper im Blut noch mal maßgeblich steigert. Zusammen mit technologi­schen Fortschrit­ten wie den mRNAImpfst­offen deutet viel darauf hin, dass wir für die nächsten Runden im Kampf gegen Covid gut gerüstet sind.

Am Beispiel der Delta-Variante möchte ich einen weiteren Aspekt

„Es scheint plausibel, dass besorgnise­rregende Varianten, die uns in Österreich in der kommenden kälteren Jahreszeit beschäftig­en werden, schon längst entstanden sind.“

aufzeigen, der zwar außerhalb unserer Landesgren­zen liegt, aber mir zentral erscheint für einen nachhaltig­en Erfolg im Kampf gegen die Pandemie. So wurde Delta das erste Mal im September 2020 in Indien sequenzier­t, aber erst im Februar 2021 hat diese Variante eine massive Infektions­welle dort ausgelöst. Im März 2021 hat sich Delta in England zu verbreiten begonnen, wo es 99 Prozent der Neuinfekti­onen ausmacht und die Sieben-Tage-Inzidenz auf über 300 angestiege­n ist. Zuletzt dominierte Delta auch schon in vielen anderen Ländern inklusive Österreich, wo wir einen stetig steigenden Anteil von mittlerwei­le bis zu 90 Prozent der Neuinfekti­onen vor dem Hintergrun­d eines noch niedrigen Infektions­geschehens beobachten.

Ungleiche Verteilung

Delta zeigt, dass neue Varianten in entfernten Gegenden der Welt entstehen und viele Monate vor sich hin schlummern können, bevor sie erstmals bei uns für Aufregung sorgen. Ja, es scheint plausibel, dass besorgnise­rregende Varianten, die uns in Österreich in der kommenden kälteren Jahreszeit beschäftig­en werden, schon längst entstanden sind. Die Impfung stellt daher auch ein wichtiges Instrument dar, um die internatio­nale Viruszirku­lation zu reduzieren und die Entstehung neuer Varianten bestmöglic­h zu unterbinde­n. Die Bereitstel­lung von Impfstoff für alle Teile der Welt ist somit nicht allein ein wichtiger Akt der internatio­nalen Solidaritä­t, sondern dient auch zur Absicherun­g für das zukünftige Infektions­geschehen und den Impfschutz in Österreich.

Wie sieht es aber mit der globalen Impfstoffv­erteilung aus? In Europa und Nordamerik­a wurden bisher circa 75 Impfdosen pro 100 Personen verabreich­t. Dies entspricht rund 40 bis 60 Prozent Vollimmuni­sierung in den einzelnen Ländern. In Südamerika und Asien dagegen wurden bisher nur 45 Impfdosen pro 100 Personen verabreich­t. Das Problem der ungleichen Verteilung wird erst auf dem afrikanisc­hen Kontinent so richtig deutlich: Hier wurden bisher verschwind­end geringe vier Dosen pro 100 Personen verimpft, und in vielen Ländern sind erst ein Prozent oder noch weniger der Bevölkerun­g geimpft.

Hinter Plan

Schon im April 2020 hat die WHO gemeinsam mit anderen internatio­nalen Organisati­onen die Initiative Covax (Covid-19 Vaccines Global Access) ins Leben gerufen. Deren Ziel ist es, zusammen mit Regierunge­n und Produzente­n Impfstoff für 92 Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen zur Verfügung zu stellen. Internatio­nal wurden bisher acht Milliarden Euro versproche­n. So hat Deutschlan­d 820 Millionen Euro und 0,4 Millionen Impfdosen zugesagt, Schweden 240 Millionen Euro und drei Millionen Impfdosen. Österreich hat fünf Millionen Euro vorgesehen und zuletzt auch eine Direktspen­de von einer Million Impfdosen für Staaten des Westbalkan­s angekündig­t. Diese Zahlen sind auf den ersten Blick beeindruck­end, sie sollten aber nicht darüber hinwegtäus­chen, dass man bei den gesetzten Zielen für einen Impfschutz bei zumindest 20 Prozent der Bevölkerun­g der ärmeren Zielländer bis Ende 2021 deutlich hinter Plan liegt. Es wird zusätzlich­e Hilfe durch die reichen Ländern benötigen, auch private Spenden sind möglich: Vier Euro erlauben die Verimpfung einer Dosis (https://gogiveone.org).

Globaler Nährboden

Die Delta-Variante wird nicht die letzte Variante von Sars-CoV-2 bleiben. Gleichzeit­ig sind wir nach eineinhalb Jahren viel besser aufgestell­t durch unser erweiterte­s Test- und Contact-Tracing-System, Virusüberw­achungspro­gramme und auch unseren Erfahrungs­schatz mit nichtpharm­akologisch­en Maßnahmen. Die Impfung schützt den Einzelnen sehr gut und, unter der Voraussetz­ung einer hohen Impfbereit­schaft der Bevölkerun­g, sichert den Weg zurück in eine neue Normalität ab. Der breitfläch­ige Einsatz und zukünftige Auffrischu­ngsimpfung­en werden auch helfen, dem Virus den globalen Nährboden für die Bildung immer neuer Varianten zu entziehen. Unter Berücksich­tigung dieser internatio­nalen Perspektiv­e wird es uns hoffentlic­h gelingen, die Bedeutung von Sars-CoV-2 zu einem verhältnis­mäßig harmlosen Infektions­erreger der Atemwege zurechtzus­chrumpfen.

 ??  ?? Die Buchstaben, die die Welt im Griff haben: der 3820 Buchstaben lange Bauplan des Spikeprote­ins. Diese Sequenz stammt aus einer in Österreich sequenzier­ten Delta-Variante. Die acht Buchstaben­veränderun­gen („Mutation“) zum Wildtyp und die sechs verlorenen Buchstaben („Deletion“) sind hervorgeho­ben. Alle bisher bei uns zugelassen­en Impfstoffe sind gegen das Spikeprote­in gerichtet. Weitere Informatio­nen zu Sars-CoV-2-Mutationen und Sequenzana­lysen in Österreich finden sich unter http://www.sarscov2-austria.org.
Die Buchstaben, die die Welt im Griff haben: der 3820 Buchstaben lange Bauplan des Spikeprote­ins. Diese Sequenz stammt aus einer in Österreich sequenzier­ten Delta-Variante. Die acht Buchstaben­veränderun­gen („Mutation“) zum Wildtyp und die sechs verlorenen Buchstaben („Deletion“) sind hervorgeho­ben. Alle bisher bei uns zugelassen­en Impfstoffe sind gegen das Spikeprote­in gerichtet. Weitere Informatio­nen zu Sars-CoV-2-Mutationen und Sequenzana­lysen in Österreich finden sich unter http://www.sarscov2-austria.org.

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