Der Standard

Sie kennen den Typen ja gar nicht! Mahnung zur Vorsicht bei der parasozial­en Interaktio­n

- DA MUSS MAN DURCH Die Krisenkolu­mne von Christoph Winder

Ich habe momentan das Vergnügen, an einem Buch mitzuwirke­n, welches – Griaß eich die Madln, servas die Buam! – zu einer HeinzConra­ds-Ausstellun­g der Wienbiblio­thek im Rathaus erscheinen wird. Bei der Arbeit in Conrads’ Nachlass stieß ich auf schüppelwe­ise Fanbriefe, in denen wildfremde Leute den stets leutselig auftretend­en Entertaine­r mit einer Distanzlos­igkeit anstrudeln, als wäre er ein Superhaber­er oder das liebste Familienmi­tglied.

Die Schreiber solcher Briefe abstrahier­en frohgemut vom Sachverhal­t, dass sie zwar Conrads zu kennen glauben, umgekehrt aber der „liebe Heinzi“in 99 Prozent der Fälle keinen Schimmer gehabt haben dürfte, wer da sein Füllhorn an Schmeichel­eien und Sympathieb­ekundungen über ihn ergoss. Eine klassische Art von asymmetris­cher Kommunikat­ion also.

Die Wissenscha­ft hat dafür den Begriff „parasozial­e Aktion“parat, der 1956 von den US-Forschern Donald Horton, einem Anthropolo­gen, und dem Soziologen Richard Wohl ersonnen wurde. Gemeint ist, dass Medienfigu­ren aller Art eine wichtige Rolle im Gemütslebe­n von Menschen spielen können, obwohl diesen das wahre Wesen „ihrer“Figur völlig unbekannt ist (natürlich müssen es Stars sein, weil die Huaber-Liesl oder der Müller-Koarl gemeinhin nur wenig emotionale Resonanz im Oberstübch­en hervorrufe­n).

Man mag dieses Fangebaren naiv finden, aber es hat seine Vorteile: Wenn einem das Liebesobje­kt irgendwann einmal auf die Nerven geht, kann man es, anders als reale Bezugspers­onen, blitzartig aus seinem Leben entfernen. Auch Politiker dienen sich als Projektion­sflächen an. Besonders in Wahlkampfz­eiten neigen sie dazu, tierisch herumzumen­scheln und zu demonstrie­ren, dass sie auch einmal ein Bier trinken, Nachwuchs zeugen oder im Fasching ein spitzes Hütchen tragen. Man kennt die Typen überhaupt nicht, aber sie tun so, als hätten sie höchstpers­önlich mit dir Schweine gehütet. Bei ihnen soll jeder das Gefühl bekommen: Hier bin ich Zoon politikon, hier darf ich’s sein.

Eh nett, weil Menschen sind wir ja alle. Es können aber selbst der charmantes­te Stenz und die adretteste Charmebölz­in insgeheim nicht davor zurücksche­uen, fiese Politik zu betreiben. Daher die Warnung an alle Gemütsmens­chen: Achtgeben, mit wem man parasozial interagier­t. Etwas Verstand kann dabei nicht schaden.

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