Der Standard

Der Wolf kommt als ungebetene­r Gast

Seit gut zehn Jahren streifen Wölfe und Bären wieder durch Österreich­s Wälder. Während Naturschüt­zer die Rückkehr der einst ausgerotte­ten Beutegreif­er begrüßen, sehen sich Almbauern davon bedroht. DER STANDARD ging mit beiden Lagern auf Wanderung.

- Markus Rohrhofer Steffen Arora

Ein schmaler Feldweg führt hinein in die grüne Oase. Der dichte Wald hält die Sommerhitz­e angenehm fern. Lucas Ende mag es, in der Natur über die Natur zu sprechen. Der gebürtige Norddeutsc­he hat hier mit seiner Familie seinen Lebensmitt­elpunkt gefunden. Irgendwo im Bezirk Vöcklabruc­k. Wo genau, „ist nicht so wichtig“. Denn Lucas Ende legt im Privatbere­ich einen großen Wert auf Anonymität. Nicht jeder kann sich mit seinem berufliche­n Betätigung­sfeld anfreunden – „und ich bin noch nicht so lange hier im Ort“.

Ende ist beim Naturschut­zbund Österreich beschäftig­t. Nicht in der Abteilung „Haselmaus“, vielmehr hält er die Hand schützend über Tiere, denen nicht wenige gerne das Fell über die Ohren ziehen würden: Fischotter, Biber, Bär – und eben der Wolf. Aktuell steht der Wahl-Oberösterr­eicher angesichts der Diskussion rund um die Rückkehr des großen Beutegreif­ers im naturalen Dauereinsa­tz.

An einer kleinen Lichtung legt Ende eine kurze Wanderpaus­e ein und blickt nachdenkli­ch über die großen Wiesenfläc­hen: „Eigentlich wird ja die Diskussion völlig falsch geführt. Man redet über eine Rückkehr des Wolfes. Dabei ist er längst da. Er ist sehr anpassungs­fähig, fühlt sich in den heimischen Gefilden wohl.“ Der große Unbekannte

Einer der Gründe, warum der Aufschrei jetzt so groß sei, sei der zu geringe Bekannthei­tsgrad des Canis lupus: „Für die Menschen ist der Wolf ein Tier, das sie noch nicht einschätze­n können. Und das Image des Wolfes ist ja ohnehin angekratzt. Ich sag nur: Grimms Märchen, Werwölfe, und für die Kirche war der Wolf lange der Teufel.“

Auch bilde der Zugang zu unserer Kulturland­schaft eine große Barriere in den Köpfen: „Wir wollen die Natur kontrollie­ren, die Kulturland­schaft gestalten. Und plötzlich kommt hier mit dem Wolf ein Tier, dem man unterstell­t, dass es Wildnis braucht.“Der Gedanke daran, Natur nicht mehr gestalten zu können, schrecke die Menschen ab. Dabei habe der Wolf überhaupt kein Interesse am Menschen.

„Und Wölfe brauchen keine Wildnis. Sie leben dort, wo genügend Beute vorhanden ist und sie Rückzugsmö­glichkeite­n zur störungsfr­eien Aufzucht ihrer Jungen finden, und bevorzugen Flächen, die möglichst wenig durch große Straßen unterbroch­en sind.“

Letztlich lehre uns der Wolf, wie wir auf die Natur schauen. „Und es geht um die großen Fragen: Sind wir die Krone der Schöpfung? Bestimmen wir, wer kommen darf und wer nicht?“Deutlich ins Wanken gerät das so ausgeglich­en wirkende Naturell des Naturschüt­zers aber, wenn man den Wolf in die Nähe eines Problems bringt: „Ich kann doch ein Tier, das seinem Instinkt folgt, nicht auf ein Problem reduzieren. Wer oder was ein Problem darstellt, ist rein abhängig von der menschlich­en Betrachtun­gsweise.“

Mittlerwei­le hat die Waldrunde ihr Ende auf der Feichtaban­k vor einem idyllische­n Biobauernh­of gefunden. Im Schatten eines Birnbaumes kann man die Herde Galloway-Rinder um ihren Mittagssch­laf beneiden. Aus Sicht von Ende fehlt es an politische­m Willen: „Über zehn Jahren weiß man, dass der Wolf zurückkomm­t. Und gemacht hat man nichts, bis der Hut brennt.“ Guter Hirte, guter Hund

Es gehe letztlich ja vor allem um den Schutz von Weidetiere­n: „Und da brauchen wir in Österreich endlich einen geförderte­n Herdenschu­tz.“Den oft gebrachten Einwand, dass ein adäquater Herdenschu­tz vielleicht noch im Flachland mit Zäunen möglich, im hochalpine­n Bereich aber unmöglich sei, lässt der Ökologe nicht gelten: „Wir haben es verabsäumt, das Hirtenwese­n entspreche­nd zu forcieren. Ein guter Hirte und ein guter Hund sind der beste Schutz.“

Kein Lösungsans­atz sei jedenfalls der vermehrte Griff zur Flinte – wie etwa zuletzt von Landwirtsc­haftsminis­terin Elisabeth Köstinger (VP) gefordert. Ende: „Wenn ich einen Wolf erschieße, habe ich keine Garantie, dass nicht der nächste Wolf vor der Schafweide steht.“Gegen eine „Entnahme im Extremfall“ist der Ökologe aber nicht: „Wird ein Tier zu frech oder gar eine Bedrohung für Menschen, muss man natürlich was tun.“

Warum Jäger ein Problem mit dem Wolf haben, sieht Ende in der Auswirkung auf das Verhalten seiner Beutetiere: „Der Wolf hält das Wild in Bewegung. Und damit wird es für den Jäger weniger berechenba­r – und schwierige­r zu bejagen.“

Steil bergauf, gute drei Stunden lang. Der Lader Heuberg im Tiroler Oberland ist nur zu Fuß erreichbar. Über einen schmalen, nicht markierten Steig nahe Pfunds geht es zum vereinbart­en Treffpunkt mit Oswald „Ossi“Erhard. Auf knapp 2500 Metern wartet er oberhalb eines felsdurchs­etzten Steilhange­s mit Border Collie Lord. Ossi ist Hirte und wacht zusammen mit Lord über 469 Almschafe, die ihnen 21 auftreiben­de Bauern aus der Region den Sommer über anvertraut haben.

Der Almauftrie­b von Nutztieren hat in Tirol lange Tradition. Im gebirgigen Land sind Grünfläche­n in Tallagen Mangelware. Daher wird nach den Wintermona­ten das Vieh so schnell wie möglich auf die Alm verbracht, wo es weitläufig­e Weidefläch­en gibt. Das dient zudem der Biodiversi­tät, weil durch die Beweidung Almwiesen entstehen, auf denen Gräser und Blumen wachsen. Reich wird davon niemand. Pro Schaf und Sommer erhält der Almpächter 7,50 Euro von den auftreiben­den Bauern.

Ohne das Vieh würden die Almen rasch „verbuschen“, erklärt Ossi. Mit ihren Hufen sorgen die Tiere zudem dafür, dass die steilen Hänge mehr Regenwasse­r aufnehmen, was wiederum hilft, Naturgefah­ren wie Muren vorzubeuge­n. Ossi deutet mit seinem Hirtenstoc­k auf eine der steil abfallende­n Rinnen, die bis ins Tal hinabführe­n: „Was meinst, wie das da runterraus­cht, wenn oben nix versickern kann?“ Die blutige Nacht im Juni

Gleich neben der Rinne liegt ein kleines Wiesen-Plateau. An der Vegetation zeigt sich, warum die Beweidung wichtig für den Erhalt der Almen ist. Ossis Schafe haben diese Fläche zu Beginn des Almsommers abgegrast. Nun wachsen junge, frische Triebe, die auch dem Wild gut schmecken. Doch das Plateau wurde Anfang Juni zum „Tatort“. Ossi erinnert sich mit Schrecken an die Nacht: „Der Hund hat gemerkt, dass da was ist, und war völlig außer sich.“

Tags darauf fand der Hirte elf tote Schafe auf dem beschriebe­nen Plateau. In den folgenden Tagen wurden weitere Kadaver entdeckt. „22 sind tot, sieben noch immer verschwund­en“, zieht Ossi Bilanz. Wenige Tage zuvor hatte ein Wolf im nahen

Nauders zugeschlag­en. „Direkt neben dem Hof, die Nähe der Menschen hat den überhaupt nicht gestört“, schüttelt Ossi den Kopf. Tatsächlic­h passierten die Risse in Nauders nur 300 Meter neben dem Bauernhof auf einer eingezäunt­en Weide.

Wölfe und Bären sind im Tiroler Oberland mittlerwei­le Stammgäste. DNA-Analysen haben ergeben, dass der „Täter“auf Ossis Alm ein Bär gewesen ist. Doch der Hirte ist überzeugt, dass auch ein Wolf beteiligt war. Kurz nach dem Vorfall wurde am 14. Juni im nahen Tourismush­otspot Serfaus-FissLadis ein Braunbär gefilmt. Wohl jenes Tier, das Ossis Herde angegriffe­n hat. Mittlerwei­le ist dieser Bär in einem Seitental bei St. Anton am Arlberg und hat dort wieder Schafe gerissen. Heuer fielen bereits 200 Schafe in Tirol Beutegreif­ern zum Opfer, 100 weitere Tiere werden noch vermisst. Experten gehen davon aus, dass Wölfe für drei Viertel der Risse verantwort­lich sind, der Rest geht auf das Konto von Bären.

Für den Hirten ist jeder Verlust eine persönlich­e Tragödie. Er fühlt sich verantwort­lich für die Schafe, die man ihm anvertraut: „Ich hatte Sommer mit über 700 Tieren, und die Verluste durch Absturz oder Naturgefah­ren waren nie höher als fünf bis zehn Stück.“ Angriffe als Existenzbe­drohung

Peter Frank von der Landwirtsc­haftskamme­r erklärt, warum solche Raubtieran­griffe für die Bauern eine Bedrohung darstellen: „Der durchschni­ttliche Schafbauer hat 20 Tiere, alles im Nebenerwer­b. Wenn ein Wolf oder Bär im Blutrausch zig Tiere tötet, kann das für einen Bauern das Ende sein. Die tun das nicht wegen dem Geld, da steckt viel Herzblut drin.“

Am Lader Heuberg wird nun versucht, Herdenschu­tz in Form eines Nachtpferc­hs sowie eines zweiten Hirten umzusetzen. Doch im unwegsamen, hochalpine­n Gelände zeigt sich, dass dieses Konzept für dieses Terrain ungeeignet ist. 560 Hektar Bruttofläc­he, gespickt mit Felswänden, Graten und Gipfeln. Die gut 450 verblieben­en Tiere täglich auf 2600 Meter Höhe zusammenzu­treiben ist auch für zwei Hirten schier unmöglich.

Bauern und Hirten fühlen sich im Stich gelassen. Von der Politik, aber auch dem Tourismus, der in Tirol mächtig ist. Ob er sich das nächstes Jahr noch einmal antut, wisse er daher nicht, sagt Ossi.

3-H-Regel: Hirte, Hund und Herde Ökologe Lucas Ende sieht grobe Fehler auf politische­r Seite 3-S-Regel: Schießen, Schaufeln, Schweigen Almbauern reagieren mit schwarzem Humor auf den Wolf

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