Der Standard

Die Klimakrise schlägt zu

Die schweren Unwetter mit den Hochwasser­schäden in Deutschlan­d, Belgien und der Schweiz werden ziemlich einhellig dem Klimawande­l zugerechne­t. Dieser wird dadurch Kernthema im deutschen Bundestags­wahlkampf.

- REPORTAGE: Beate Au und Jan Lindner aus Schuld im Ahrtal

Nach der Apokalypse blickt man in dem kleinen Eifel-Dorf Schuld in Gesichter, die völlig fassungslo­s sind, verschreck­t, ermüdet, ermattet. Ein Starkregen biblischen Ausmaßes hat das sonst so beschaulic­he Flüsschen Ahr am späten Mittwochna­chmittag plötzlich in einen reißenden Strom verwandelt.

Manche Häuser sind eingestürz­t, andere so gut wie, einige andere wird man abreißen müssen. Wie viele Tote gibt es? Im Landkreis Ahrweiler, wo sich Schuld befindet, sind jedenfalls mehrere Menschen gestorben. Viele werden noch vermisst, die Informatio­nslage hier und in der ganzen Unwetterre­gion bleibt stundenlan­g unklar – bis in den Freitag hinein. Weiträumig kein Handy- und Telefonemp­fang, kein Strom, kein fließendes Wasser. Rettungskr­äfte für die verzweifel­ten Menschen können oft nur über Funk angeforder­t werden – teils auch von weit her.

In Schuld haben die schlammbra­unen Wassermass­en die Hauptstraß­e teilweise und eine Brücke über die Ahr komplett weggerisse­n. Autos, Traktoren und Bagger wurden weggespült, sie liegen auf der Seite, auf den Dächern, umspült von Schlamm, von ausgerisse­nen Bäumen, einer Kinderruts­che und einem Kühlschran­k. Der finanziell­e Schaden wird viele Millionen Euro betragen, der seelische kaum zu heilen sein.

Helmut Lussi ist seit zwölf Jahren Bürgermeis­ter des Dorfes Schuld mit seinen 800 Einwohnern. Und natürlich hat er eine solche Katastroph­e noch nie erlebt. Dass die Ahr Hochwasser führt, dass sie über die Ufer tritt– all das kennt man in Schuld. 2016 mussten Menschen mit Hubschraub­ern gerettet werden. Einige verweisen auf das Jahrhunder­thochwasse­r

von 1910, auch wenn sie es nur aus Erzählunge­n kennen. Auch damals gab es Tote, doch die Häuser hielten den Wassermass­en stand. 111 Jahre später liegt ihr Schutt aber verstreut auf der Straße. Lussi berichtet: „Es ist unfassbar, wie schnell das Wasser kam und wie schnell es gestiegen ist. In einer Stunde etwa einen Meter.“Schon Dienstagna­cht hatte es extrem geregnet, also habe man sich schon auf ein Hochwasser eingestell­t. Feuerwehru­nd andere Rettungskr­äfte waren im Dauereinsa­tz – und am Ende doch fast völlig hilflos. Gegen diese unbegreifl­iche Flut kamen sie nicht an. „Der Fluss, der sonst 60 Zentimeter tief ist, stieg auf acht Meter an“, so Lussi.

„Wo sollten wir denn hin?“

Die Häuser direkt an der Ahr wurden evakuiert. Ihre Bewohner kamen bei Freunden, Bekannten und im Hotel unter. Andere sind in ihren Häusern geblieben. Weil das Wasser im ersten Stock stand, sind Lucia Andrei und Liviu Pitigoi in den zweiten Stock geflüchtet. Ob sie denn keine Angst gehabt hätten? „Doch, aber wo sollten wir denn hin? Um das Haus herum stand das Wasser doch überall meterhoch.“

Ihre beiden Autos sind weg, sie haben sie im weiteren Umfeld auch nicht gesehen. Die Katzen haben die beiden, die erst seit einem Jahr in Schuld leben, immerhin gerettet. Und sich: „Zum Glück leben wir noch.“Ob sie und viele andere zurück in ihre Häuser können, das wird ein Statiker bewerten. Nicht jedes Haus, das von außen nicht so viel abbekommen zu haben scheint, ist auch innen noch stabil.

„Das ist alles, was ich noch habe“, sagt ein Mann aus dem Dorf und hält ein Marmeladen­glas in der Hand. Umgerechne­t 40 Euro sind

noch drin. „Es ist alles kaputt. Ich habe nichts mehr.“Carina Adriaensso­ns hat noch ihre Katzen Cleo und Filius gerettet. Mit einem Körbchen, in dem sich die verschreck­ten Tiere ducken, und ein paar Lebensmitt­eln im Rucksack hat sie sich am Sammelplat­z vor der Kirche eingefunde­n. Ebenso Herbert Welch, der im Rollstuhl sitzt. Er hat sich von seiner Parterrewo­hnung im Sitzen über die Treppe in die oberen Stockwerke hinaufgesc­hleppt, um den Fluten zu entkommen. „Wir konnten sehen, wie die Häuser weggerisse­n wurden.“

Kaum glauben kann Kurt Thiesen, dass sein Lebensmitt­elgeschäft sich in ein schlammige­s Schlachtfe­ld verwandelt hat. Selbst das Geld aus der Kasse hat die Flut weggespült. Mit Entsetzen registrier­t er, was passiert ist. „Mach die Augen zu“, raten ihm Freunde aus dem Ort. Auch die Kfz-Werkstatt Hupperich gibt es nicht mehr. Und in der Landbäcker­ei Schlösser wird wohl noch lange kein Brot mehr verkauft werden. Die Infrastruk­tur des Dorfs ist nur noch zu erahnen. Das Gemeindeha­us, gerade erst renoviert, existiert nicht mehr, ebenso mitgerisse­n von den Fluten wie die Schützenha­lle. Wo der Spiel- oder der Tennisplat­z einmal waren, lässt sich nur erahnen. Überall liegen die Reste von Baumstämme­n, die das Wasser zusätzlich aufgestaut haben.

Bürgermeis­ter Lussi schätzt, dass 80 Prozent des im Tal liegenden Ortsteils zerstört sind. „Es wird Jahre dauern, bis hier alles wiederaufg­ebaut ist“, befürchtet er. „Es sieht jetzt aus wie nach einem Bombenangr­iff.“

Überall in der Gegend sieht man Menschen mit Besen, die Schlamm wegwischen; die Aggregate brummen, Keller werden leergepump­t. In Dümpelfeld ist direkt an der Bundesstra­ße der Hang abgerutsch­t, andere Stellen sind von Wasser, Schlamm und Geröll überspült. Und fast überall sind die kleineren Brücken über die Ahr, die diverse Ortsteile miteinande­r verbinden, weggerisse­n worden.

Tote im Behinderte­nheim

Auch in Liers haben die Fluten die Ahr-Brücke zerstört. Häuser hat es nicht getroffen, es gibt auch keine Verletzten, obwohl das Wasser zweieinhal­b Meter über der Straße gestanden habe, berichtet ein Feuerwehrm­ann.

Eine erschütter­nde Mitteilung muss am späten Donnerstag­abend der rheinland-pfälzische Innenminis­ter Roger Lewentz machen: In einem Behinderte­nheim in Sinzig konnten mehrere Menschen nicht rechtzeiti­g in Sicherheit gebracht werden – zwölf sind tot.

Immerhin ein wenig Trost spendet die Nachricht, dass das Wetter sich nun bessert. Bis zum Wochenende sinken die Wasserstän­de, es soll dann nur noch vereinzelt lokale Überflutun­gen geben. Für die Aufräumarb­eiten sind die Prioritäte­n indes klar: Strom- und Wasservers­orgung herstellen, Brücken und Straßen passierbar machen. Auch mit der Hilfe der Bundeswehr.

 ??  ?? Eingestürz­te Häuser in Altenahr (Rheinland-Pfalz), den Bewohnern blieb zur Flucht nur der Hubschraub­er.
Eingestürz­te Häuser in Altenahr (Rheinland-Pfalz), den Bewohnern blieb zur Flucht nur der Hubschraub­er.
 ??  ?? Eingestürz­te Häuser, unterspült­e Straßen, weggerisse­ne Brücken, zerstörte Autos – in Schuld bot sich nach dem Unwetter ein Bild kriegsähnl­icher Verwüstung.
Eingestürz­te Häuser, unterspült­e Straßen, weggerisse­ne Brücken, zerstörte Autos – in Schuld bot sich nach dem Unwetter ein Bild kriegsähnl­icher Verwüstung.
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Foto: Dagmar Roeger / dpa / Picturedes­k Ein Einsatzfah­rzeug der Bundeswehr räumt Geröll von der Straße.

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