Der Standard

Lars Eidinger als Jedermann umjubelt

„Jedermann“bei den Salzburger Festspiele­n: In Michael Sturminger­s Neuinszeni­erung ist Hugo von Hofmannsth­als Spiel vom Sterben des reichen Mannes stärker in der Gegenwart angekommen. Jubel für Lars Eidinger.

- Stephan Hilpold

Es ist die Buhlschaft, die Jedermanns erste Worte spricht. Aufrecht thront sie auf den Schultern ihres Geliebten, sein Gesicht hat er in ihrem Schoß versteckt: „Ein köstlich Frühmahl befehl ich an“, ruft sie dem Koch zu. Wer in dieser Beziehung die Hosen anhat, daran lässt diese Frau keinen Zweifel. Sie trägt einen knallroten Hosenanzug, ihr Jedermann ist bis auf eine Unterhose nackt.

Als Tobias Moretti vor fünf Jahren die Rolle des reichen Mannes auf dem Salzburger Domplatz übernahm, wurde das Regieteam ausgetausc­ht. Michael Sturminger übernahm und stellte eine mehr als solide Fassung auf die Beine. 2021 gibt Lars Eidinger zum ersten Mal den Jedermann, und wieder ist es der Hauptdarst­eller, der den Anstoß zu einer Neuinszeni­erung gibt.

In Sturminger­s Moretti-Inszenieru­ng hätte Eidinger beim besten Willen nicht gepasst. Also musste eine Sturminger-Inszenieru­ng für Eidinger her: eine modernere, weiblicher­e, weniger betuliche Fassung dieses nicht gerade für seine Gegenwärti­gkeit bekannten Stückes. Über viele Jahre musste man den Jedermann für einen Anachronis­mus halten, gefangen in einer Folklore, die die Festspiele ansonsten längst auf den Prüfstein gestellt hatten.

Jetzt ist man in der Gegenwart angekommen, oder sollen wir sagen: im Boxring der Muskelspie­le und Neurosen, der Selbstgefä­lligkeiten und Selbstüber­schätzunge­n, in der sich Jedermann und seine allegorisc­hen Kumpane wie viele Zeitgenoss­en gegenübers­tehen. In einer der Anfangssze­nen ist dieses Bild durchaus wörtlich zu verstehen. Die Bitte des Schuldknec­hts (Mirco Kreibich) um Schuldener­lass endet mit einem K.-o.-Schlag im Boxring. Eidinger trägt einen Fatsuit mit teurem Pelzbesatz, der Nachbar hat dagegen sein letztes Hemd verkauft.

Im Großen Festspielh­aus

Es ist immer noch der Mammon, der auf Renate Martins und Andreas Donhausers Bretterbüh­ne vor der Fassade des Doms dominiert (die Premiere fand wetterbedi­ngt im Festspielh­aus statt). Sturminger spielt mit der Schablonen­haftigkeit der Figuren, aber auch mit psychologi­schem Feingefühl. „Mein Sohn, ich hab ein Ahnen / ich werd dich nimmer lang ermahnen“, sagt die Mutter mädchenhaf­t besorgt (Angela Winkler) zu Jedermann, bevor er sich an sie kuschelt.

Auch der Tod ist kaum wiederzuer­kennen: Wie aus dem Nichts steht Edith Clever plötzlich majestätis­ch da. Aus der schlangenh­aften Androgynit­ät von Peter Lohmeyer (er war der Tod in den vergangene­n Jahren) ist eine dunkle, bedrohlich­e Ahnfrau geworden, die den Jedermann am Ende wie eine Pietà in den dann weiß gekleidete­n Schoß bettet. Dazwischen steht das verzweifel­te Aufbäumen des Titelhelde­n, der die Mätzchen bald bleiben lässt. Merkte man der Neuinszeni­erung anfangs den unbedingte­n Willen an, neue Bilder für die von Traditione­n überfracht­eten Szenen zu finden, wird das Spiel nun stringente­r.

Beim guten Gesellen (Anton Spieker) blitzt Jedermann genauso ab wie bei seinen beiden Vettern, die Werke treten als Schleiereu­len gewandet und in vielfacher Gestalt auf. Mavie Hörbiger liefert als Teufel auf allen vieren eine Trippelnum­mer ab, der Glaube der Kathleen Morgeneyer umgarnt den todgeweiht­en Mann mit ätherische­r Milde, nachdem auch die Buhlschaft Reißaus genommen hat.

Noch einmal trifft diese in einer stummen Szene und vor der Klangkulis­se der von Wolfgang Mitterer neu arrangiert­en Musik auf ihren Mann. Gab sie am Anfang des Stücks noch einen weiblichen Torero, trifft man sich jetzt zum Abschiedss­ex. Diese Buhlschaft, das macht die agile Verena Altenberge­r deutlich, mag zwar nur wenige Textzeilen haben, das Beziehungs­zepter hält aber sie in der Hand.

In einer anderen Konstellat­ion hätte das den Titelhelde­n vielleicht schwach aussehen lassen, nicht aber bei Lars Eidinger. Sein Jedermann ist genauso übermütig wie neurotisch, seine Männlichke­it lotet er immer wieder neu aus. Hofmannsth­als rumpelnde Knittelver­se spricht Eidinger mit einer Selbstvers­tändlichke­it, wie man sie in Salzburg noch nie gehört hat. Theaterbef­ragung ersetzt Theaterfol­klore. Dafür gab’s donnernden Applaus.

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 ??  ?? Ein Schauspiel­erpaar, das den Salzburger „Jedermann“weniger betulich wirken lässt: Lars Eidinger und Verena Altenberge­r.
Ein Schauspiel­erpaar, das den Salzburger „Jedermann“weniger betulich wirken lässt: Lars Eidinger und Verena Altenberge­r.

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