Lars Eidinger als Jedermann umjubelt
„Jedermann“bei den Salzburger Festspielen: In Michael Sturmingers Neuinszenierung ist Hugo von Hofmannsthals Spiel vom Sterben des reichen Mannes stärker in der Gegenwart angekommen. Jubel für Lars Eidinger.
Es ist die Buhlschaft, die Jedermanns erste Worte spricht. Aufrecht thront sie auf den Schultern ihres Geliebten, sein Gesicht hat er in ihrem Schoß versteckt: „Ein köstlich Frühmahl befehl ich an“, ruft sie dem Koch zu. Wer in dieser Beziehung die Hosen anhat, daran lässt diese Frau keinen Zweifel. Sie trägt einen knallroten Hosenanzug, ihr Jedermann ist bis auf eine Unterhose nackt.
Als Tobias Moretti vor fünf Jahren die Rolle des reichen Mannes auf dem Salzburger Domplatz übernahm, wurde das Regieteam ausgetauscht. Michael Sturminger übernahm und stellte eine mehr als solide Fassung auf die Beine. 2021 gibt Lars Eidinger zum ersten Mal den Jedermann, und wieder ist es der Hauptdarsteller, der den Anstoß zu einer Neuinszenierung gibt.
In Sturmingers Moretti-Inszenierung hätte Eidinger beim besten Willen nicht gepasst. Also musste eine Sturminger-Inszenierung für Eidinger her: eine modernere, weiblichere, weniger betuliche Fassung dieses nicht gerade für seine Gegenwärtigkeit bekannten Stückes. Über viele Jahre musste man den Jedermann für einen Anachronismus halten, gefangen in einer Folklore, die die Festspiele ansonsten längst auf den Prüfstein gestellt hatten.
Jetzt ist man in der Gegenwart angekommen, oder sollen wir sagen: im Boxring der Muskelspiele und Neurosen, der Selbstgefälligkeiten und Selbstüberschätzungen, in der sich Jedermann und seine allegorischen Kumpane wie viele Zeitgenossen gegenüberstehen. In einer der Anfangsszenen ist dieses Bild durchaus wörtlich zu verstehen. Die Bitte des Schuldknechts (Mirco Kreibich) um Schuldenerlass endet mit einem K.-o.-Schlag im Boxring. Eidinger trägt einen Fatsuit mit teurem Pelzbesatz, der Nachbar hat dagegen sein letztes Hemd verkauft.
Im Großen Festspielhaus
Es ist immer noch der Mammon, der auf Renate Martins und Andreas Donhausers Bretterbühne vor der Fassade des Doms dominiert (die Premiere fand wetterbedingt im Festspielhaus statt). Sturminger spielt mit der Schablonenhaftigkeit der Figuren, aber auch mit psychologischem Feingefühl. „Mein Sohn, ich hab ein Ahnen / ich werd dich nimmer lang ermahnen“, sagt die Mutter mädchenhaft besorgt (Angela Winkler) zu Jedermann, bevor er sich an sie kuschelt.
Auch der Tod ist kaum wiederzuerkennen: Wie aus dem Nichts steht Edith Clever plötzlich majestätisch da. Aus der schlangenhaften Androgynität von Peter Lohmeyer (er war der Tod in den vergangenen Jahren) ist eine dunkle, bedrohliche Ahnfrau geworden, die den Jedermann am Ende wie eine Pietà in den dann weiß gekleideten Schoß bettet. Dazwischen steht das verzweifelte Aufbäumen des Titelhelden, der die Mätzchen bald bleiben lässt. Merkte man der Neuinszenierung anfangs den unbedingten Willen an, neue Bilder für die von Traditionen überfrachteten Szenen zu finden, wird das Spiel nun stringenter.
Beim guten Gesellen (Anton Spieker) blitzt Jedermann genauso ab wie bei seinen beiden Vettern, die Werke treten als Schleiereulen gewandet und in vielfacher Gestalt auf. Mavie Hörbiger liefert als Teufel auf allen vieren eine Trippelnummer ab, der Glaube der Kathleen Morgeneyer umgarnt den todgeweihten Mann mit ätherischer Milde, nachdem auch die Buhlschaft Reißaus genommen hat.
Noch einmal trifft diese in einer stummen Szene und vor der Klangkulisse der von Wolfgang Mitterer neu arrangierten Musik auf ihren Mann. Gab sie am Anfang des Stücks noch einen weiblichen Torero, trifft man sich jetzt zum Abschiedssex. Diese Buhlschaft, das macht die agile Verena Altenberger deutlich, mag zwar nur wenige Textzeilen haben, das Beziehungszepter hält aber sie in der Hand.
In einer anderen Konstellation hätte das den Titelhelden vielleicht schwach aussehen lassen, nicht aber bei Lars Eidinger. Sein Jedermann ist genauso übermütig wie neurotisch, seine Männlichkeit lotet er immer wieder neu aus. Hofmannsthals rumpelnde Knittelverse spricht Eidinger mit einer Selbstverständlichkeit, wie man sie in Salzburg noch nie gehört hat. Theaterbefragung ersetzt Theaterfolklore. Dafür gab’s donnernden Applaus.