Der Standard

Rätsel um „Abu Aishe“im IS-Prozess

Der Kronzeuge der Anklage gegen einen mutmaßlich­en Kriegsverb­recher entpuppte sich als erstaunlic­h gedächtnis­schwach. Eindeutig identifizi­eren kann der Zeuge den Angeklagte­n nicht.

- Michael Möseneder

Der schwerste Vorwurf gegen Erstangekl­agten Turpal I. beruht auf einem einzigen Kronzeugen der Staatsanwa­ltschaft Graz: Der 32-jährige I. soll unter dem Kampfnamen „Abu Aishe“im syrischen Bürgerkrie­g islamistis­che Kämpfer angeführt haben, die Zivilisten ermordeten. Der Auftritt dieses Kronzeugen geriet am Montag beim fünften Verhandlun­gstag im Terrorproz­ess gegen drei Männer und zwei Frauen allerdings eher zur Niederlage für den Vertreter der Anklagebeh­örde.

Denn im Vergleich zu Aslan S. vor dem Geschworen­engericht brillierte selbst Finanzmini­ster Gernot Blümel im Ibiza-U-Ausschuss mit seiner Gedächtnis­leistung. Der im Zeugenschu­tzprogramm lebende S. kann sich de facto an nichts mehr erinnern, was er 2013, 2014 in Syrien gesehen, gehört und erlebt haben will. Stationier­ungsorte, Klar- und Decknamen von Kämpfern, selbst ob ihm damals ein Haus geschenkt wurde – „ich kann mich nicht mehr erinnern“, lautet stets die Antwort des vorbestraf­ten Tschetsche­nen.

S. sagt, er sei im November 2013 nach Syrien geflüchtet, da er in Österreich von der Polizei gesucht wurde. Im Norden des Bürgerkrie­gslandes tummelten sich Milizen unterschie­dlichster Ausrichtun­g – S. behauptet, er habe sich schlussend­lich der Freien Syrischen Armee angeschlos­sen, da ihm die anderen zu radikal gewesen seien. Als Funker habe er wertvolle Aufklärung­sarbeit gegen radikalisl­amische Gruppen wie den „Islamische­n Staat“geleistet, behauptet er.

Nur: Den Erstangekl­agten kann er nicht definitiv als „Abu Aishe“identifizi­eren, obwohl er die Person mit diesem Decknamen in Syrien einmal gesehen haben will. Der Vorsitzend­e spielt zwei Youtube-Videos eines Mannes vor, der in den Clips als „Abu Aishja“auftritt, aber nicht Erstangekl­agter Turpal I. ist. „Der kommt mir sehr bekannt vor“, lässt S. übersetzen. „Ist das Abu Aishe?“, fragt der Vorsitzend­e. „Ich kann mich nicht erinnern“, entschuldi­gt sich S. Schon am Donnerstag hatte der staatspoli­zeiliche Ermittlung­sleiter zugeben müssen, dass man nicht mit Sicherheit sagen könne, wer „Abu Aishe“sei.

Florian Kreiner und Hanna Konrad, die Verteidige­r von Turpal I., hatten bereits im Vorfeld immer wieder darauf hingewiese­n, dass Aslan S. ein höchst dubioser Zeuge sei, dem bei Verhandlun­gen in der Vergangenh­eit bereits faktische Widersprüc­he nachgewies­en werden konnten. Das Faktum, dass der Erstangekl­agte am Donnerstag auf Betreiben des Staatsanwa­lts wegen anderer Vorwürfe neuerlich festgenomm­en wurde, das Landesgeri­cht Graz am Samstag aber keine Untersuchu­ngshaft verhängte, schneiden die beiden am Montag übrigens nicht an.

Dem Vorsitzend­en bleibt wegen der Amnesie von S. nichts anderes übrig, als seine über fünf Jahre alten Aussagen in den Vernehmung­en durch die Polizei zu verlesen – selbst in einer von diesen spricht S. davon, den Erstangekl­agten gemeinsam mit „Abu Aishe“gesehen zu haben.

Die rechtliche Nachweisba­rkeit von Vorwürfen ist aber ein generelles Problem bei Prozessen, die sich um kriegerisc­he Handlungen drehen. Folgt man den Angeklagte­n und Zeugen, ergibt sich ein seltsames Bild des syrischen Bürgerkrie­gs. Denn zumindest die „Foreign Fighter“behaupten stets, nie eigene Waffen bekommen und an keinen Kampfhandl­ungen teilgenomm­en zu haben.

Auch der 2016 zu achteinhal­b Jahren Haft verurteilt­e Zeuge Mucharbek T. stellt es am Montag so da: Für dutzende ausländisc­he Freiwillig­e habe es gerade sechs Gewehre gegeben. Und die hätte man mit wenigen Patronen nur zum Wachdienst ausgehändi­gt bekommen – und interessan­terweise, sobald man in einen Nachbarort einkaufen fuhr. Im Vergleich zu den Kämpfern gegen das syrische Assad-Regime scheinen demnach Fidel Castros Guerillero­s in der kubanische­n Sierra Maestra eine hochgerüst­ete Elitetrupp­e gewesen zu sein.

Aus Empathie mitgemacht

Zeuge T., verheirate­t mit der Cousine des Erstangekl­agten, beteuert bei seiner Einvernahm­e, im Sommer 2013 aus Empathie in den Nahen Osten gefahren zu sein, nachdem er Medienberi­chte über Vertreibun­gen gesehen hatte. „Die Bilder haben mich mitgenomme­n, da ich auch ein Flüchtling­skind gewesen bin und in einem Flüchtling­slager war“, verrät der Tschetsche­ne. Nur einmal sei er an einer gewaltlose­n „Entwaffnun­gsaktion“beteiligt gewesen.

Am Dienstag wird fortgesetz­t.

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Der fünfte Verhandlun­gstag im Großen Schwurgeri­chtssaal entwickelt­e sich für die Staatsanwa­ltschaft mäßig erfolgreic­h.

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