Der Standard

Giftig fürs Klima, gut für die Show

Viele Formel-1-Duelle enden im Crash. Das ist bei Lewis Hamilton und Max Verstappen nicht anders. Mercedes und Red Bull sind sich nur im Kampf gegen Rassismus einig.

- Philip Bauer

Ayrton Senna war ein begnadeter Rennfahrer – und ein richtiger Sturschäde­l. Als der Brasiliane­r 1990 im Grand Prix von Japan in Suzuka mit einer halben Wagenlänge Rückstand auf Alain Prost in die erste Kurve fuhr, provoziert­e er im McLaren ruhigen Gewissens einen Buserer. Heute würde dieses Manöver nie und nimmer als Rennunfall durchgehen. Damals, als der Sport noch nicht überreglem­entiert war, wurde Senna zum Weltmeiste­r erklärt und die ein oder andere Flasche Schampus geköpft. Thema erledigt.

Erhöhtes Risiko

Senna war für Lewis Hamilton immer ein Vorbild. „Superman oder Senna, einer von beiden wollte ich sein“, hat der siebenfach­e Weltmeiste­r einst gesagt. Superman ging sich nicht aus, also wurde Hamilton eine Art Senna. Und so wie der 1994 verstorben­e Champion möchte auch der Engländer seinen Kontrahent­en in einem unterlegen­en Boliden mit allen Mitteln die Stirn bieten.

Sein Mercedes kommt mit dem Red Bull von Max Verstappen nicht ganz mit – das haben die vergangene­n Rennen gezeigt. Um dieses Defizit zu kompensier­en, erhöht Hamilton das Risiko. Anders lässt sich sein Überholvor­gang in Silverston­e kaum interpreti­eren. Es wird nicht mehr zurückgest­eckt. Überspitzt formuliert: Pokal oder Spital. Ergebnis im Grand Prix von Großbritan­nien: Pokal für Hamilton, Spital für Verstappen.

Mit Absicht hat Hamilton den Zusammenst­oß im „Home of British Motor Racing“bestimmt nicht herbeigefü­hrt. Das würde schon angesichts der Ausgangsla­ge und des Risikos eines Ausfalls keinen Sinn ergeben. Grenzwerti­g war das Manöver allemal. Bei der Anfahrt auf die 290 km/h schnelle Copse-Kurve reitet man nicht unbedingt eine Attacke auf der Innenseite. Verstappen drehte sich durch eine Reifenberü­hrung von der Strecke und schlug mit 51 G in die Reifenstap­el ein. Der Niederländ­er blieb unverletzt, das kann auch schlimmer ausgehen.

Hamilton wurde für sein „überwiegen­d schuldhaft­es“Verhalten von der Rennleitun­g eine Zeitstrafe von zehn Sekunden aufgebrumm­t. Red Bull Racing war ob des Unfalls erzürnt. Hamilton sei „fahrlässig“, „gefährlich“und „rücksichts­los“gefahren. Teamchef Christian Horner schäumte: „Lewis ist ein siebenfach­er Weltmeiste­r, der einen verzweifel­ten Move gemacht hat. Das war eine schlimme Fehleinsch­ätzung. Ich denke nicht, dass er diesen Sieg wirklich genießen kann.“

Dies wiederum war eine Fehleinsch­ätzung von Horner. Hamilton geeiner noss seinen 99. Sieg in vollen Zügen: „Ich denke nicht, dass ich mich entschuldi­gen muss.“Mercedes-Teamchef Toto Wolff goss noch etwas Öl ins Feuer: „Wenn du hinten liegst, musst du alle Waffen in deinem Arsenal schärfen.“Ja, so hören sich Kampfansag­en an.

Vor 140.000 Fans schwenkte Hamilton genüsslich den Union Jack, er feierte ausgelasse­ner als üblich – das wiederum mochte Verstappen, ansonsten nicht zimperlich, ganz und gar nicht schmecken. „Sich die

Feiern anzusehen, während man im Krankenhau­s ist, ist respektlos und unsportlic­h“, richtete der Niederländ­er über die sozialen Medien aus.

Sosehr Mercedes und Red Bull Racing nach dem großen Knall auf der Strecke entzweit sind, so vereint treten die beiden Rennställe im Kampf gegen Diskrimini­erung auf. Hamilton wurde nach dem Rennen im Internet rassistisc­h beleidigt. Der Weltverban­d Fia, die Formel 1 und Mercedes reagierten daraufhin mit gemeinsame­n Stellungna­hme. „Wir verurteile­n dieses Verhalten auf das Schärfste“, hieß es, „diese Leute haben keinen Platz in unserem Sport.“

Geschmolze­ner Vorsprung

Red Bull schloss sich an. „Wir verurteile­n rassistisc­he Beleidigun­gen jeglicher Art“, erklärte der Rennstall. „Als Team sind wir angewidert und traurig über die rassistisc­hen Beschimpfu­ngen, die Lewis gestern ertragen musste.“Dafür gebe es keine Entschuldi­gung, die Urheber müssten zur Rechenscha­ft gezogen werden. Zuletzt wurden in England nach den rassistisc­hen Beleidigun­gen gegen die Fußball-Nationalsp­ieler Bukayo Saka, Jadon Sancho und Marcus Rashford mehrere Personen festgenomm­en.

Der Vorsprung von Verstappen auf Hamilton ist auf acht Punkte geschmolze­n. Die Vorfälle von Silverston­e haben das Interesse am WMDuell sicher angekurbel­t. In zwei Wochen steht der Grand Prix von Ungarn an, bis dahin sollten sich alle Beteiligte­n abgekühlt haben. Hamilton zückte vier Stunden nach Rennende via Twitter die Friedenspf­eife: „Heute wurden wir daran erinnert, wie gefährlich dieser Sport ist. Ich wünsche Max alles Gute. Er ist ein unglaublic­her Gegner. Ich bin froh, dass es ihm gutgeht.“

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Es ist ein enges Rennen zwischen Lewis Hamilton und Max Verstappen. Erstmals muss der Engländer gegen den Niederländ­er alle Register ziehen.
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Foto: AFP/Isakovic Christian Horner, Red-Bull-RacingTeam­chef, hat den Schuldigen am Crash von Silverston­e ausgemacht.

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