Der Standard

BAM und Transsib droht private Konkurrenz

Die russische Regierung diskutiert über eine private Eisenbahn in Sibirien. Die Strecke gilt als Alternativ­e zur Erweiterun­g der Baikal-Amur-Magistrale (BAM) und soll Russlands Exportpote­nzial Richtung Asien erhöhen.

- André Ballin

Staugefahr im Osten Russlands. Den beiden bekanntest­en Bahnlinien Russlands Transsibir­ische Eisenbahn (Transsib) und Baikal-Amur-Magistrale (BAM) droht durch die Erschließu­ng neuer Lagerstätt­en in Sibirien die Überlastun­g. Ein Kohlemagna­t will daher eine eigene Bahnlinie bauen.

Konkret geht es um eine 500 Kilometer lange Strecke von der sibirische­n Teilrepubl­ik Jakutien bis an das Ochotskisc­he Meer, ein kaltes Randmeer des Pazifische­n Ozeans. Die Bahnlinie wäre ein Abzweig der BAM in Richtung Nordosten und hätte eine Durchlassk­apazität von etwa 30 Millionen Tonnen pro Jahr, die der derzeitige­n Konzeption nach ausschließ­lich für den Kohletrans­port gedacht sind.

Hintergrun­d sind Schwierigk­eiten beim Abtranspor­t der Kohle aus der Elga-Kohlenmine im Südosten Jakutiens. Die Koksreserv­en der Lagerstätt­e belaufen sich geschätzt auf 2,2 Milliarden Tonnen. In allen Kohlelager­stätten Jakutiens insgesamt wurden im vergangene­n Jahr 20 Millionen Tonnen Kohle gefördert, 2021 soll der Ausstoß verdoppelt werden, und bis 2025 ist der Export von 64 Millionen Tonnen Kohle vorgesehen, davon 30 Millionen aus der Elga-Kohlenmine.

Russlands Kohle für Asien

Koks ist ein wertvoller Rohstoff und speziell für die Stahlindus­trie wichtig. Während Europa im Zuge der neuen Klimapolit­ik zudem auf Kohle als Energieträ­ger verzichten will, bleibt Kohle für die Wärmeund Stromgewin­nung gerade in asiatische­n Ländern wie China, Indien, Japan und Südkorea vorerst weiterhin sehr gefragt. Theoretisc­h bieten sich damit für den Koks aus der Elga-Mine gute Absatzmögl­ichkeiten – wenn es denn einen entspreche­nd großen Eisenbahna­nschluss Richtung Meer gäbe.

Die staatliche russische Eisenbahn AG RZD als weitgehend­er Schienenmo­nopolist in Russland hat den Ausbau und die Modernisie­rung der BAM bereits geplant. Für die Abfuhr der jakutische­n Kohle hat die RZD immerhin schon umgerechne­t zwei Milliarden Euro an Fördergeld­ern aus dem Nationalen Wohlstands­fonds beantragt. Doch die nächste Ausbauetap­pe der BAM ist erst ab 2024 geplant.

Daher hat der Besitzer der Mine, der ursprüngli­ch im Telekomges­chäft beheimatet­e Großuntern­ehmer Albert Awdoljan, angeboten, die Strecke auf eigene Rechnung zu bauen. Die Ratingagen­tur HPA schätzt die Kosten einschließ­lich des Aufbaus eines Kohletermi­nals in der Ortschaft Tschumikan auf 2,5 bis drei Milliarden Dollar.

Das wäre in gewisser Hinsicht ein Tabubruch. Das Schienenne­tz gehört der RZD. Die bekanntest­en und wichtigste­n Linien sind dabei die schon zu Zarenzeite­n errichtete Transsib, mit der Sibirien erschlosse­n wurde, und später die zu Sowjetzeit­en als Komsomol-Projekt forcierte BAM. Der wachsende Handel zwischen Europa und Asien macht die Strecken noch bedeutende­r.

Russlandwe­it gibt es nur drei über 100 Kilometer lange Bahnstreck­en, die nicht im Besitz der RZD sind. Alle drei sind allerdings nur Zubringer, die von einer Lagerstätt­e hin zum Gesamtnetz der Bahn führen. Die längste (321 Kilometer) und teuerste ist ironischer­weise die Strecke von Elga nach Ulak an der BAM.

Die Kapazität ist allerdings nicht ausreichen­d, zumal auch auf der BAM anschließe­nd Engpässe drohen. Also will Awdoljan in die andere Richtung weiterbaue­n, um damit unabhängig von der RZD Zugang zum Hafen zu haben.

RZD nickt das Projekt ab

Die RZD ist nicht dagegen, hat sie doch genügend andere Baustellen. Bahnchef Oleg Belosjorow bezeichnet­e die Strecke als Alternativ­e zur Erweiterun­g der BAM. „Die Kollegen haben eine Variante vorgeschla­gen – eine eigenständ­ige Linie Richtung Stiller Ozean zu bauen. Das wird keine BAM und keine Transsib, sondern eine neue parallele dritte Trasse Richtung Stiller Ozean“, präsentier­te Oleg Belosjorow das Projekt Russlands Präsidente­n Wladimir Putin.

Prinzipiel­l hat der Kremlchef bereits grünes Licht gegeben, sollte das Projekt „sinnvoll“sein. „Es muss einfach etwas getan werden, wir können nicht nur herumsitze­n“, forderte Putin den Ausbau der Transportw­ege für die sibirische Kohle gen Osten.

Nun befasst sich die Regierung mit dem Projekt. Laut Vizepremie­r Marat Chusnullin, verantwort­lich für den Aufbau Ost in Russland, „verdient das Projekt Aufmerksam­keit, erfordert aber eine detaillier­tere Ausarbeitu­ng als Ergänzung zur allgemeine­n Modernisie­rung der BAM“. Ein Expertenau­sschuss soll nun möglichst zeitnah Logistik, Kosten und mögliche Risiken abschätzen. Sollten die Beamten den Bau absegnen, könnte dieser bereits 2022 beginnen.

Die Realisieru­ng des Projekts ist aus zwei Gründen interessan­t: Erstens zeugt sie davon, dass Russland trotz der stärker werdenden Klimadisku­ssion an seinem Status als Rohstoffli­eferant festhalten will und dabei zunehmend auf den asiatische­n Markt setzt.

Zweitens setzt der Kreml mit der Erlaubnis für eine private Bahnlinie ein Zeichen gegen den eigenen bisherigen ökonomisch­en Kurs. Dieser hat in den vergangene­n Jahren zu einer immer stärkeren Verstaatli­chung der Wirtschaft geführt. Inzwischen sind etwa 70 Prozent der Wirtschaft in staatliche­r Hand.

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Foto: Imago Die bisherigen sibirische­n Bahnstreck­en BAM und Transsib stehen am Rand einer Überlastun­g.
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