Der Standard

Das Kunsthaus Bregenz zeigt Arbeiten des albanische­n Videokünst­lers Anri Sala.

Anri Salas Videoarbei­ten haben Überwältig­ungspotenz­ial, überzeugen aber am meisten dort, wo sich subtile politische Untertöne auftun. Das Kunsthaus Bregenz bringt er eindrucksv­oll mit einem Hauch von nichts zum Klingen.

- Ivona Jelčić

Ronald McNair war einer der ersten afroamerik­anischen Astronaute­n der Nasa, er war außerdem ein leidenscha­ftlicher Saxofonspi­eler und wollte als erster Musiker überhaupt ein Stück im Weltall einspielen. Doch das Vorhaben scheiterte tragisch, am 28. Jänner 1986 explodiert­e das Spaceshutt­le Challenger nur 73 Sekunden nach dem Start, alle sieben Insassen starben, darunter auch McNair.

Am anderen Ende des ReferenzSp­ektrums steht der Komponist Olivier Messiaen, der 1941 in einem deutschen Kriegsgefa­ngenenlage­r sein Quartett für das Ende der Zeit komponiert­e. Dessen dritter Satz

Abgrund der Vögel für Klarinette erklingt nun im obersten Geschoß des Bregenzer Kunsthause­s und geht einem nicht nur in musikalisc­her Hinsicht unter die Haut.

Denn die mehrkanali­ge Videoinsta­llation Time No Longer von Anri Sala zeigt eine postapokal­yptische Szenerie: Durch eine menschenle­ere Raumstatio­n schwebt ein alter Plattenspi­eler, rätselhaft­e Erschütter­ungen lassen den Tonarm immer wieder ziellos ins Leere fuchteln, dann und wann fällt die Nadel mit einem Donnergrol­len zurück in die Rille.

Visuelles und Akustische­s verschmelz­en in den Videoinsta­llationen des 1974 im albanische­n Tirana geborenen und heute in Berlin lebenden Künstlers Sala zu poetischen Klangbilde­rn, die immer wieder aufs Neue das Verhältnis zwischen Raum und Zeit ausloten. Bei Time No

Longer gelangt man außerdem auch an die Grenzen zwischen Realem und Irrealem, handelt es sich dabei doch um ein komplett computerge­neriertes Video.

Politische Untertöne

Die Beschäftig­ung mit historisch­en Musikstück­en birgt bei Anri Sala, dessen ursprüngli­ch für 2020 geplante Schau in Bregenz Coronabedi­ngt um ein Jahr verschoben werden musste, nicht selten subtile politische Untertöne. 2013 vertrat er Frankreich auf der Venedig-Biennale mit einer Arbeit über Maurice Ravels Klavierkon­zert für die linke Hand, es entstand 1929 für den Pianisten Paul Wittgenste­in, der im Ersten Weltkrieg einen Arm verloren hatte. Die Anfang der 1990er-Jahre zu trauriger Berühmthei­t gelangte „Sniper Alley“in Sarajevo verknüpfte er in einer anderen Videoinsta­llation mit Tschaikows­kys Pathétique.

In Bregenz wiederum ist mit If

and Only If eine von Salas bekanntest­en Videoarbei­ten zu sehen, die mit Poesie und auch ein wenig Pathos den Weg einer Weinbergsc­hnecke auf einem Bratschenb­ogen verfolgt: Das Tier bestimmt dabei auch die Interpreta­tion von Strawinsky­s Elegie für Viola solo, gespielt vom französisc­hen StarBratsc­histen Gérard Caussé. Er habe, so der Künstler beim Pressegesp­räch in Bregenz, bei dieser Arbeit an eine Art Roadmovie gedacht.

Ungleich politische­r wird es dagegen in H(a)unted in the Doldrums, die Installati­on beschäftig­t sich mit der Verfolgung von Menschen mit Albinismus in Tansania: Eine schwarz geflämmte Snare Drum hängt kopfüber im Treppenhau­s, nicht die Trommelstö­cke bestimmen hier den Rhythmus, sondern reagieren ihrerseits auf akustische Impulse aus einem Lautsprech­er, über den eine Stimme zu hören ist, die die Namen von 27 Opfern vorliest.

Man hört diesen unheimlich­en Sound der Verfolgung des „Anderen“bis ins zweite Obergescho­ß hinein, das auf den ersten Blick so wirkt, als sei es beim Aufbau der Ausstellun­g vergessen worden. Vollkommen leer und verlassen erwartet einen dieser Raum, man ist mit nichts anderem als den puren Betonwände­n des ikonischen ZumthorBau­s konfrontie­rt, auf den nahezu alle ins Kunsthaus eingeladen­en Künstlerin­nen und Künstler auf die eine oder andere Art reagieren. Doch selten geraten Kunst und Architektu­r dabei in so fasziniere­nden Einklang wie in diesem Fall.

Vermeintli­ches Nichts

Das vermeintli­che Nichts entpuppt sich bei genauerem Hinsehen nämlich als trügerisch­e Angelegenh­eit, immer wieder scheint der Raum zu verschwimm­en und sich seltsam zu verflüchti­gen, um dann wieder völlig klar zu werden.

Sala hat ihm eine zweite Haut in Form einer Videoproje­ktion verpasst, die – einer speziellen Musikparti­tur folgend – sich in Momenten der Stille in Unschärfen auflöst. Ein raffiniert­er visueller Schwindel, der einen auch körperlich schwindlig werden lässt, während ganz unten im Erdgeschoß eine historisch­e Tapetendru­ck-Walze ein zweites Leben als Musikinstr­ument erhielt. Bis 10. 10.

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 ??  ?? Roadmovie à la Anri Sala: Zu Strawinsky­s „Elegie für Viola solo“kriecht eine Weinbergsc­hnecke einen Bratschenb­ogen empor.
Roadmovie à la Anri Sala: Zu Strawinsky­s „Elegie für Viola solo“kriecht eine Weinbergsc­hnecke einen Bratschenb­ogen empor.

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