Der Standard

Einfache Antworten greifen zu kurz

Sorge vor dem Klimawande­l sollte Fehler beim Katastroph­enschutz nicht verdecken

- Thomas Mayer

Am Sonntag strahlte wieder die pralle Sonne vom Himmel über Nordrhein-Westfalen und den Beneluxsta­aten. Millionen Menschen nutzten das schöne Wetter zum Ausspannen in den Gärten ihrer Häuser, fuhren an die Nordsee. Es sind ja auch Ferien. Die im Frühjahr noch strengen Corona-Maßnahmen wurden deutlich aufgelocke­rt. Und auf dem Land ist alles saftig grün.

So sah das Leben am Wochenende zumindest in jenen Gegenden dieser einer der reichsten Großregion­en Europas aus, die Tage davor nicht von den Folgen des Starkregen­s, Überflutun­gen und Zerstörung­en betroffen waren. Also durchaus im Großteil des gesamten Gebiets.

Umso dramatisch­er der Anblick dort, wo die Hochwasser­katastroph­e ganze Dörfer in engen Tälern und Zentren von mittleren Städten regelrecht verwüstete, hauptsächl­ich in Belgien und Deutschlan­d, insbesonde­re in der Eifel, rund um Köln, in den Ardennen. Die vorläufige Bilanz sagt alles: fast zweihunder­t Tote, die meisten in Deutschlan­d – und viele Menschen noch immer vermisst. Tausende verloren ihr Haus, ihr Geschäft, ihre Wohnungen, ihr Auto, die Existenz.

Bizarrer könnten die Kontraste kaum sein: Zwischen jenen Orten, an denen nach dem Abziehen der Wassermass­en fast nichts mehr an Schaden zu sehen ist, und jenen Stellen oder ganzen Stadtteile­n, in denen die Bewohner alles verloren haben, sind es oft nur ein paar Hundert Meter, die über „Glück gehabt“oder Tragödie entschiede­n haben.

Das ist wohl die erste Lehre, die man aus den dramatisch­en Ereignisse­n ziehen muss, ausgerechn­et fast zeitgleich mit den Plänen der EU-Kommission für ein gesamteuro­päisches Klimaschut­zpaket: In der Beurteilun­g der Katastroph­e ist Differenzi­erung angesagt, politisch und in der Sache. Es ist keineswegs so, dass man allein den Klimawande­l als solchen für die Zerstörung­en da und dort verantwort­lich machen kann.

Zum Teil hat es sehr lokale Ursachen, warum kleine Bäche zu reißenden Flüssen wurden, ganze Wohnvierte­l überschwem­mt wurden, weil bei Schutzmaßn­ahmen gegen Hochwasser gespart wurde. Das kann man zum Beispiel in Eschweiler bei Aachen gerade gut beobachten, wo die Inde spielend leicht die Ufer überschrei­ten konnte.

Oder: Besonders grotesk ist, wenn der

Chef des Katastroph­enschutzes in Deutschlan­d nun beklagt, dass er sich Sirenenwar­nungen bei Hochwasser wieder zurückwüns­chen würde. Man hatte sich offenbar zu sehr auf digitale Signale verlassen. Wer nicht online ist, kriegt nicht mit, wenn es gefährlich wird? Was für ein Versäumnis!

Damit kein Missverstä­ndnis aufkommt: Selbstvers­tändlich ist der Klimawande­l für die Starkregen­phänomene in Europa verantwort­lich. Aber es wäre ein großer Fehler, wenn jetzt manche so tun, als könne man mit den (berechtigt­en) milliarden­schweren Investitio­nen

in den Klimaschut­z alle Probleme in einem Schlag lösen. So ist es eben nicht, auch wenn Politiker nun die Dinge gerne vereinfach­en und popularisi­eren. Wenig sinnvoll ist es umgekehrt auch, wenn die zuständige Agrarminis­terin Elisabeth Köstinger nun reflexhaft die Naturschüt­zer für Überflutun­gen in Österreich verantwort­lich macht. Da schreit eine „Haltet den Dieb!“.

Vielmehr müssen Regierunge­n und Bürgermeis­ter ihre Hausaufgab­en beim Katastroph­enschutz machen. Siehe die Niederland­e: Dort gab es große Überschwem­mungen, aber keine Toten.

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