Der Standard

„Klein ist gut“

Das Thema Tiny House wird seit Jahren rauf und runter gespielt. Wir fragten Tiny-HouseAuske­nner Van Bo Le-Mentzel, ob es sich dabei um eine Modeersche­inung handelt und wie sich die Kleinsthäu­ser entwickeln.

- INTERVIEW • MICHAEL HAUSENBLAS

Schiller sagt: „Raum ist in der kleinsten Hütte für ein glücklich liebend Paar.“Haut es mit der Liebe nicht hin, nützt auch das protzigste Loft auf Dauer nichts. Wie viel Wohnraum benötigen wir wirklich?

Das lässt sich vortreffli­ch mit den Worten des Berliner Dichters Christian Morgenster­n beantworte­n: „Nicht da ist man daheim, wo man seinen Wohnsitz hat, sondern wo man verstanden wird.“Ein Paar kann sowohl in einem Zelt als auch in einem Schloss glücklich oder unglücklic­h sein. Das hat nichts mit Quadratmet­ern, sondern mit Rückzugsmö­glichkeite­n oder Zugang zu Gemeinscha­ft zu tun.

Quadratmet­er stehen immer noch für Prestige, das muss sich wohl besonders in den Städten ändern. Wie bessert man das Image der Minibude auf?

Es kommt auf die kulturelle Deutung von Wohnraum an. In London, Manhattan oder Paris haben kleine Wohnungen gar kein schlechtes Image. Lage und Fassade sind die neuen Statussymb­ole. Klein ist gut! In Berlin und München beobachte ich, dass es ganz schön dekadent wirkt, wenn sich ein Single eine Dreizimmer­wohnung gönnt. Neben Flight-Shaming sollte es auch RoomShamin­g geben, für Menschen mit übermäßige­m Wohnraumko­nsum.

Stararchit­ekt Rem Koolhaas sagte, er wohne in Rotterdam auf 40 Quadratmet­ern: „Das bietet maximale Konzentrat­ion. Ich bin nicht der typische Sammler und besitze nicht viele Dinge. Also gibt es keinen Bedarf für mehr Raum.“Wie sehen Sie den Besitz von Dingen?

Ein wohlhabend­er weißer Mann ist hier sicher nicht die Referenz für die Fragen nach sozialen Wohnraumst­andards. Wir sollten eher die alleinerzi­ehende Afghanin mit Baby fragen, wie Räume aussehen sollten. Sie wird vermutlich antworten: keine Einzimmerw­ohnung, sondern zwei abschließb­are Räume mit Gemeinscha­ftszimmer, wo sie sich mit einer anderen Single Mom die Betreuung teilen kann, in einer Gegend, wo sie Jobs findet und wegen ihres Aussehens keiner Gefahr ausgesetzt ist. Es müssten auch Grünfläche­n barrierefr­ei in der Nähe sein. Und das Ganze darf nicht mehr als ein Drittel des Verdienste­s kosten. Die Größe der Zimmer ist nicht entscheide­nd.

Ihr „Tiny 100“-Häuschen umfasst Dusche, Schlafkoje und Arbeitspla­tz auf 6,4 Quadratmet­ern. So viel Wohnraum kostet in Berlin circa 100 Euro. Die Hütte klingt kleiner, als sie wirkt. Trotzdem: Ist das nicht eine Utopie?

Die sogenannte 100-Euro-Wohnung ist ein Rückzugsra­um mit Singleküch­e und Bad und Teil eines Gemeinscha­ftshauses, wo es in der Mitte der Etage ein großes Gemeinscha­ftszimmer mit Küche, Eckcouch und Esstisch gibt. Dieser Ausgleich ist sehr wichtig, ansonsten wird man in seinem kleinen Zimmer verrückt werden. Der Haustyp „Co-Being House“ist als Idee gar nicht so neu oder utopisch. In Weimar hat vor hundert Jahren Bauhausstu­dent Georg Muche ein Haus mit großem Gemeinscha­ftszimmer in der Mitte und kleinen Zimmern drum herum gebaut. Hundert Jahre davor sind in Istanbul Wohnhäuser gebaut worden mit einem zentralen Gemeinscha­ftszimmer: dem Sofaraum. Ich möchte daran erinnern, dass wir in der Wohnungsba­ukultur schon einmal weiter waren als heute.

Wie wohnen eigentlich Sie?

Meine Frau und ich wohnen mit zwei Kleinkinde­rn in einer Zweizimmer­wohnung auf 56 Quadratmet­ern. Ohne Balkon, Badewanne, Keller und Auto. Kürzlich haben wir in der Küche ein Schlafloft eingebaut. Wir spielen mit dem Gedanken, eines der beiden Zimmer zu dritteln. Dann hätten unsere Kinder je ein eigenes kleines Fünf-Quadratmet­er-Zimmer. Jetzt wissen Sie, wo die Ideen für meine Entwürfe herkommen.

Was ist bei der Gestaltung und Einrichtun­g eines Tiny Houses oder einer MiniWohnun­g wichtig? Auf jeden Fall sollte man erst einmal ausmisten, oder?

Ich nutze bei meinen Entwürfen einen visuellen Trick. Es geht darum, dass das Gehirn nicht auf den ersten Blick den Wohnungsgr­undriss erfassen kann. Das bedeutet, möglichst in die Mitte der Etage eine Wand oder große Möbel setzen, sodass man immer Lust hat, in die Ecke zu blicken. Das ist der Grund, warum eine große Halle, wo alles auf einem Blick erfassbar ist, kleiner wirkt als ein Supermarkt oder eine Moschee mit einem Säulengang, obwohl die viel kleiner sind. Ausmisten ist nicht nur gut für die Psyche, sondern auch für die Umwelt.

In den letzten Jahren hatte das Thema Tiny House eine unglaublic­he Medienpräs­enz. Ist das bloß eine Modeersche­inung, oder hilft diese Entwicklun­g wirklich bei der Beschaffun­g von Wohnraum?

In Deutschlan­d gibt es ja schon länger Tiny Houses, wir nannten sie nur anders: Bauwagen, Wohncontai­ner, Schreberga­rtenlaube oder Wohnmobil. Klar, Tiny Houses auf Rädern mit viktoriani­schem Dach und Veranda sind eine Modeersche­inung. Aber sie helfen uns zu fragen, ob Wohlstand auch unabhängig von Größe denkbar ist. Während Kapitalist­innen und Minimalist­innen propagiere­n, dass die Größe entscheide­nd ist, behaupte ich, dass die sozialen Bindungen das Wohnglück ausmachen. Dazu muss eine Nachbarsch­aft aber vor allem eines sein: divers. Junge und Alte, Rechte und Linke, Reiche und Arme, Gesunde und Kranke, Laute und Leise gehören alle in einen Wohnblock! Homogene Nachbarsch­aften sind der Beginn von Stillstand.

Wo liegt die Zukunft urbanen Wohnens?

Wir bei der Tiny Foundation kommen immer wieder zu dem gleichen Schluss: Die Stadt der Zukunft muss noch viel mehr ineinander verschacht­elt gedacht werden, um unversiege­lte Naturgebie­te unberührt zu lassen. Das heißt: Schrebergä­rten mit Tiny Houses nicht neben Ikea, sondern auf das Dach. Wohnhäuser und Kindergärt­en nicht neben das Fabrikgebä­ude, sondern auf das Dach. In Brandenbur­g und am Flughafen Tegel entgehen uns leider große Chancen. Dort entsteht die größte Tesla-Fabrik Europas und auf der ehemaligen Landebahn Fabrikhall­en. Wer Arbeiten vom Wohnen trennt, produziert Pendlerinn­en. Die Jahrhunder­taufgabe für uns Stadtplane­rinnen wird es sein, das Pendeln überflüssi­g zu machen. Wir nennen das Circular City.

 ?? ?? Das „Tiny 100“bietet auf weniger als sieben Quadratmet­ern Platz zum Schlafen, Arbeiten und eine Dusche.
Das „Tiny 100“bietet auf weniger als sieben Quadratmet­ern Platz zum Schlafen, Arbeiten und eine Dusche.
 ?? ?? Architekt Van Bo Le-Mentzel.
Architekt Van Bo Le-Mentzel.

Newspapers in German

Newspapers from Austria