Armut trotz Arbeit
In Österreich sind rund 1,5 Millionen Menschen armutsgefährdet. Wer trägt Schuld daran? Über den Mythos von faulen Arbeitslosen und die schwierige Suche nach Auswegen aus der Abwärtsspirale.
Die Wirtschaft erholt sich und sucht fieberhaft Arbeitskräfte. Der Aufschwung der Konjunktur kommt bei vielen Österreichern jedoch nicht an. 1,5 Millionen Menschen hierzulande sind armutsgefährdet, darunter 350.000 Kinder und Jugendliche. Die Politik bediene sich gerne des Mythos des faulen Arbeitslosen in der Jogginghose, sagt Volkshilfe-Chef Erich Fenninger. „Viele sprechen über Armut und instrumentalisieren sie, ohne wirklich darüber Bescheid zu wissen.“
Jeder zweite Österreicher, der gefährdet ist, in die Armutsspirale zu geraten, lebt monatlich von weniger als 1000 Euro. Bis zu 1300 Euro sind es für die übrigen. Armut sei nicht individuell verschuldet, sondern die Folge struktureller Probleme, gibt Karin Heitzmann, Expertin für Sozialpolitik der Wiener Wirtschaftsuni, im Rahmen einer Diskussion in der Arbeiterkammer zu bedenken.
Überproportional gefährdet seien kinderreiche Haushalte sowie Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Wobei Arbeit nicht per se schon vor Armut schütze. Sieben Prozent der Arbeitnehmer, darunter 146.000 Familien mit Kindern, leben trotz regelmäßiger Erwerbstätigkeit unter der Armutsgrenze.
Aus Sicht von Christine Mayrhuber, Ökonomin des Wifo, reichen individuelle Anreize nicht aus, um Armut zu bekämpfen. Vielmehr brauche es strukturelle Gegenmaßnahmen, betont sie mit Blick auf die geplante Reform des Arbeitslosengeldes. Mayrhuber führt zum einen die hohe Konzentration von Vermögen ins Treffen, die in Österreich stärker ausgeprägt sei als im EU-Schnitt.
Zum anderen seien zwar immer mehr Menschen in Beschäftigung. Die Lohnquote aber sinke: Fast die Hälfte des Produktivitätszuwachses käme bei den Reallöhnen nicht an.
„Wir sehen einen Bedeutungsverlust von Erwerbsarbeit.“Österreich habe trotz guter Qualifikation einen großen Niedriglohnsektor. Eine Reform der Sozialhilfe sei zu wenig.
ÖGB-Chef Wolfgang Katzian fordert einmal mehr zusätzliche Beiträge der Vermögenden für den Sozialstaat. „Diese dürfen nicht nur als Almosen vom Herrentisch fallen.“
Er pocht darauf, bei der Steuerreform nachzuschärfen. „Das, was jetzt auf dem Tisch liegt, benachteiligt Frauen.“Unabdingbar sei ein Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung.
Katzian will bei neuen Regeln für den Arbeitsmarkt die Unternehmer nicht außen vor lassen. Er erinnert an Touristiker, die ihre Leute regelmäßig „in die Arbeitslosigkeit schicken“, und an Händler, die zwar über Fachkräftemangel klagten, aber nur „skurrile Teilzeitjobs anbieten“.
Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl appelliert daran, das Arbeitsmarktservice personell besser auszustatten. 250 Stellensuchende seien nur einem Berater zugewiesen. Das gehöre auf 100 Personen reduziert. Jeder vierte Arbeitslose ist armutsgefährdet, zieht AMS-Chef Johannes Kopf Bilanz. An mehr Arbeitsanreizen führt für ihn dennoch kein Weg vorbei. Höhere Chancen auf Jobs habe nur, wer flexibel sei.