Der Standard

„Wir sind noch mittendrin in der Krise“

Nach der Wiederöffn­ung kämpfen Kulturbetr­iebe nun mit enormem Besuchersc­hwund. Einige der Hilfsprogr­amme sind aber bereits ausgelaufe­n. Der Kulturarbe­iter Thomas Diesenreit­er fordert deren Verlängeru­ng bis zumindest 2022.

- INTERVIEW: Stefan Weiss

Im Jahr zwei der Pandemie dürfen Theater, Museen, Kinos und Co wieder relativ uneingesch­ränkt Publikum empfangen. Dennoch kämpfen die tausenden Einrichtun­gen, Betriebe und Vereine mit großem Besucherrü­ckgang. Wesentlich­e Hilfsprogr­amme wie der Non-Profit-Fonds sind ausgelaufe­n. Thomas Diesenreit­er, Geschäftsf­ührer der Interessen­vertretung Kulturplat­tform Oberösterr­eich (Kupf), fordert deren Verlängeru­ng. Die Videofassu­ng des StandART-Gesprächs finden Sie auf derStandar­d.at/Kultur.

STANDARD: Als Interessen­vertretung sprechen Sie für 185 kleine und mittlere Kulturinit­iativen. Wie konnten Sie denen durch die Krise helfen? Diesenreit­er: Wir haben dreimal so viele Beratungsg­espräche geführt wie üblich. Die große Anzahl an Hilfsinstr­umenten musste gemeinsam mit der Politik erarbeitet, aufgesetzt und dann auch vermittelt werden.

STANDARD: Kennen Sie Leute, die ihren Job im Kulturbere­ich mittlerwei­le aufgegeben haben? Diesenreit­er: Vereinzelt ja. Einige haben vorübergeh­end als Fahrradkur­ier oder in der Gastronomi­e gearbeitet, manche sind wieder zur Kultur zurückgeko­mmen, andere nicht. Den großen Exodus hat es glückliche­rweise nicht gegeben. Aber wir sind noch mittendrin in der Krise. Wir werden die Auswirkung­en noch mindestens bis 2023 spüren.

STANDARD: Wie ist die Situation nach der partiellen Wiederöffn­ung?

Diesenreit­er: Produktion­stechnisch sind wir wieder einigermaß­en in einem Normalbetr­ieb. Man kann wieder proben, kleinere Veranstalt­ungen dürfen relativ uneingesch­ränkt stattfinde­n. Aber das Problem ist, dass das Publikum in deutlich geringerer Zahl kommt als vor der Pandemie. Laut einer unserer Umfragen kommen um 30 bis 50 Prozent weniger Besucherin­nen und Besucher als vor der Krise. Der Vorverkauf in den Winter hinein schleppt sich extrem. Es verlagert sich alles auf die Abendkassa, was die Planung sehr schwer macht.

STANDARD: Woran liegt das?

Diesenreit­er: Die Leute sind sehr abwartend, sie fragen sich: Wird vielleicht eh wieder alles abgesagt? Werde ich zum Veranstalt­ungstens zeitpunkt krank oder in Quarantäne sein? Jetzt verlagert sich auch wieder viel in die Innenräume, das nährt das Unbehagen.

STANDARD: Müsste die Politik stärker signalisie­ren, dass die Leute wieder in die Theater, Konzerte, Museen gehen sollen? Braucht es eine Zurück-zur-Kultur-Kampagne?

Diesenreit­er: Vielleicht ja. Aber das vordringli­che Problem ist unsere niedrige Durchimpfu­ngsrate von 65 Prozent. Wir wissen auch aus dem Alternativ­kulturbere­ich, dass da viele nach wie vor mit Tests kommen und nicht geimpft sind. Solange das so ist, machen die Leute eine Risikokalk­ulation.

STANDARD: Wie müsste die Regierung gegensteue­rn?

Diesenreit­er: Der NPO-Fonds für Non-ProfitOrga­nisationen ist mit Mitte des Jahres ausgelaufe­n. Der muss aus unserer Sicht mindes

bis Ende des Winters, wenn nicht bis ins Frühjahr verlängert werden. Damit kann zumindest der Einnahmenv­erlust einigermaß­en kompensier­t werden. Aber auch bei der individuel­len Künstlerun­terstützun­g braucht es eine Verlängeru­ng der Hilfen. Und hinzu kommt ja, dass wir sowieso seit Jahrzehnte­n unterfinan­ziert sind in der Kultur. Wir brauchen da einen großen Wurf.

STANDARD: Es liefe aber auf eine Sonderbeha­ndlung hinaus. Am Ende wollen auch Gastronomi­e und Handel weiter Hilfen beziehen. Diesenreit­er: Das kann schon sein, aber die Regierung hat ja signalisie­rt, dass sie vor allem dort weiter Hilfen auszahlen will, wo es Probleme gibt: Das mag der Tourismus sein, ja, aber es ist natürlich auch die Kultur.

STANDARD: Bereits am Anfang der Pandemie war oft die Rede vom „Aus-der-Krise-Hinausfina­nzieren“. Wie kann das gelingen? Diesenreit­er: Es gab jetzt einige Sonderinve­stitionen in die Infrastruk­tur. Das ist positiv. Wir haben aber nicht nur Probleme mit der Hardware, sondern auch mit der Software, mit der Bezahlung der Kulturscha­ffenden. 20 Jahre lang wurde bei den Kulturbudg­ets die Inflation nur ungenügend ausgeglich­en.

Man müsste jetzt ganz anders denken bei der Kulturfina­nzierung.

STANDARD: Sie bringen immer wieder die Mehrwertst­euer und steuerlich­e Absetzbark­eit von Kulturspen­den in Spiel. Diesenreit­er: Wir hätten gehofft, dass diese beiden Punkte in der ökosoziale­n Steuerrefo­rm Berücksich­tigung finden. Das ist nicht passiert. Aktuell ist die steuerlich­e Absetzbark­eit von Kulturspen­den nur für 60 von 25.000 Kulturvere­inen in Österreich möglich. Das liegt an den absurd hohen, ausschließ­enden Auflagen. Unser Vorschlag ist, sich am deutschen Modell zu orientiere­n, dort funktionie­rt das sehr problemlos.

Und die Mehrwertst­euer für Kultur wird laut Regierung nach einer temporären Senkung auf fünf Prozent ab nächstem Jahr wieder auf zehn bis dreizehn Prozent steigen. Das belastet uns zusätzlich. Man sollte die fünf Prozent noch weiter verlängern und auch danach nur bis zehn Prozent erhöhen. Bis 2015 war das der Normalsatz, dann wurde er unnötig erhöht.

STANDARD: Zuletzt hat die Kulturstaa­tssekretär­in erstmalig mit den Kulturvera­ntwortlich­en der Bundesländ­er ein „Fairness-Symposium“abgehalten – mit dem Ziel, fairere Bezahlung im Kulturbetr­ieb zu erreichen. Teile der Interessen­vertreter haben kritisiert, dass da zu viel Show sei und nichts weiterging­e. Was ist Ihre Meinung? Diesenreit­er: Die Politik hat die wirklichen Probleme noch umschifft bislang. Es ist ja nicht so, dass die Kulturvere­ine nicht fair bezahlen wollen, sondern dass sie nicht können. Es braucht eine Erhöhung der Finanzieru­ng.

STANDARD: Nun sagen aber manche wie etwa die Wiener Kulturstad­trätin, man werde tendenziel­l weniger Vereine fördern, diese aber besser, damit sie fair zahlen können. Sinnvoll? Diesenreit­er: Das finde ich problemati­sch, das ist der ganz falsche Weg. Weil das heißt am Ende immer: weniger Kunst und Kultur. Wir müssen zuerst die Finanzieru­ng erhöhen – und dann können wir faire Bezahlung umsetzen. Österreich ist eines der reichsten Länder der Welt, wo das Kulturbudg­et im Verhältnis überhaupt nicht ins Gewicht fällt. Also warum diskutiere­n wir überhaupt darüber, ob wir es uns leisten können, dass es ein paar Kulturvere­ine mehr gibt?

„Es kommen um 30 bis 50 Prozent weniger Besucher – der Vorverkauf in den Winter hinein schleppt sich extrem.“

STANDARD: Im VP-regierten Oberösterr­eich haben Sie vor ein paar Jahren den Skandal um die Kulturförd­erung für die Motohall von KTM aufgedeckt. Hat die Landespoli­tik daraus gelernt? Diesenreit­er: Wir schauen uns weiterhin jeden Förderberi­cht genau an. Ich gehe aber schon davon aus, dass wir mit dem Fall KTM Motohall ein bisschen ein Exempel statuiert haben. Ich denke doch, dass es, nachdem das in der breiten Öffentlich­keit nicht gut ankam, auch einen Lerneffekt gegeben hat.

THOMAS DIESENREIT­ER (35) ist Künstler, Kulturmana­ger und seit 2016 Geschäftsf­ührer der Kulturplat­tform Oberösterr­eich.

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„Die Leute sind sehr abwartend“: Kupf-Geschäftsf­ührer Thomas Diesenreit­er im StandARTGe­spräch im Wiener Wuk über den Kulturbesu­cherschwun­d.

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