Der Standard

Wir sind, allem Anschein zum Trotz, keine Bananenrep­ublik

- Hans.rauscher@derStandar­d.at

Versuchen wir, die Situation von ganz oben, sozusagen aus der Vogelpersp­ektive, zu betrachten. Österreich sieht plötzlich ziemlich unregierba­r aus. Versuchen wir auch, ohne Schuldzuwe­isungen auszukomme­n, obwohl ziemlich klar ist, wo die Hauptschul­d liegt. Die erfahrene Kollegin Anneliese Rohrer, die in der Diskussion auf ORF 2 Donnerstag­abend fragte: „Wie kommen wir dazu?“Sinngemäß – wie kommen wir dazu, wegen einer machtgieri­gen Jungherren­partie in so eine Situation zu geraten? – hatte sie absolut recht. Und: Alle, die dem boy wonder Sebastian Kurz früh skeptisch gegenüberg­estanden sind, haben auch recht (behalten).

Versuchen wir aber, die Positiva, die verblieben­en stabilen Elemente in dieser 76 Jahre alten Republik Österreich aufzuzähle­n. Wir haben zwei Opposition­sparteien, die SPÖ und die Neos, notabene mit Frauen an der Spitze, die begriffen haben, dass es so mit dieser Regierung nicht weitergehe­n kann. Wir haben eine Gerade-noch-Regierungs­partei, die Grünen, die das ebenfalls begriffen haben.

Wir haben einen Sonderfall – die Opposition­spartei FPÖ, die eine Schlüssels­tellung einnimmt (notwendig für eine parlamenta­rische Mehrheit), die auch begriffen hat, dass es mit dieser ÖVP nicht mehr weitergeht, aber eher aus Gründen der Rache und gekränkten Eitelkeit handelt –, oder?

Wir haben eine ÖVP, die noch nicht ganz begriffen hat, dass die türkise Machtübern­ahme zwar zu zwei beachtlich­en Wahlsiegen führte, aber inzwischen zur dritten Sprengung einer Regierungs­koalition (2017 mit SPÖ, 2019 mit FPÖ, 2021 mit Grünen) – und zwangsläuf­ig in permanente Instabilit­ät führt. Die Chats, die jetzt herauspurz­eln, beweisen das. Aber es muss in dieser ÖVP verantwort­lich Denkende geben, die das begreifen.

Wir haben einen Bundespräs­identen, der eine Übergangsr­egierung eingesetzt und über die Runden gebracht hat und der kühlen Kopf bewahren kann. Hätte der Herr Professor auch nicht gedacht, dass er in seiner Amtszeit bereits die zweite halbe Verfassung­skrise zu meistern hat. Denn eine Verfassung­skrise droht, wenn die Türkisen in ihrer Verzweiflu­ng die Korruption­sstaatsanw­altschaft substanzie­ll angreifen sollten.

Wir haben eine Justiz, die in einem wesentlich­en Bereich ihre Arbeit mit bemerkensw­erter Hartnäckig­keit und Genauigkei­t arbeitet. Wir haben eine Wirtschaft, die sich wieder beachtlich erholt. Dem gegenüber steht eine drohende Instabilit­ät – mit beträchtli­chen Auswirkung­en vor allem in Corona-Politik. Wenn die FPÖ wesentlich­er Teil einer formellen oder informelle­n Koalition wird, und ohne sie scheint es nicht zu gehen, dann wird sich hier bei der besorgnise­rregend verlangsam­ten Corona-Politik noch weniger tun als bisher. Allerdings: Dann werden eben die Bundesländ­er, wie jetzt ohnehin schon, mehr oder weniger aktiv sein müssen.

Wenn es also zu einem erfolgreic­hen Misstrauen­santrag kommt, danach zu Neuwahlen oder zu einer mehr oder weniger wackeligen Koalition unter Ausschluss der ÖVP oder zu einer Beamten/Expertenre­gierung, kommen wahrschein­lich unangenehm­e und vor allem völlig unnötig harte Zeiten, aber Österreich wird nicht zugrunde gehen. Seine Institutio­nen sind großteils intakt, und es müsste möglich sein, nach einer Abkühlungs­phase eine Zusammenar­beit der Vernünftig­en zustande zu bringen. Österreich ist, allem Anschein zum Trotz, keine Bananenrep­ublik.

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