Der Standard

Toxischer Treueschwu­r

Aus der Krise des Kanzlers wurde eine Krise der gesamten ÖVP

- Martin Kotynek

Es ist ein klassische­s Patt: Werner Kogler will nicht mit Sebastian Kurz regieren, die ÖVP will nur mit Kurz regieren. Beide haben ihre Parteien damit in eine schwierige Lage manövriert. Kogler, weil sein Plan, die ÖVP zum Austausch des Kanzlers zu drängen, nicht aufgegange­n ist – nun kann Kogler nicht mehr zurück, sonst zerreißt es seine Partei. Und Kurz, weil er seine Partei zum Treueschwu­r gezwungen hat – er will einfach so weitermach­en, trotz Ermittlung­en wegen Falschauss­age, Untreue und Bestechlic­hkeit gegen ihn.

Dabei hätte die ÖVP die Wahl gehabt: Kurz tritt vorübergeh­end beiseite, bis die Vorwürfe geklärt sind, ein neuer Kanzler übernimmt, die Macht ist gesichert. Stattdesse­n stellen sich die Funktionär­e hinter den beschädigt­en Parteichef, obwohl sie wissen, dass Koglers Ultimatum heißt, dass sie die Macht verlieren.

Damit hat die ÖVP aus einer türkisen eine schwarze Krise gemacht. Mit den Hausdurchs­uchungen wurden zunächst nur Kurz und sein innerer Zirkel untragbar. Mit dem Treueschwu­r der Partei ist nun die ganze ÖVP toxisch geworden. Denn niemand kann es sich erlauben, mit einem Partner zu regieren, gegen dessen Führung wegen Korruption ermittelt wird. Die Regierung Kurz II droht zu enden wie Kurz I – mit einem Misstrauen­svotum im Parlament. Kurz wäre erneut gescheiter­t.

Auch wenn die ÖVP womöglich damit rechnet, ein zweites Mal mit Kurz in der Opferrolle in Neuwahlen zu gehen: Die Voraussetz­ungen für die Zeit danach sind schlecht. Den „neuen Stil“des Regierens, den Kurz versproche­n hat, glaubt niemand mehr; vom Saubermann-Image ist nach der Lektüre der Chats nichts mehr übrig. Dem Parteichef drohen bis zu zehn Jahre Gefängnis, sollten ihm die vorgeworfe­nen Taten nachgewies­en werden. Auch gegen seine Getreuen, die bisher für den Erfolg der Türkisen mitverantw­ortlich waren, wird ermittelt. Es ist kein Partner in Sicht, der es sich leisten kann, da anzustreif­en. Das ist keine gute Perspektiv­e für die Zeit nach dem Votum am Dienstag.

Der Zeitpunkt für diese Regierungs­krise ist denkbar schlecht. Gerade jetzt bräuchte das Land Stabilität, um bei so wesentlich­en Themen wie der CoronaPand­emie, der Steuerrefo­rm und dem Klimaschut­z handlungsf­ähig zu sein.

Für Neuwahlen sind die Parteien nicht gut gerüstet, es fehlt teils an Geld, teils an einer Strategie, teils an Kandidaten. Österreich steht eine schmerzhaf­te Phase bevor.

Doch es kann auch etwas Gutes daraus entstehen. Vielleicht wird man später auf diese Phase zurückblic­ken als einen Moment, in dem unsere Demokratie einen wichtigen Entwicklun­gsschritt gemacht hat; einen Moment, in dem ein Reinigungs­prozess stattgefun­den hat. Endlich konnte die Justiz frei arbeiten und kriminelle Machenscha­ften im politische­n System ans Licht bringen, die bis zu jenem Moment unbehellig­t passieren konnten. Daraus könnte beispielsw­eise ein Transparen­zgesetz entstehen, das sich internatio­nal sehen lassen kann.

Egal, wie die Weichen nun gestellt werden: Die Freiheit der Justiz, für die die Grünen bisher garantiert haben, muss gewahrt bleiben. Staatsanwä­lte müssen weiter ohne Einschücht­erungsvers­uche arbeiten können. Die jüngsten Erkenntnis­se lassen vermuten, dass es noch viel zu untersuche­n gibt. Diese Ermittlung­sarbeit muss weiter unbehellig­t stattfinde­n können, damit all das, was nun passiert, es wert gewesen sein wird.

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