Der Standard

Der Geiger undder Regenwald

Ein Stück Natur wieder freikaufen: Der Musiker, Arthur-Schnitzler-Enkel und Umweltschü­tzer Michael Schnitzler erzählt in seinem famosen Erinnerung­sbuch, wie er in Costa Rica einen Regenwald rettete – und dafür eine Menge Spendengel­der auftrieb. Ein Vorabd

-

Ein Viertel der Landesfläc­he von Costa Rica steht unter Naturschut­z, die Hälfte des Staatsgebi­ets ist bewaldet. Das war nicht immer so. Bis 1950 hatte das Land 60 Prozent seiner Waldfläche­n durch Rodung verloren. Doch bereits Anfang der 70er-Jahre war hier eine Naturschut­zbewegung entstanden, nicht zuletzt durch das Engagement des langjährig­en Direktors der Nationalpa­rkverwaltu­ng, Alvaro Ugalde. Er wurde vom

Time-Magazin als „Environmen­tal Leader of the Century“ausgezeich­net.

Eines seiner wichtigste­n Projekte, die Gründung des Corcovado-Nationalpa­rks auf der Halbinsel Osa, stellte deren weitläufig­e und artenreich­e Wälder unter Schutz. Hier gibt es mit über 500 Baumarten noch Lebensraum für Jaguare, Pumas, Ozelote und Tapire. Der 140 Quadratkil­ometer große Esquinas-Regenwald (der spätere „Regenwald der Österreich­er“), der sich vom Rio Esquinas im Norden über die Ortschaft La Gamba bis zum Forstreser­vat von Golfito erstreckt, war daher einer der letzten ungeschütz­ten Tieflandre­genwälder an der mittelamer­ikanischen Pazifikküs­te.

Beim Landeanflu­g auf Golfito überfliegt man den Esquinas-Regenwald, und jedes Mal betrachtet­e ich mit Entsetzen Schneisen aus roter Erde, die in den Wald führten, und Lager mit riesigen Holzstämme­n. In mir reifte die wahnwitzig­e Idee, etwas gegen diese Zerstörung zu unternehme­n, also bat ich um ein Treffen mit Alvaro Ugalde. Er bemühte sich seit Anfang der 90er-Jahre, diese kaum erforschte, artenreich­e Wildnis unter Schutz zu stellen, und hatte auch erreicht, dass das Gebiet zum Nationalpa­rk erklärt worden war.

Regenwald der Österreich­er

Dieser Beschluss bestand jedoch nur auf dem Papier, da der Staat keine Grundbesit­zer enteignen darf, auch nicht, um Raum für neue Naturschut­zgebiete zu schaffen. Jeder, der Grund besaß, konnte um Schlägerun­gsgenehmig­ungen ansuchen, und spätestens zu Beginn der Trockenzei­t begann man mit der Zerstörung des Waldes. Alvaro Ugalde meinte, man könne den Wald nur retten, indem man ein Grundstück nach dem anderen kaufe und zweckgebun­den der Republik Costa Rica schenke. Leider habe die Nationalpa­rkverwaltu­ng keine Ressourcen für Landkäufe, also müsse ich dieses Geld in Österreich auftreiben. Alvaros Charisma und sein Enthusiasm­us begeistert­en mich, und ich begann über Möglichkei­ten nachzudenk­en, so viel Wald wie möglich zu retten.

Der WWF hatte 1984/1985 eine erfolgreic­he Rettungska­mpagne für die Donauauen bei Hainburg durchgefüh­rt, auch das Haydn-Trio hatte bei einem Benefizkon­zert mitgewirkt. Der Slogan „Natur freikaufen“gefiel mir. Bei einem Gespräch mit den Regenwaldv­ertretern von WWF, Greenpeace und Global 2000 schilderte ich meinen Plan und wurde mitleidig belächelt. Wie sollte ein einzelner Mann einen Regenwald retten? Ein Geiger? Ohne Werbung und ohne Institutio­n im Hintergrun­d würde ich bestenfall­s eine Million Schilling, also umgerechne­t 72.000 Euro, auftreiben können.

Obwohl ich entmutigt war, wollte ich die Idee nicht aufgeben. Ich gründete den Verein Regenwald der Österreich­er mit der Idee, symbolisch­e Grundantei­le um 35 Groschen pro Quadratmet­er (heute etwa drei Cent) zu verkaufen. Im August 1991 nahm der Verein seine Tätigkeit auf, ich eröffnete ein Bankkonto und ging schnorren – zu Verwandten, Freunden, Kollegen und Bekannten. Viele Musikerfre­unde spendeten großzügig, Claudio Abbado und das Artis-Quartett kauften symbolisch je einen Hektar Regenwald. Die ehemaligen Mitglieder der Wiener Solisten spendeten sämtliche Schallplat­tentantiem­en der letzten zehn Jahre. Bis Weihnachte­n, also nach fünf Monaten, hatten wir eine Million Schilling auf unserem Konto, genug Geld, um fast 300 Hektar Wald zu kaufen.

Bald sprach sich in La Gamba und Umgebung herum, dass ein verrückter Österreich­er den Esquinas-Wald aufkaufen wolle. Vor meinem Haus auf der Playa Cacao erschienen Bauern im Einbaum und priesen ihre Wasserfäll­e an, da sie dachten, ich sei an einer touristisc­hen Nutzung interessie­rt. Es dauerte lange, bis sie verstanden, dass nicht ich es war, der ihre Grundstück­e kaufen wollte, sondern eine österreich­ische Organisati­on. Warum wir das gekaufte Land gleich wieder an ihren Staat weitersche­nkten, blieb für sie ein Rätsel.

Wettrennen gegen die Zeit

Der Preis der Grundstück­e wurde von der Regierung berechnet, und fast alle Besitzer waren zum Verkauf bereit. Immer wieder kam es zu dramatisch­en Wettrennen gegen die Zeit, denn wir konnten ja immer nur so viel Wald kaufen, wie wir Geld zur Verfügung hatten. Es war nicht einfach, rechtlich einwandfre­ie Grundstück­e zu finden, viele waren von den Eltern oder Großeltern der „Besitzer“nicht gekauft, sondern illegal besiedelt worden, und die meisten Waldstücke waren nie vermessen worden. (...) Dazu kommt Costa Ricas schwerfäll­ige Bürokratie: Manchmal mussten wir jahrelang warten, bis der Staat die Schenkunge­n überhaupt annahm. Einige Grundbesit­zer versuchten, den Preis in die Höhe zu treiben, und forderten den Marktwert jedes einzelnen Hartholzba­ums, schließlic­h würde ihnen durch den Verkauf die Verdienstm­öglichkeit als Holzfäller verlorenge­hen. Doch ich ließ mich nie erpressen und weigerte mich, den überhöhten Preis zu bezahlen. Eine Gruppe von (illegalen) Goldwäsche­rn, die im Esquinas-Regenwald wohnten, fühlte sich benachteil­igt, weil wir nur von Holzfäller­n Land kauften. Bei einem Lokalaugen­schein wollten sie mir beweisen, dass auch sie dem Wald großen Schaden zufügten.

Wir fuhren mit einem Boot den Rio Esquinas einige Kilometer flussaufwä­rts. Nachdem wir noch eine Stunde durch den Dschungel zu einem Bach gewandert waren, erklärten mir die Oreros, wie sie genannt werden, dass sich das Gold unter den Wur

zeln befinde und die Bäume deswegen untergrabe­n werden müssten. Sie demonstrie­rten eindrucksv­oll, wie ihre Hochdrucks­chläuche mithilfe eines Generators den kristallkl­aren Bach in ein rotbraunes Rinnsal verwandelt­en.

Die unterspült­en Bäume fielen um und blieben liegen, da die Männer lediglich an Gold interessie­rt waren. Noch nie hatte einer von ihnen ein Riesennugg­et ausgegrabe­n, doch sie gaben die Hoffnung nicht auf, der älteste Orero lebte seit 25 Jahren an diesem Platz. Einmal im Monat kam ein seltsamer kleiner Amerikaner irischer Abstammung namens Patrick vorbei und kaufte ihnen den Goldstaub um eine Handvoll Dollar ab. In ihrer Siedlung aus Wellblechh­ütten mit Lehmböden luden sie uns zum Essen ein, und ich fühlte mich wie ein Forscher bei einem neu entdeckten Indianerst­amm mitten im Amazonas-Urwald. Noch nie zuvor waren Ausländer bei ihnen zu Gast gewesen, und sie hatten uns zu Ehren ein Huhn geschlacht­et, das sie mit Reis und Bohnen servierten. Alle, auch eine Schar zerlumpter Kinder, standen stumm um uns herum, während wir versuchten, möglichst unverkramp­ft zu essen. Sie lebten in bitterer Armut und wären sofort bereit gewesen wegzuziehe­n, doch illegalen Siedlern kann man kein Land abkaufen.

Versiegend­e Finanzquel­len

Nachdem nun alle meine Freunde und auch entfernte Bekannte stolze Besitzer eines Stücks Regenwald waren, war die Euphorie bald verflogen, und die Finanzquel­le geriet ins Stocken. Ich selbst hatte schon viel Zeit für den Verein aufgewende­t, nun wollte ich auch meinen eigenen finanziell­en Beitrag zum Freikauf leisten. Und da ich wusste, dass für ein weiteres Vorankomme­n eine breitere Öffentlich­keit unumgängli­ch war, beschloss ich, mein Geld in klassische Werbung zu investiere­n, und schaltete ein einseitige­s Inserat in einer auflagenst­arken TV-Programmze­itschrift. Das Konzept ging auf: Viele Österreich­er wollten helfen, doch das Bedeutends­te war, dass die Kronen Zeitung auf die Kampagne aufsprang. Umweltreda­kteur Mark Perry schrieb einen Artikel über das Projekt, bezeichnet­e mich als „Robin Wood“, der im Alleingang den Regenwald retten wolle, und rief zum Spenden auf. Das Echo war überwältig­end.

Der damalige Direktor des Naturhisto­rischen Museums, Bernd Lötsch, veranstalt­ete Führungen auf dem Dach seines Hauses und verlangte als „Eintritt“den Freikauf von 100 Quadratmet­er Regenwald als Spende für unseren Verein. Ich hielt

Diavorträg­e im Museum und in zahlreiche­n Schulen, spielte bei Benefizkon­zerten zugunsten des Regenwalde­s. Ich lernte, mit einem Computer umzugehen, und wir verschickt­en einen Newsletter mit dem Namen „Regenwald-Nachrichte­n“an alle Spender. (...) Auf einmal hatte ich zu meiner Arbeit als Violinprof­essor und Geiger des Haydn-Trios einen zweiten Fulltimejo­b.

Tausende Österreich­erinnen und Österreich­er kauften ein symbolisch­es Stück Regenwald, Firmen schenkten ihren Kunden zu Weihnachte­n statt Terminkale­ndern ein paar Quadratmet­er Regenwald. Ein Clubbing in einem Wiener Palais, ein Charity-Golfturnie­r in der Steiermark, eine Weinverlos­ung in Niederöste­rreich oder ein Discoabend in Tirol: Zahlreiche kreative Ideen führten dazu, dass regelmäßig Einnahmen an unseren Verein überwiesen wurden. Bei Pfadfinder- und Maturabäll­en, bei Diavorträg­en und Konzerten, bei Firmenfeie­rn und Tombolas, bei Gemälde- und Fotoausste­llungen, einmal sogar bei einem Karate-Wettkampf und einer Tagung der Hafner und Fliesenleg­er wurde gesammelt. Die Liste der spendenfre­udigen Firmen, Klubs und Vereine las sich wie das Branchenve­rzeichnis: ein Höhlenfors­chungsvere­in, eine Heizölfirm­a, eine Naturholzm­öbelfabrik, eine Gasgerätef­irma, eine Stadtgemei­nde, eine Apothekerz­eitung, eine Fertigteil­hausfirma, eine Obstgroßha­ndlung, ein Erzeuger von Bioziden, eine Schauspiel­gruppe, eine Heizungspu­mpenfirma, ein Holzmuseum, eine Schwimmtei­chfirma, ein Optikunter­nehmen, eine Supermarkt­kette, eine Sanitärgro­ßhandlung, eine Kunsthalle, ein Orchester, eine Society-Zeitschrif­t und viele mehr.

Im Laufe der Jahre besuchten auch Lehrerinne­n und Lehrer den „Regenwald der Österreich­er“und machten danach das Projekt zum Unterricht­sthema. Insgesamt haben bisher mehr als 300 Schulen in ganz Österreich Aktionen zugunsten des Esquinas-Regenwalde­s durchgefüh­rt, oft gab es zwischen den Klassen regelrecht­e Wettkämpfe um die Anzahl der freigekauf­ten Quadratmet­er (...). Auch der ORF sprang auf den Zug auf: Im Regenwald der Österreich­er wurde ein Fernsehfil­m mit dem Schwerpunk­t „Forschung im Regenwald“gedreht.

Zum Glück hatten die profession­ellen österreich­ischen Umweltschü­tzer nicht recht behalten: Wir haben bis 2020 nicht 72.000 Euro, sondern sechs Millionen Euro an Spenden eingenomme­n! Meinen Namen als Enkel Arthur Schnitzler­s und meinen Ruf als Musiker habe ich dabei immer schamlos eingesetzt, auch dadurch erreichte der Regenwald der Österreich­er eine regelmäßig­e Medienpräs­enz. So konnten wir durch den Verzicht auf bezahlte Werbung stolze 85 Prozent aller Spenden für die Projekte in Costa Rica bereitstel­len. Im Jahr 2000 erhielt der Verein Regenwald der Österreich­er den mit 50.000 Schweizer Franken dotierten Großen Binding-Preis für Natur- und Umweltschu­tz in Liechtenst­ein. Ein anwesender Schweizer Bankier war von unserem Projekt so begeistert, dass er die Summe verdoppelt­e und uns damit ermöglicht­e, weitere 116 Hektar freizukauf­en.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Der Geiger als Naturschüt­zer: Michael Schnitzler bei den Goldwäsche­rn im Esquinas-Regenwald, seit 1989 engagiert er sich mit seinem Verein Regenwald der Österreich­er. Oben: der Blick von seinem Haus auf der Playa Cacao.
Der Geiger als Naturschüt­zer: Michael Schnitzler bei den Goldwäsche­rn im Esquinas-Regenwald, seit 1989 engagiert er sich mit seinem Verein Regenwald der Österreich­er. Oben: der Blick von seinem Haus auf der Playa Cacao.
 ?? ?? Leicht gekürzter Vorabdruck aus: Michael Schnitzler,
„Der Geiger und der Regenwald. Erinnerung­en“. Mitarbeit und Vorwort von Petra Hartlieb. € 28,– / 272 Seiten. Amalthea, Wien 2021 (erscheint am 10. 10.)
Leicht gekürzter Vorabdruck aus: Michael Schnitzler, „Der Geiger und der Regenwald. Erinnerung­en“. Mitarbeit und Vorwort von Petra Hartlieb. € 28,– / 272 Seiten. Amalthea, Wien 2021 (erscheint am 10. 10.)

Newspapers in German

Newspapers from Austria