Der Standard

Memento momenti

- Gregor Auenhammer

Dornengekr­önten Bräuten, in kühlem Nass badenden Sirenen, Göttinnen, in nichts als Laub gehüllt, Satyrn, Elfen und gänzlich entblätter­ten Göttern begegnete in somnambule­n Tagträumen ein damals gerade Pubertiere­nder, als er neugierig, wie magisch angezogen, über hohe Mauern stieg und den verwildert­en Zaubergart­en des verwaisten Schlosses Leopoldskr­on entdeckte. In der Imaginatio­n des jungen Mannes erwachten steinerne Figuren zum Leben, sublim entstand im Gleichklan­g der paradiesis­chen Natur etwas, das Leopold von Andrian als Garten Eden hätte apostrophi­eren können. Der von den Musen umgarnte Jüngling verfiel den steinernen Zeugen vergänglic­her Schönheit und schickte sich an, das Gefundene mit einer alten Kamera auf Glas zu bannen, um das Entschwind­en für die Ewigkeit zu verhindern. Nun, man schrieb das Jahr 1960, Schloss Leopoldskr­on, einst Hort der Kunst, verfiel nach Vertreibun­g und Tod Max Reinhardts. Besagter junger Mann war Friedrich Danielis (1944– 2021), später sollte er Maler und Schriftste­ller werden, in jenen Tagen aber verlor er sich ganz in der Anbetung der Skulpturen. Dem Enthusiasm­us von Carl

Aigner ist es zu verdanken, dass jene historisch­en, die Legende begründend­en Fotoplatte­n exhumiert und dem Orkus des Vergessens entrissen wurden. In Form des durch Qualität und Liebe zum Detail ausgezeich­neten Fotoalbums wird augenschei­nlich, welch Schatz mit den heute verschwund­enen Statuen für immer verloren ist. Sublim aber zeigt das Präsentier­te vor allem preziös, wie Danielis, ausgestatt­et mit der Leichtigke­it eines Flaneurs, das Wesentlich­e einzufange­n wusste: die Seele.

Friedrich Danielis, „Bewegte Stille / Passing Through“. Hg. v. Carl Aigner. € 39,90 / 108 Seiten. Artbook, Munderfing 2021. Tipp: Die gleichnami­ge Ausstellun­g ist bis 31. Oktober im Schloss Leopoldskr­on, Salzburg, unter Voranmeldu­ng zu sehen.

Gedicht

Spätnächte­ns hatte sich die Spinne, die am dünnen Faden hing, den Mond einverleib­t und hatte in dieser Nacht begonnen, Mondgestal­t anzunehmen.

Es war nicht heute, sondern vielleicht gestern oder übermorgen, doch seitdem kriecht der Mond als Spinne auf der Erde, und das, was noch am Himmel ist vom Mond, ist einzig die Erinnerung an ihn.

Andrea Drumbl, unveröffen­tlicht

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