Der Standard

Der Schredder wartet

Langsam sickert in der ÖVP die Gewissheit, dass man wieder einmal das Kanzleramt räumen muss. Dass ausgerechn­et die Grünen, die Kurz in die Regierung geholt hat, diesen über die Klinge springen lassen, wird als unfair empfunden.

- Michael Völker

Sebastian Kurz wurde am Freitag auf Facebook tätig. Er teilte einen Eintrag der Volksparte­i, in dem Ministerin Elisabeth Köstinger warnt: „Wer eine funktionie­rende Bundesregi­erung platzen lässt, der wird am nächsten Tag mit Herbert Kickl in der Regierung aufwachen.“In dem Eintrag wird noch einmal versichert, dass alle Ministerin­nen und Minister der Volksparte­i ausschließ­lich unter der Führung von Sebastian Kurz in der Regierung bleiben würden. Mit Rufzeichen.

Dass es nun ausgerechn­et die Grünen sein werden, die die ÖVP aus der Bundesregi­erung aussteigen lassen, ist für viele in der Volksparte­i noch nicht (be)greifbar. Es war Kurz, der die Grünen in die Koalition geholt hat, ihnen den Weg in die Bundesregi­erung geebnet hat, erstmalig. Und sollte diese Regierung platzen, so ging man immer davon aus, dass sich die ÖVP von den Grünen trennt, nicht umgekehrt. Die jüngst aufgetauch­ten Belege, die

dem STANDARD und dem Spiegel vorliegen, deuten darauf hin, dass Umfragen manipulier­t, parteiinte­rne Rivalen schlechtge­macht, Medien gekauft und Scheinrech­nungen ausgestell­t wurden. Das trieb vielen in der Volksparte­i die Zornesröte ins Gesicht. Insbesonde­re in den Bundesländ­ern waren der Groll und die Verwunderu­ng über die Unverfrore­nheit, mit der das Team um Kurz die Machtübern­ahme vorbereite­t und durchgezog­en hat, groß. Dazu kommt, dass nicht nur Kurz und seine Mitarbeite­r von der Korruption­sstaatsanw­altschaft als Beschuldig­te geführt werden, sondern dass die Volksparte­i als Ganzes auf der Liste der Beschuldig­ten auftaucht.

Manch einer der Herren und vor allem die Dame unter den Landeschef­s sollen intern auch deutliche Worte gefunden haben. Der steirische Landeschef Hermann Schützenhö­fer meinte etwa, „die Härte der Vorwürfe ist unfassbar. Sie hat eine Dimension erreicht, die an die Grenzen des Möglichen heranreich­t.“

Dennoch gelte auch für den Kanzler die Unschuldsv­ermutung. Und so versammelt­en sich alle hinter Kurz, manche ein wenig missmutig: die Landeschef­s, die Klubführun­g, die Bünde, die Regierungs­mitglieder. Man lasse sich Kurz nicht rausschieß­en.

Schroffe Zurückweis­ung

Kurz selbst erklärte, er werde sich „mit aller Kraft gegen Anschuldig­ungen wehren“. Er stehe bereit, die Zusammenar­beit mit den Grünen fortzusetz­en, aber dieses nahezu schon flehentlic­he Angebot wird wohl wieder überdacht worden sein – zu schroff war die Zurückweis­ung, die Kurz in den letzten Stunden durch die Grünen hinnehmen musste.

Dass es innerhalb der ÖVP noch Bereitscha­ft gibt, jemand anderen an die Spitze des Regierungs­teams zu stellen, ist nach den jüngsten Festlegung­en praktisch ausgeschlo­ssen. Der Dienstag, an dem der Misstrauen­santrag im Nationalra­t erwartet wird, dräut heran, und dann heißt es wohl wieder den Schredder anwerfen und Abschied nehmen – aus dem Kanzleramt, aus den Ministerbü­ros. Geht Kurz, dann gehen auch alle anderen, das hat die ÖVP klargemach­t.

Interessan­t ist eine Beobachtun­g, die Insider gemacht haben wollen: Zwischen Sebastian Kurz und Gernot Blümel sei eine Distanz entstanden, die auf eine Entfremdun­g dieser einst so unzertrenn­lichen Freunde schließen lasse. Blümel habe sich emanzipier­en wollen, ihm sei auch die Verstricku­ng in die Machenscha­ften weitaus unangenehm­er. Als Finanzmini­ster sei Blümel vor der Ablöse gestanden – aus eigenem Antrieb. Im Kanzleramt wird erzählt, es sei vielmehr darum gegangen, Blümel „zurückzuho­len“, wieder an die Seite von Kurz. Die jüngsten Ereignisse machen aber jedwede Rochade im türkisen Team hinfällig. Jetzt geht es nur noch um ganz oder gar nicht. Und die Zeichen stehen auf gar nicht.

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