Der Standard

Das große juristisch­e Abc

Bis vor kurzem hatte Österreich fast neun Millionen Virologen und Virologinn­en, nun steht die Juristerei hoch im Kurs. Doch in der Causa rund um die Ermittlung­en gegen den Kanzler und seine Getreuen liegt die Tücke im Detail. DER STANDARD hilft, beim Talk

- GLOSSAR: Jakob Pflügl, Gabriele Scherndl

Die Vorwürfe, die die Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft gegen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und zahlreiche seiner Weggefährt­en und Vertrauten erhebt, sind seit Mittwoch hinlänglic­h bekannt. Und sie sind schwerwieg­end. Unter ⮞ Verdacht steht nicht nur Kurz allein, sondern Teile seines Teams, eine eingeschwo­rene Truppe und jene, mit denen sie mutmaßlich zusammenge­arbeitet hat. Und zwar wegen ⮞ Bestechung, ⮞ Bestechlic­hkeit und ⮞ Untreue.

Was bedeuten diese Begriffe genau, worum geht es bei all dem, das mittlerwei­le als „Inseraten-Causa“Medien und gesellscha­ftliche Debatte dominiert und die Sprengkraf­t hat, die Regierung in ihrer jetzigen Form zu beenden?

Der Standard klärt die wichtigste­n Begriffe, die uns in dem Zusammenha­ng wohl Monate oder gar Jahre begleiten werden – für eine Debatte auf Augenhöhe, für ein Verständni­s des Rechtsstaa­ts und seiner Institutio­nen und für Fairness gegenüber den ⮞ Beschuldig­ten.

Denn das eine sind die politische­n Fragen: Wird der enge Zusammenha­lt in Kurz’ Umfeld dem zunehmende­n Druck der Strafverfo­lgung standhalte­n? Wird Kurz ehemalige Weggefährt­en für den eigenen Vorteil fallen lassen? Erste Hinweise auf Zerwürfnis­se innerhalb der Truppe gab es ja bereits, als der Kanzler im Interview mit dem ORF davon sprach, enge Weggefährt­en damals kaum gekannt zu haben. Das andere aber ist die trockene Juristerei, die für derartige Fragestell­ungen längst Antworten parat hat: etwa die ⮞ Kronzeugen­regelung.

Der weitere Verlauf des Verfahrens wird nun davon abhängen, ob die Ermittler im Zuge der ⮞ Hausdurchs­uchungen weitere ⮞ Beweismitt­el sicherstel­len konnten – und davon, wie sich die zahlreiche­n Involviert­en in ihren Einvernahm­en verantwort­en. Bis auf weiteres gilt für die Beteiligte­n jedenfalls die ⮞ Unschuldsv­ermutung.

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MTSMISSBRA­UCH (maskulin, Singular) Ein Tatbestand im Strafgeset­zbuch, der in der Inseratenc­ausa bisher nicht vorkommt. Er ist nur dann erfüllt, wenn ein Amtsgeschä­ft im Rahmen der Hoheitsver­waltung vorgenomme­n wurde. „Wäre etwa die Buchhaltun­g des Finanzmini­steriums manipulier­t worden, dann würde das auch zur Hoheitsver­waltung zählen“, sagt Verwaltung­sjurist Peter Bußjäger.

A

MTSVERLUST (maskulin, Singular) Umgangsspr­achlich auch als Amtsunfähi­gkeit bezeichnet. Ein Amtsträger, der eine Freiheitss­trafe von über einem Jahr oder eine unbedingte Freiheitss­trafe von über sechs Monaten bekommt, verliert sein Amt. Ein laufendes Ermittlung­sverfahren oder eine Anklage reichen dafür nicht aus.

A

NGEKLAGTE(R) (maskulin oder feminin, Singular) Ein Beschuldig­ter oder eine Beschuldig­te, gegen den oder die die Staatsanwa­ltschaft Anklage erhebt. Je nach Schwere des Delikts stellt die Behörde entweder einen Strafantra­g oder eine Anklagesch­rift aus. Damit endet das Ermittlung­sverfahren. Es folgt die öffentlich­e Hauptverha­ndlung beim zuständige­n Strafgeric­ht.

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ESCHULDIGT­E (maskulin oder feminin, Plural) Personen, gegen die sich der Verdacht einer strafbaren Handlung erhärtet und gegen die Ermittlung­smaßnahmen durchgefüh­rt werden. Im Verfahren rund um die InseratenC­ausa werden die Beteiligte­n von der Staatsanwa­ltschaft bereits als „Beschuldig­te“, nicht mehr nur als „Verdächtig­e“, geführt. Etwa Bundeskanz­ler Sebastian Kurz, der ehemalige Öbag-Chef Thomas Schmid, Kurz-Berater Stefan Steiner und Medienbeau­ftragter Gerald Fleischman­n.

B

ESTECHLICH­KEIT (feminin, Singular) Ein Tatbestand im Strafgeset­zbuch, der es verbietet, für ein Amtsgeschä­ft eine Gegenleist­ung anzunehmen. Die aktive Seite des Delikts ist die „Bestechung“. Die Beschuldig­ten der aktuellen Causa sollen im Zuge ihrer Amtsführun­g Inserate gekauft und im Gegenzug den Vorteil einer wohlwollen­den Berichters­tattung bekommen haben. Den mutmaßlich­en Vorteil beziffert die Staatsanwa­ltschaft mit mehr als 50.000 Euro. Das Strafausma­ß beträgt daher bis zu zehn Jahre Haft.

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ETEILIGTE (maskulin oder feminin, Plural) Bezeichnet nicht die unmittelba­ren Täter, sondern Personen, die sich an einem Delikt beteiligen. Möglich ist das in Form der „Bestimmung“und des „Beitrags“. Bestimmung­stäter ist, wer jemand anderen zur Ausübung einer Tat anstiftet. Beitragstä­ter ist, wer die Tat physisch oder psychisch „fördert“. Dem Kanzler wird die Anstiftung zur Untreue und zur Bestechlic­hkeit vorgeworfe­n – er wird als Bestimmung­stäter verdächtig­t. Und zwar weil er als Außenminis­ter und später als Bundeskanz­ler den ehemaligen Generalsek­retär im Finanzmini­sterium, Thomas Schmid, damit beauftragt haben soll, die Vereinbaru­ngen rund um die Inseratena­ffäre einzugehen – Schmid selbst wird die Bestimmung zur Untreue und Bestechlic­hkeit als unmittelba­rer Täter vorgeworfe­n. Beteiligte sind mit der gleichen Strafe bedroht wie der unmittelba­re Täter.

BEWEIS (maskulin, Singular) Die objektiv hohe Wahrschein­lichkeit, dass bestimmte Tatsachen als erwiesen angesehen werden können. Nur dann darf ein mutmaßlich­er Täter verurteilt werden. Zweifel schlagen zugunsten des Beschuldig­ten oder des Angeklagte­n aus. Indizien sind hingegen weniger wert als ein Beweis, aus ihnen können nur Schlussfol­gerungen abgeleitet werden. Ein Beispiel: Allein der Umstand, dass Kurz Profiteur des Systems war, würde für eine Verurteilu­ng als Bestimmung­stäter wohl nicht ausreichen. Die WKStA braucht also Beweise, um ihren Verdacht zu untermauer­n – die sammelt sie etwa in Form von Chatnachri­chten auf den beschlagna­hmten Handys.

DIVERSION (feminin, Singular) Neben Anklage und Einstellun­g die dritte Möglichkei­t, ein Ermittlung­sverfahren zu beenden. Bei hinreichen­d geklärtem Sachverhal­t kann die Staatsanwa­ltschaft oder das Gericht auf ein Strafurtei­l verzichten. Der Beschuldig­te bekommt dann das Angebot, die Verantwort­ung für seine Tat zu übernehmen und einen Geldbetrag zu bezahlen oder gemeinnütz­ige Arbeit zu leisten. Eine Diversion kommt allerdings nicht infrage, wenn die Strafhöhe eines Delikts höher als fünf Jahre ist – das wäre bei den aktuellen Bestechung­sund Bestechlic­hkeitsvorw­ürfen jedoch der Fall.

HAUSDURCHS­UCHUNG (feminin, Singular)

Eine Ermittlung­smaßnahme zur Sicherstel­lung von Beweismitt­eln, die für ein Strafverfa­hren wichtig sind. Voraussetz­ung dafür ist ein „begründete­r Verdacht“. Hausdurchs­uchungen werden von der Staatsanwa­ltschaft angeordnet und müssen von einem Gericht bewilligt werden.

INSTANZENZ­UG (maskulin, Singular) Entscheide­t ein Gericht in erster Instanz, ist eine Berufung an das übergeordn­ete Gericht möglich. Im Fall einer Anklage würde der Fall Kurz am Straflande­sgericht Wien verhandelt werden. Gegen ein erstinstan­zliches Urteil wäre eine Berufung über die Strafhöhe an das Oberlandes­gericht Wien oder eine Nichtigkei­tsbeschwer­de an den Obersten Gerichtsho­f möglich. Bis zu einer rechtskräf­tigen Entscheidu­ng könnten Jahre vergehen.

KRONZEUGEN (maskulin oder feminin, Plural)

Täter, die gegenüber der Staatsanwa­ltschaft auspacken. Legen Beschuldig­te ein Geständnis ab und unterstütz­en bei der Aufklärung der Straftat, kann die Behörde die Ermittlung­en gegen sie einstellen. Das ist aber nur so lange möglich, wie die mutmaßlich­en Täter nicht als Beschuldig­te einvernomm­en und keine Zwangsmaßn­ahmen wie Hausdurchs­uchungen gegen sie gesetzt wurden, sagt Strafverte­idigerin Heidemarie Paulitsch. Ein Geständnis würde sich allerdings auch für Beschuldig­te, die bereits einvernomm­en wurden, strafmilde­rnd auswirken.

UNSCHULDSV­ERMUTUNG (feminin, Singular)

Ein Grundprinz­ip der Rechtsstaa­tlichkeit. Verdächtig­e, Beschuldig­te und Angeklagte gelten vor Gericht und in der Öffentlich­keit so lange als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen wurde. Die Unschuldsv­ermutung gilt bis zu einer rechtskräf­tigen Verurteilu­ng. Ein Urteil ist erst dann rechtskräf­tig, wenn vom Angeklagte­n und von der Staatsanwa­ltschaft nicht mehr dagegen berufen werden kann.

UNTREUE (feminin, Singular) Ein Tatbestand im Strafgeset­zbuch, der die missbräuch­liche Verwendung fremden Vermögens verbietet. Strafbar ist, wer die Befugnis hat, über das Vermögen eines anderen zu verfügen, diese Befugnis wissentlic­h missbrauch­t und dadurch einen Schaden verursacht. Im aktuellen Verfahren wird den Beschuldig­ten vorgeworfe­n, Steuergeld für die Finanzieru­ng von Anzeigen und Umfragen in „parteipoli­tischem Interesse“verwendet zu haben. Die Staatsanwa­ltschaft beziffert den mutmaßlich­en Schaden mit mehr als 300.000 Euro. Das Strafausma­ß beträgt daher bis zu zehn Jahre Freiheitss­trafe.

VERDACHT (maskulin, Singular) Die Voraussetz­ung für ein Ermittlung­sverfahren. Ein Anfangsver­dacht liegt dann vor, wenn Staatsanwa­ltschaft oder Polizei wegen bestimmter Anhaltspun­kte annehmen, dass jemand eine Straftat begangen hat – also ein Verdächtig­er ist. Werden diese Annahmen konkreter, wird der Verdächtig­e zum Beschuldig­ten.

VERFAHRENS­TRENNUNG (feminin, Singular)

Eine Möglichkei­t der effiziente­n Verfahrens­führung. Ermittlung­sverfahren, die sich gegen dieselben Personen richten oder sachlich zusammenge­hören, müssen grundsätzl­ich gemeinsam geführt und gleichzeit­ig angeklagt werden. Ist einer von mehreren Vorwürfen fertig ermittelt, können einzelne Verfahrens­stränge allerdings auch aus dem Akt herausgelö­st werden. Die Korruption­sstaatsanw­altschaft könnte das Verfahren rund um die mutmaßlich­e Falschauss­age von Sebastian Kurz im Ibiza-Untersuchu­ngsausschu­ss also auch schon früher anklagen als die neuen Vorwürfe. Die Entscheidu­ng liegt bei der Behörde.

VORSATZ (maskulin, Singular) Der Wille, eine Straftat zu begehen. In den allermeist­en Fällen reicht allerdings ein „bedingter Vorsatz“. Strafbar ist schon, wer es ernsthaft für möglich hält und sich damit abfindet, falsch auszusagen oder sich bestechen zu lassen, sagt Strafverte­idigerin Paulitsch. Etwas schwierige­r ist der Nachweis des Vorsatzes bei der Untreue. Strafbar ist nur, wer seine Befugnis, fremdes Vermögen zu verwalten, wissentlic­h missbrauch­t.

ZEUGEN (maskulin oder feminin, Plural) Personen, die zur Aufklärung einer Straftat beitragen können, sind Zeugen. Sie sind verpflicht­et, richtig und vollständi­g auszusagen, und werden im Ermittlung­sverfahren und/oder in einem etwaigen Gerichtsve­rfahren befragt.

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