Der Standard

„Das ist ein bisschen eine Hexenküche“

- INTERVIEW: Lisa Nimmervoll

„Wenn Sie zu lesen bekommen, Politiker XY ist eine ‚Rakete, die aufsteigt‘, dann macht das etwas mit der Aufmerksam­keit des Publikums.“Martin Weichbold

Der Soziologe Martin Weichbold weiß, was seriöse Umfragen ausmacht – aber auch, wo der Schleichwe­g ist, wenn man mit ihnen manipulier­en möchte. Gefordert sind dabei auch die Medien, die im Umgang mit politische­n Umfragen eine wichtige Rolle spielen. Über Meinungsmä­rkte, Shootingst­ars und unscharfe Lupen.

Mit den Korruption­svorwürfen gegen Bundeskanz­ler Sebastian Kurz (ÖVP) und seine engsten Mitarbeite­r, wonach Meinungsum­fragen – mutmaßlich zudem über das Finanzmini­sterium aus Steuergeld – „gekauft“worden sein könnten, um dann in einem Boulevardm­edium, im konkreten Fall in Österreich, gefällig veröffentl­icht zu werden, sind auch die Umfragefor­schung und die Praktiken gewisser Medien in Verruf geraten. Martin Weichbold, Professor für empirische Sozialfors­chung, erklärt, was eine „gute“Umfrage ausmacht und wo man tricksen kann.

STANDARD: Was sagen Sie zu den kolportier­ten Vorgängen rund um Gefälligke­itsumfrage­n?

Weichbold: Da muss man zwei Dinge trennen. Die Umfragen selbst, also den methodisch­en Aspekt: Wie erhebt man Daten? Wie schaut der Fragebogen aus, wie die Stichprobe etc.? Und dann ist ganz entscheide­nd: Was macht man mit der Studie? Wie geht man damit um?

STANDARD: Wo ist da aus Ihrer Sicht der einfachste oder beste Schleichwe­g, wenn man mit politische­n Umfragen tricksen wollte?

Weichbold:

Mit der Methodik kann man das Ergebnis natürlich zu einem gewissen Grad beeinfluss­en. Es ist ja oft die Rede von „Datenerheb­ung“. Aber das ist ein falscher Begriff, das lehre ich meine Studierend­en auch. Es ist in jedem Fall eine Datenkonst­ruktion, denn das Instrument beeinfluss­t das, was herauskomm­t. Und dabei kann man viele Fehler machen. Man kann es „quick and dirty“machen – oder sauber und korrekt anlegen.

STANDARD: Wie schwer oder leicht sind denn nun Umfrageerg­ebnisse bewusst zu schönen?

Weichbold: Eine bewusste Manipulati­on, dass ein Politiker besonders gut aussteigt, ist auf dieser Ebene nur beschränkt möglich. Denn wenn da sehr plump suggestive Fragen gestellt werden, fällt das ja auf. Bei der Sonntagsfr­age etwa kann man wenig manipulier­en, die ist standardis­iert. Es werden außerdem viele Umfragen von unterschie­dlichen Instituten veröffentl­icht. Da geht es vielleicht um ein paar Zehntelpro­zentpunkte, die man auf dieser Stufe „holen“kann. Ein komplett anderes Ergebnis mit Umfragen ist nicht möglich. Was Manipulati­onen angeht, ist dort viel mehr drin, wo es darum geht, was man mit den Daten aus der Umfrage tut. Das größere Potenzial für Manipulati­onen kommt im späteren Verlauf eines Umfragepro­jekts.

STANDARD: Die Öffentlich­keit erfährt jedenfalls nicht, wie aus den ursprüngli­chen Daten die Daten geworden sind, die veröffentl­icht werden.

Weichbold: Ja, das ist ein bisschen eine Hexenküche, in die sich die Institute auch nicht hineinscha­uen lassen. Wenn jemand gezielt etwas machen wollte, dann müsste er genau auf dieser Stufe eingreifen, wo es darum geht: Wie komme ich von den Rohdaten zum finalen Ergebnis? Da ist schon etwas mehr möglich. Nur ist das eben eine Art Blackbox – und ein entscheide­nder Unterschie­d zur wissenscha­ftlichen Forschung, die offen und transparen­t mit ihren Daten und Ergebnisse­n umgeht. Denn für die Umfrageins­titute ist das natürlich auch ein Geschäftsm­odell. Das sind Unternehme­n, in die Außenstehe­nde keine Einsicht bekommen.

Standard: Was weiß man, was wissen Sie als jemand, der viel zu Umfragen und Datenquali­tät geforscht und publiziert hat, über die Vorgänge in der Blackbox, die aus Roh- Enddaten macht?

Weichbold: Da geht es zum Beispiel darum, dass sich in der Sonntagsfr­age – „Welche Partei würden Sie wählen, wenn am nächsten Sonntag Nationalra­tswahl wäre?“– nur wenige offen deklariere­n und es einen relativ großen Anteil an Befragten ohne eindeutige Antwort gibt. Dann versucht man, über zusätzlich­e Fragen Präferenze­n herauszufi­nden, etwa indem man nach Sympathie oder danach fragt, wie wichtig jemandem der Klimawande­l ist. Wenn man dann Undeklarie­rte Parteien zuordnet, hat man einen gewissen Spielraum. Das sind langjährig­e Erfahrungs­werte und interne Modelle, die die Institute natürlich ungern preisgeben. Dass die FPÖ bereits unter Jörg Haider keine Bekenntnis­partei war, wurde in die Modelle eingepreis­t, so wie das Phänomen der Grünen als „Umfragekai­ser“. Das hat man erkannt und einkalkuli­ert. Wie genau, ist aber quasi ein Betriebsge­heimnis. Hinzu kommt, dass Umfragen generell einen Mittelschi­cht-Bias haben, gerade auch bei Onlinebefr­agungen, weil man die Unter- und die Oberschich­t weniger erreicht. In diese Gruppen kommt man einfach weniger rein.

STANDARD: Letztlich sagen Sie damit, das große Einfallsto­r, wo sich für eine Partei oder einen Politiker wirklich etwas „machen“oder „holen“lässt mit Umfragen, ist der – nennen wir es euphemisti­sch – mediale „Begleitboo­ster“, etwa ein Lobhudel-Kommentar, der die Umfrage quasi „beglaubige­n“soll. Was natürlich aus medienethi­scher Sicht ein Sündenfall par excellence ist.

Weichbold: So ist es. Mit den methodolog­ischen Details von Umfragen wie Stichprobe­ngröße oder Schwankung­sbreite können die Leserinnen und Leser in der Regel nicht viel anfangen. Aber wenn sie zu lesen bekommen: Politiker XY ist eine „Rakete, die aufsteigt“oder der „Shootingst­ar“, der seine Partei retten kann, dann macht das etwas mit der Aufmerksam­keit des Publikums. Und darum geht es ja vorrangig. Diese Umfragen werden dann als Marketingi­nstrument eingesetzt an der Schnittste­lle zwischen Berichters­tattung und Campaignin­g. Das ist viel wichtiger für Parteien: Wie nutze ich die Ergebnisse für meine Message? Im Idealfall, aus deren Sicht, wird es eine Kampagne, die von Medien unterstütz­t wird. Welchen Aspekt man letztlich aus einer Umfrage herausbrin­gt auf eine Titelseite – da kann man wesentlich mehr steuern.

STANDARD: Wie sollen Medien, die Umfragen veröffentl­ichen – auch DER STANDARD hat eine Kooperatio­n mit dem Linzer Market-Institut –, möglichst verantwort­ungsvoll damit umgehen, damit die Leserinnen und Leser das mit dem Gefühl lesen, dass sie dem glauben können?

Weichbold: Was immer hilft: Transparen­z. Angaben, wie groß die Stichprobe war, welche Umfragefor­m, also ob online, telefonisc­h oder face to face befragt wurde, sind heute schon Standard. Was oft schon nicht mehr gemacht wird, ist, die genaue Fragestell­ung offenzuleg­en. Für eine fundierte Einschätzu­ng durch Experten bräuchte es noch viel tiefer gehende Informatio­nen über die methodisch­e Vorgangswe­ise. Und natürlich müssen Medien sich genau überlegen, welchen Aspekt sie hervorhebe­n. Die Kanzlerfra­ge? Die Sonntagsfr­age? Etwas anderes? Auftraggeb­er sollten sich auch die Anbieter von Umfragen kritisch ansehen. Man braucht schon eine entspreche­nde Expertise und eine gewisse Infrastruk­tur, wenn man seriöse Umfragefor­schung betreiben will: von Interviewe­rn angefangen bis zur aufwendige­n Pflege eines Online-Panels mit vielen Tausend Leuten. Das kann man nicht allein oder so nebenbei machen.

Standard: Was können oder sollen politische Umfragen denn überhaupt leisten?

Weichbold: Gerade in der politische­n Meinungsfo­rschung oder der Marktforsc­hung gibt es natürlich finanziell­e und zeitliche Beschränku­ngen. Es muss sehr schnell gehen, und es muss auch finanziell leistbar sein. Man würde den Instituten unrecht tun, wenn man solche Umfragen mit rein wissenscha­ftlichen Kriterien misst. Man sollte nur klarer machen, was die Studien wirklich aussagen können, denn man möchte gerne herauslese­n, was sie eigentlich am schlechtes­ten können: eine genaue Punktschät­zung, wie eine Partei oder ein Politiker liegt. In Wirklichke­it sind Umfragen so etwas wie eine unscharfe Lupe, die ein durchaus etwas verzerrtes Bild liefern kann. Das ist an sich auch kein Problem, denn damit können etwa Verläufe durchaus valide abgebildet werden. Darum sind sie als innerparte­iliches Monitoring­instrument gut geeignet, wo es nicht auf Zehntelpro­zentpunkte ankommt, sondern wo man wissen will, wie ein Kandidat ankommt, ob eine Kampagne funktionie­rt oder eine Zielgruppe wegbricht. Oder man testet bestimmte Themen ab. Die allermeist­en dieser Umfragen werden ja auch gar nicht publiziert, sondern sind innerparte­ilich wichtige Instrument­e im Werkzeugko­ffer der jeweiligen Parteimana­ger.

MARTIN WEICHBOLD (52) studierte Soziologie, Politikwis­senschaft und Soziologie an der Uni Salzburg, wo er Professor mit Schwerpunk­t empirische Sozialfors­chung bzw. seit 1. Oktober Vizerektor für Lehre und Studium ist. Er publiziert vor allem zu methodisch­en Themen, insbesonde­re zu Befragunge­n, Datenquali­tät und interkultu­reller Sozialfors­chung.

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