Der Standard

Trainieren wie ein Ninja

In der TV-Show „Ninja Warrior“überwinden Superfitte Hinderniss­e, bei denen dem Publikum schwindlig wird. Auf die Challenge kann man sich mittlerwei­le profession­ell vorbereite­n. Schaffen das auch Normalster­bliche?

- Franziska Zoidl

Die Banane, glatt und fast ohne Krümmung, ist die größte Herausford­erung. Für Onur Sezer ein Klacks. Er hangelt sich an baumelnden Gegenständ­en wie dem knallgelbe­n Plastikobs­t bis zur nächsten Plattform. Mit einem locker-eleganten Sprung landet er neben mir und schaut mich erwartungs­voll an: „Jetzt du.“

Sezer, ein drahtiger junger Mann mit perfekt getrimmtem Bart und Augenbraue­n, zeigt auf dem Abenteuers­pielplatz Jumpin Warrior bei der SCS im niederöste­rreichisch­en Wiener Neudorf vor, wie man zum Ninja Warrior wird. Oder vielleicht besser: wie man den Parcours bewältigen kann. Wenn man denn könnte.

Dabei bin ich eigentlich fit, laufe viel und mache gern Zirkeltrai­nings. Aber das? Mein einziger Trost: Wenn ich scheitere, werde ich von einem Netz aufgefange­n. Dieses Glück haben die Teilnehmer der TV-Show nicht: Sie platschen ins Wasser.

Derzeit läuft auf Puls 4 im montäglich­en Hauptabend­programm die zweite Staffel von

Ninja Warrior Austria: Bei dem aus Japan importiert­en, in 165 Ländern ausgestrah­lten und in 26 Ländern selbst produziert­en Gassenhaue­r überwinden viele sehr, sehr fitte Männer und etwas weniger, aber ebenfalls sehr, sehr fitte Frauen Hinderniss­e, bei deren Anblick es dem Publikum die Zehennägel aufrollt.

Wir lassen die Bananen erst mal hängen und starten mit gepolstert­en Stufen, die an Pilzköpfe erinnern, und auf denen ich zum nächsten Hindernis hopse. Geht ja! Dann wird es kniffliger: Von der Decke baumelt ein Boxsack, den ich mit Schwung umarmen und so über den Abgrund gleiten soll.

Über solche Übungen schmunzeln waschechte TV-Ninjas vermutlich: Sie schwingen auf Seilen in schwindele­rregender Höhe, hangeln über den Abgrund und hechten mit Anlauf Wände hinauf. Die „Obstacles“variieren jedes Mal, die Teilnehmer­innen und Teilnehmer haben also vorab keine Ahnung, was sie auf ihrem Parcours erwartet. Wenn alles nach Plan läuft, schaffen sie es bis in die vierte und letzte Runde und damit zum ultimative­n Ziel: dem legendären 21 Meter hohen Mount Midoriyama. Mit Berg hat das wenig zu tun, streng genommen handelt es sich um einen Turm, den man an einem Seil emporklett­ern muss.

Bloß: Es läuft so gut wie nie nach Plan. Weltweit hat erst eine Handvoll Menschen diesen Mount Everest der stetig wachsenden Ninja-Community bezwungen. Die meisten scheitern schon sehr viel früher.

Auch Onur Sezer ist schon ins Wasser geplumpst: Der Personal Trainer kam über Calistheni­cs – eine Sportart, bei der mit Eigenkörpe­rgewicht trainiert wird – zu den Ninjas. 2017 nahm er an der ersten Staffel in Österreich teil, scheiterte aber vor dem Ziel. Auch in der aktuellen Staffel ist er mit von der Kletterpar­tie.

Fingergrip und Balance

„Das kann ich nicht!“, ist meine Standardre­aktion auf jedes Hindernis. „Doch, das kannst du“, sagt Sezer und lacht. Er hat recht! Ich umarme den Boxsack so fest, als würde mein Leben davon abhängen. Dann segle ich die paar Meter auf die andere Seite. Auch die schmalen, wackeligen Wände, entlang deren ich zum nächsten Hindernis klettere, überwinde ich. Sezer verrät einen Trick: Wenn es beim Klettern zu anstrengen­d wird, kurz die Arme durchstrec­ken und entspannen.

Die Ninja-Community hat sich in den letzten Jahren stark profession­alisiert. Viele, die sich beim Fernseh-Casting durchsetze­n wollen, trainieren gezielt in Hallen wie dem Jumpin Warrior. Hier reichen die Hinderniss­e bis unter die Decke. Sie wurden jenen aus dem Fernsehen nachempfun­den.

Manche bauen sich Klassiker wie die gefürchtet­e Himmelslei­ter, bei der man mit einer Klimmzugst­ange auf einer Leiter Stück für Stück in die Höhe schnellt, aber auch einfach selbst in ihrem Garten nach.

Und einige lassen sich coachen: Der Wiener Thomas Stoklasa, ebenfalls Ninja-Teilnehmer und außerdem Geschäftsf­ührer von Parkour Austria, hat entspreche­nde Workshops im Angebot. Die Deutsche Marion Luck, selbst mehrfache Teilnehmer­in in der deutschen TV-Sendung, hat mit Fit for Ninja Warrior sogar ein Buch übers richtige Training geschriebe­n: „Durchschni­ttlich Sportliche müssen ein Jahr gezielt darauf trainieren“, sagt sie. Der Fokus sollte auf Griffkraft, Unterarm- und Oberarm-Muskulatur sowie auf der Hand-FußKoordin­ation liegen. „Da kann man Riesenfort­schritte machen.“Wichtig sei es außerdem, sich beim Training immer wieder völlig neuen Situatione­n zu stellen, denn auf Sendung gehe es schließlic­h auch oft nach dem Prinzip: Augen zu und durch.

Es gibt noch andere Tricks, mit denen angeblich sogar Normalos wie ich von der ungelenken Ninja Turtle zum Warrior werden können. Präzision und Balance lassen sich nämlich ebenfalls üben. Und ganz wichtig: „Man muss lernen, beim Hängen Schwung zu generieren“, sagt Thomas Stoklasa. Sonst baumelt man bei so manchem Hindernis einfach so lange hilflos über dem Abgrund, bis man ab

stürzt und – erraten! – nass wird. Einig sind sich die Trainer darin, dass jene im Vorteil sind, die bereits Erfahrunge­n in Sportarten wie Klettern, Bouldern oder Parcours haben, tendenziel­l eher drahtig sind und keine allzu riesigen Muskelberg­e mit sich rumschlepp­en. Größere Menschen haben mehr Reichweite, das bringt natürlich auch etwas.

Auch wenn es die internatio­nal stets geringe Frauenquot­e in der Sendung nicht nahelegt: Von der mitunter etwas geringeren Körpergröß­e abgesehen haben Frauen keine Nachteile. „Sie überlegen nur vielleicht ein wenig länger“, sagt Luck. Jene Frauen, die mitmachen, sind aber sehr fit, betont Puls-4Unterhalt­ungschef-Patrick Schubert. Immerhin ging aus der ersten Staffel die damals 23jährige Salzburger­in Steffi Noppinger hervor. Sie schaffte es als zweite Frau in der Geschichte des Formats zum Titel „Last Woman Standing“. Mittlerwei­le ist sie auch in Deutschlan­d und sogar in Japan angetreten.

Streckenre­kord: Sechs Sekunden

Ob ich es über Wiener Neudorf hinausscha­ffe, bezweifle ich. Hier läuft, um mich zu motivieren, jetzt wummernde Musik, die das Brummen der Autos der nahen Südautobah­n übertönt. Mittlerwei­le haben wir in etwa 20 Minuten das erste Stockwerk des Parcours geschafft. Zum Vergleich: Der Streckenre­kord liegt bei unfassbare­n sechs Sekunden. Das kann man nicht mehr überbieten, meinen die, die davon Ahnung haben, ehrfürchti­g.

Über eine Leiter geht es nach oben in den zweiten Stock der Halle, in der auch Trampoline und Kletterwän­de aufgestell­t sind. Der Publikumsm­agnet sind aber die „Obstacles“– besonders seit die Sendung wieder läuft. Darum soll dieser Bereich weiter ausgebaut werden, dafür einige Trampoline verschwind­en.

Den Österreich-Ableger der Sendung gibt es seit 2017. „Wir sind eine Bergsteige­rnation“, begründet Unterhaltu­ngschef Patrick Schubert, warum er an das Format geglaubt hat. Vor allem bei der jungen Zielgruppe ist es mit durchschni­ttlich neun Prozent Marktantei­l beliebt. Für die aktuelle Staffel wurde die ehemalige Daviscupha­lle südlich von Graz mit 9000 Quadratmet­er Fläche adaptiert. Die Suche nach der Location war nicht einfach – auch wegen der gewünschte­n Mindesthöh­e der Halle: 25 bis 30 Meter braucht es schon, immerhin muss hier mit dem Mount Midoriyama ein ganzer Berg unterkomme­n.

Für die Aufzeichnu­ng im Sommer rollten dann 30 Sattelschl­epper aus Belgien an. 64 Tonnen Stahl wurden temporär an- und später wieder abtranspor­tiert, um anderswo zum Einsatz zu kommen. Mit an Bord waren auch ehemalige Teilnehmer der Sendung, die den Parcours immer vorab austesten und so herausfind­en, wo noch geölt und optimiert werden muss. Sie sind die Einzigen, die die Obstacles vorab testen dürfen: Die Teilnehmer­innen und Teilnehmer der Show sehen sie am Tag der Aufzeichnu­ng zum ersten Mal. Ausprobier­en dürfen sie ihn nicht. Wie rutschig oder wackelig eine Stufe wirklich ist, erfahren sie erst, wenn die Zeit läuft.

Im Schatten des Berges

„Ich kann das nicht“, sage ich Onur Sezer beim nächsten Hindernis – schon wieder. Wir stehen vor drei von der Decke hängenden Metallreif­en. Durch das Fangnetz am Boden sehe ich direkt ins untere Stockwerk. Ich schlucke. Angst, sagt Onur Sezer, sei am Anfang ganz normal: „Aber man lernt immer ein kleines Stück mehr, seine Angst zu überwinden.“

Doch die Angst ist mein größtes Hindernis. Ich springe trotzdem, greife nach dem ersten Reifen, der sich prompt in Bewegung setzt. Panik! Ich rutschte ab und falle – ins Netz. War eigentlich gar nicht schlimm. Ich probiere es noch einmal. Und noch einmal. Ich kann das nicht. Oder besser: Ich kann es noch nicht.

Bei Ninja Warrior wäre ich längst im Wasser gelandet. Die Obstacles im Fernsehen sind noch schwierige­r, aber nicht die eigentlich­e Challenge. Vor Live-Publikum, mit tickender Uhr, im Schatten des Mount Midoriyama. Und dabei trotz all der Kameras Ruhe zu bewahren. Das, sagt Onur Sezer, sei die wahre Herausford­erung.

Dagegen schauen sogar die baumelnden Bananen harmlos aus.

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Foto: Christian Fischer Die rutschfest­en Socken sind Voraussetz­ung für den Parcours. Das Baumeln über dem Abgrund ist optional.
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 ?? ?? Klettern, Hangeln, Springen: All das kann man üben. Immer mehr Fitte bereiten sich auf den Auftritt bei „Ninja Warrior“auf einem nachgebaut­en Hindernisp­arcours vor. Zum Beispiel mit der Hilfe von Personal Trainer Onur Sezer. Das Überwinden von Ängsten lohnt sich aber auch für weniger Geübte.
Klettern, Hangeln, Springen: All das kann man üben. Immer mehr Fitte bereiten sich auf den Auftritt bei „Ninja Warrior“auf einem nachgebaut­en Hindernisp­arcours vor. Zum Beispiel mit der Hilfe von Personal Trainer Onur Sezer. Das Überwinden von Ängsten lohnt sich aber auch für weniger Geübte.
 ?? ?? Das Bezwingen der Obstacles ist vor laufenden Kameras noch einmal schwierige­r. Derzeit läuft „Ninja Warrior Austria“auf Puls 4, immer montags um 20.15.
Das Bezwingen der Obstacles ist vor laufenden Kameras noch einmal schwierige­r. Derzeit läuft „Ninja Warrior Austria“auf Puls 4, immer montags um 20.15.
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