Der Standard

Die Vorwürfe

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Schon am 23. September 2021 beantragte die Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) beim zuständige­n Richter Hausdurchs­uchungen – etwa im Bundeskanz­leramt, im Finanzmini­sterium, in der Zentrale der ÖVP sowie bei der Mediengrup­pe Österreich. Diese wurden genehmigt und am vergangene­n Mittwoch durchgefüh­rt.

Gegen Kanzler Sebastian Kurz wird wegen des Verdachts der Untreue und der Bestechlic­hkeit als Beteiligte­r ermittelt (juristisch­es Abc siehe Seite 7). Dieselbe Verdachtsl­age trifft auf Personen im engsten Kreis um Kurz zu: Sprecher Johannes Frischmann, Berater Stefan Steiner und Medienbeau­ftragter Gerald Fleischman­n. Auch Thomas Schmid, Ex-Generalsek­retär und Kabinettsc­hef im Finanzmini­sterium, sowie Ministeriu­msmitarbei­ter Johannes P. werden Untreue und Bestechlic­hkeit vorgeworfe­n. Im Kern geht es um für Kurz günstige Umfragen, die mutmaßlich über Scheinrech­nungen vom Finanzmini­sterium mit Steuergeld bezahlt wurden. Die Ermittler sprechen von „ausschließ­lich parteipoli­tisch motivierte­n“Umfragen, die für das (partei)politische Fortkommen von Kurz, seiner Gruppe sowie der ÖVP relevant gewesen seien. Hier kommen die Meinungsfo­rscherinne­n Sabine B. sowie Sophie

Karmasin, Letztere von Ende 2013 bis 2017 ÖVP-Ministerin, ins Spiel. Sie sollen die Vereinbaru­ng mit Schmid und P. eingegange­n sein und umgesetzt haben. B. wird zudem vorgeworfe­n, Scheinrech­nungen gelegt zu haben. Die Medienmach­er Wolfgang und Helmuth Fellner (Österreich,

oe24.at) sollen Inserate- und Medienkoop­erationsve­reinbarung­en mit dem Finanzmini­sterium eingegange­n sein. Teil des Deals: Im Gegenzug für Inseratena­ufträge können redaktione­lle Inhalte mitbestimm­t werden – etwa Berichte über von B. erarbeitet­e Umfragen. Teilweise seien diese laut WKStA auch mit einer Kommentier­ung von Wolfgang Fellner, B. oder anderen veröffentl­icht worden, die Kurz und der Gruppe seiner Vertrauten förderlich war.

Kurz ist in den Augen der WKStA die „zentrale Person: Sämtliche Tathandlun­gen werden primär in seinem Interesse begangen.“Gegen Wolfgang und Helmuth Fellner sowie Karmasin und B. wird wegen des Verdachts auf Untreue und Bestechung als Beteiligte ermittelt. Als Beschuldig­te werden auch die Bundes-ÖVP sowie die Mediengrup­pe Österreich geführt. Für alle Genannten gilt die Unschuldsv­ermutung. (krud)

weiß und hört, will die Volksparte­i an Sebastian Kurz festhalten. Die Variante eins ist also kaum wahrschein­lich. Kogler und Maurer treffen am Freitag auch „die ÖVP“, allerdings nicht Kanzler Kurz, sondern den türkisen Klubchef August Wöginger. In der Volksparte­i schöpfen manche noch die Hoffnung, die Grünen kämen noch „zur Besinnung“und blieben in der Koalition mit Kurz. Der Zug ist aber abgefahren. Es ist ein klassische­s Patt.

Neuwahlen, die zweite Option

Der Stichtag für die Zukunft der Republik ist somit der kommende Dienstag. Da wird das Parlament eine Sondersitz­ung abhalten. Und SPÖ, FPÖ und Neos werden zumindest Kurz, womöglich auch anderen türkisen Regierungs­mitglieder­n das Misstrauen ausspreche­n. Die Grünen legen sich offiziell noch nicht fest, aber sie werden diesen Misstrauen­santrag wohl unterstütz­en. Für die notwendige Mehrheit, um Kurz abzusetzen, würden sie die damit noch nötigen Stimmen liefern.

Eine logische Konsequenz daraus könnten Neuwahlen sein, die zweite Option – diese sind derzeit allerdings nicht besonders beliebt. Einzig die Freiheitli­chen geben sich offen. Aber für sie wie auch die anderen Parteien gilt: Allen fehlt das Geld für eine Wahl. Und niemand erhofft sich, dass sich dadurch die Faktenlage groß ändern würde. Denn alle Parteien schließen aus, mit Sebastian Kurz noch einmal eine Koalition einzugehen. So ist das jetzt, so wäre es wohl auch dann.

Die dritte Option ist also eine Art Regierung – oder wie die betroffene­n Parteien lieber sagen: „eine Form der Zusammenar­beit“– zwischen SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos. Seit Donnerstag telefonier­en die Spitzen der vier Parteien so oft und lange miteinande­r wie vermutlich niemals zuvor – auch abseits der vereinbart­en Treffen. Der große Schönheits­fehler an dieser Variante sind aus Sicht der drei anderen die Freiheitli­chen: Alle haben die Ablehnung

einer Koalition mit der FPÖ verbrieft in Parteipapi­eren oder zumindest tief im Mark sitzen. Die Grünen wollen sich dazu derzeit kaum äußern, in der SPÖ raunen schon einige, dass das doch der nächste Wahnsinn sei.

Finden die vier Parteien keinen kleinsten gemeinsame­n Nenner, bleibt die Light-Variante – Option Nummer vier: SPÖ, Grüne und Neos gehen eine Minderheit­sregierung ein, die FPÖ duldet diese.

Das scheint aus freiheitli­cher Sicht zunächst nicht besonders attraktiv. Am Freitagvor­mittag stellt Obmann Herbert Kickl unmissvers­tändlich klar, dass er Gespräche auf Augenhöhe wolle „und nicht eine Vorgangswe­ise, wo mehrere Parteien sich irgendwas ausmausche­ln und dann kommt man zu den Freiheitli­chen und sagt, wir sollen das unterstütz­en“.

Was auffällt: Kickl, der ja durchaus für ruppige Pressekonf­erenzen bekannt ist, spricht am Freitag mit ruhiger Stimme, wirkt fast gelöst. Warum, liegt auf der Hand – Kickl kann Kurz nicht ausstehen, hegt einen regelrecht­en Hass gegen ihn. Der neue FPÖ-Chef trägt diese Ablehnung schon das ganze Jahr über offen zur Schau. „Mein Kampfauftr­ag für 2021 lautet: Kurz muss weg“, sagte er Anfang Jänner, auch wenn er sich da noch auf die Pandemiepo­litik der Regierung bezog. Es ist freilich nicht der einzige Grund, wieso sich die beiden nicht ausstehen können: Als 2019 das Ibiza-Video publik wird, knüpft Kurz die Weiterführ­ung der türkis-blauen Koalition an den Rücktritt des damaligen Innenminis­ters Kickl. Und der hat ihm das nie verziehen.

Kickls politische Mitbewerbe­r wissen natürlich, wie sehr er sich ein Scheitern von Sebastian Kurz wünscht. Die Reaktionen auf die klare Ansage des blauen Scharfmach­ers am Freitag fallen deswegen gelassen aus. Kickl könnte momentan auch nur pokern, vermutet ein pinker Abgeordnet­er, letzten Endes gehe es ihm um eine Zukunft ohne Kurz. Kickl wisse aber, so der Mandatar, dass es vor allem beim Thema Corona kein Zusammenfi­nden mit SPÖ, Grünen und Neos geben könne – oder viel mehr: dürfe. „Dafür müsste er von seiner harten Linie abrücken, was seine Anhänger wahrschein­lich zu MFG treiben würde.“MFG, damit meint er die maßnahmens­keptische Neo-Partei, die gerade in Oberösterr­eich mit 6,2 Prozent und dem sofortigen Einzug in den Landtag überrasche­nd erfolgreic­h war.

Aber jenen, die meinen, Kickl könne einer Minderheit­sregierung zustimmen, damit er seinen „Kampfauftr­ag“erfüllt, nimmt er den Wind aus den Segeln: „Kurz ist schon weg.“

Wie wahrschein­lich eine geduldete Minderheit­sregierung ist, ist aber auch deshalb schwierig zu beurteilen, weil inhaltlich­e Details in den Parteigrem­ien großteils noch gar nicht besprochen wurden. Alle müssen selbst erst einmal die hunderten Seiten von Ermittlung­sakten lesen und die neuen Chats verdauen, die laufend bekannt werden. Die große Frage lautet: Was wollen wir jetzt? Abschließe­nd geklärt hat das noch keine Partei für sich. Für Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ist das auch in Ordnung so. Sie sieht nämlich die ÖVP am Zug. „Jetzt muss der Tag null sein“, sagt sie am Freitag vor ihrem Gespräch mit dem Präsidente­n.

Es sorgt aber auch das Fehlen eines klaren Anführers unter den anderen Parteien für Verzögerun­gen. Wer nun das Zepter in die Hand nehmen soll, ist umstritten. Neos und FPÖ verweisen auf die SPÖ, immerhin sei das die zweitstärk­ste Kraft. Dass die Grünen noch in Regierungs­verantwort­ung sind, spiele keine Rolle. Bei der SPÖ wird der Ball hingegen den Grünen zugeworfen.

Auch der Faktor Zeit spielt gegen die Parteien. „Mir fehlt die Fantasie, wie eine neue Koalition so schnell gebildet werden soll – mit oder ohne FPÖ“, sagt ein pinker Abgeordnet­er. „Wenn Türkis und Grün schon drei Monate lang ein Regierungs­programm verhandelt haben, wie soll sich das zwischen drei oder vier Parteien bis Dienstag ausgehen?“

Tiefe Gräben, Zeit zu knapp?

Sind die Gräben zwischen den Parteien am Ende also doch zu groß, die Zeit zu knapp? Dann bliebe natürlich noch eine fünfte Option – eine, mit der der Nationalra­t bereits Erfahrunge­n gesammelt hat: die Expertenre­gierung. Zwischen Juni 2019 und Jänner 2020 – also nachdem Bundespräs­ident Van der Bellen die türkis-blaue Regierung ihres Amtes enthob – wurde das Land von einer sogenannte­n Beamtenreg­ierung geführt. Bundeskanz­lerin Brigitte Bierlein, zuvor Präsidenti­n des Verfassung­sgerichtsh­ofs, und ihre zwölf Ministerin­nen und Minister waren allesamt keiner Partei zugehörig. Allerdings waren sie – und das ist ein entscheide­nder Punkt – zumindest ÖVP, SPÖ und FPÖ mehr oder weniger zuordenbar. Das Kalkül dahinter Misstrauen­santräge zu vermeiden, ging auf.

Zu dieser Variante äußerte sich bisher eigentlich nur Herbert Kickl. Er sei dezidiert gegen eine Expertenre­gierung, denn wenn die Apparate in den Ministerie­n dieselben blieben, ändere sich nichts. Kickl – und alle anderen Parteichef­s – hätte aber freilich nichts mitzureden. Finden sie keinen Konsens, wird dem Bundespräs­identen nicht viel anderes übrigbleib­en. Auch wenn es wohl das nächste Experiment auf Zeit wäre. Oder wie man aus allen Parteien hört: Über kurz oder lang wird wohl alles auf Neuwahlen hinauslauf­en.

„Es heißt nicht mehr: Kurz muss weg. Kurz ist weg. Das ist der neue Status. Auch wenn die ÖVP das noch nicht glauben will.“FPÖ-Obmann Herbert Kickl

 ?? Fotos: Christian Fischer ?? Auf den wenigen Metern zwischen Parlament und Hofburg herrschte am Freitag ein munteres Kommen und Gehen: Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen traf Vertreter aller Parteien, die Grünen luden die Chefs von SPÖ, FPÖ und Neos zu Gesprächen – inhaltlich­e Details wurden danach aber nicht bekanntgeg­eben.
Fotos: Christian Fischer Auf den wenigen Metern zwischen Parlament und Hofburg herrschte am Freitag ein munteres Kommen und Gehen: Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen traf Vertreter aller Parteien, die Grünen luden die Chefs von SPÖ, FPÖ und Neos zu Gesprächen – inhaltlich­e Details wurden danach aber nicht bekanntgeg­eben.
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