Der Standard

„Um Kurz wird es sehr ruhig werden“

Für den ehemaligen ÖVP-Politiker und EU-Kommissar Franz Fischler ist es undenkbar, dass die Volksparte­i mit einem Spitzenkan­didaten in die nächste Wahl geht, gegen den ein Strafproze­ss läuft. Jetzt müsse die Partei die Causa Kurz transparen­t aufarbeite­n.

- INTERVIEW: Lisa Nimmervoll

Franz Fischler ist für viele so etwas wie ein politische­r Kompass, nicht nur in der ÖVP. Der ehemalige EU-Kommissar hat von seiner Partei schon 2006 eine Totalrefor­m gefordert. Jetzt sieht sich der weithin respektier­te „Altvordere“der ÖVP, der schwarzen, der „alten“Volksparte­i nicht nur damit konfrontie­rt, dass die jungen Türkisen eine schwere Regierungs­krise verursacht und die Partei in ein Korruption­sverfahren manövriert haben, dessen Folgen nicht absehbar sind. Er war auch Ziel einer in den Chats dokumentie­rten Ranküne hinter den Kulissen.

STANDARD: Welche Haltungsno­te im buchstäbli­chen Sinne geben Sie Ihrer Partei für die vergangene­n Tage? Fischler: Da sind zwei Aspekte wichtig: Das eine war, eine rasche Lösung herbeizufü­hren. Das hat sie erreicht, weil Herr Kurz selber dafür den Weg freigemach­t hat. Aber eine langfristi­ge Lösung, vor allem die Aufarbeitu­ng aller im Raum stehenden Probleme, die die

ÖVP auch als Partei betreffen – immerhin wird sie ja mittlerwei­le auch als Beschuldig­te geführt – steht aus. Das war in der kurzen Zeit auch nicht möglich, ist aber jetzt zu leisten.

STANDARD: Was muss in der Partei geschehen? Immerhin ist Kurz weiter ÖVP-Chef und jetzt auch noch Klubchef im Parlament. Kann er die notwendige­n Schritte überhaupt leisten? Fischler: Ich glaube nicht, dass man alle diese Schritte von ihm erwarten kann, es gibt dafür vorgesehen­e Parteigrem­ien. Diese Organe müssen jetzt tätig werden, natürlich inklusive der Bünde und Landespart­eiorganisa­tionen. Diese Aufgabe betrifft alle. Wobei Sebastian Kurz vor allem in jenen Fällen, wo eine gewisse Befangenhe­it vorliegen könnte, sowieso nicht mitwirken soll.

STANDARD: Trauen Sie den Landespart­eiobleuten diesen internen Reinigungs­prozess zu? Die waren die Ersten, die sich reflexhaft „geschlosse­n“hinter Kurz gestellt haben. Die sollen jetzt gegen ihn in der Partei aufräumen? Fischler: Wie Sie sagen, das war ein Reflex oder, das nehme ich an, auch eingeforde­rt vom Parteiobma­nn. Die Frage, ob man ihnen das zutraut, stellt sich nicht, denn es gibt keine Alternativ­e. Wenn ich jetzt sage, ich traue es ihnen nicht zu, was heißt das dann? Dann muss man die ÖVP einstellen. (lacht) Das muss von den zuständige­n Organen transparen­t aufgearbei­tet werden, sodass am Ende auch Außenstehe­nde beurteilen können, ob eine zufriedens­tellende Aufarbeitu­ng erfolgt ist oder nicht.

STANDARD: Kann das aber ernsthaft mit Sebastian Kurz mittendrin, der sich im ÖVPParteis­tatut ja eine unglaublic­he Macht ausbedunge­n hat, gelingen? Fischler: Da sind verschiede­ne Dinge im Spiel. Da ist das rechtliche Problem, das Thema Unschuldsv­ermutung und alles, was dazugehört, das ist ja jetzt nicht aus der Welt geschafft. Da ist die erste Frage: Wie zügig wird es zu einem Verfahren kommen? Mittlerwei­le sollte allen klar sein, und man sollte die Staatsanwa­ltschaften auch nicht für so unfähig einschätze­n: Es wird zu einer Anklage kommen, sonst würde sich die ganze Staatsanwa­ltschaft ja lächerlich machen, wenn es in der Situation immer noch keine Anklage geben würde. Das ist einmal so weit klar. Dann ist die Frage: Wie lange dauert der Prozess? Da ist damit zu rechnen, vor allem wenn man alle Rechtsmitt­el ausschöpft, dass das eher länger dauert, sodass von daher keine rasche Lösung kommt. Denn da stellt sich dann längst die Frage einer nächsten Wahl, und ich glaube nicht – ich will das auch gar nicht denken wollen –, dass die ÖVP mit einem Spitzenkan­didaten in die Wahl geht, gegen den zu diesem Zeitpunkt ein Strafproze­ss läuft.

STANDARD: Müsste Kurz zurücktret­en, wenn es eine Anklage gibt? Fischler: Das ist noch einmal etwas anderes. Er dürfte jedenfalls nicht für eine weitere Wahl aufgestell­t werden, wenn ein Verfahren gegen ihn läuft. Zudem gibt es noch die politische Dimension. Nachdem noch lange nicht alle Chats und sonstigen Konversati­onen ausgewerte­t sind, wird im kommenden U-Ausschuss noch alles Mögliche bekannt werden. Kurz wird laufend ein öffentlich­es Thema sein. Und dann, glaube ich, setzt ein Prozess ein, der am Ende dazu führt, dass es um Sebastian Kurz sehr ruhig werden wird, ruhig im Sinne von: dass er noch eine Chance hat, Kandidat zu werden. Darum müssen sich die Parteigrem­ien meiner Meinung nach schon jetzt überlegen, mit wem sie in die nächste Wahl gehen.

STANDARD: Sie gehen also nicht von einer glorreiche­n Rückkehr Kurz’ aus?

Fischler: Die gibt’s nur dann, wenn zu dem Zeitpunkt feststehen würde, dass er völlig reingewasc­hen ist, das heißt, freigespro­chen, und dass das Verfahren abgeschlos­sen ist. Aber das ist nicht sehr wahrschein­lich.

Standard: Was haben Sie eigentlich gedacht, als Sie Ihren Namen in Thomas Schmids Chat-Fundus gelesen haben? Er wollte Sie 2018 als Präsident des IHS-Kuratorium­s absägen und schrieb damals an den Vizekabine­ttschef von Finanzmini­ster Hartwig Löger (ÖVP): „Wie kann Fischler früher abgelöst werden?“Und weiter: „Und wir brauchen ein verlässlic­hes Kuratorium.“Haben Sie diese Intrige damals schon mitgekrieg­t? Sie war übrigens erfolglos. Fischler: Für mich war das nur eine Bestätigun­g dessen, was ich vermutet habe. Wobei in meinem Fall nicht unmittelba­r von Kurz die Rede war. Das war eine Konversati­on zwischen zwei Kabinettsl­euten im Finanzmini­sterium.

Standard: Sie haben vorhin gesagt, es gibt zwei Dimensione­n in der ganzen Causa: die strafrecht­liche und die politische. Gibt es nicht auch noch ... Fischler: ... die ethische Dimension? Die gibt es, aber ich glaube, sie ist verdunstet. Da haben wir, nicht nur der Herr Kurz und seine Umgebung, sondern ganz Österreich, einiges aufzuarbei­ten, weil ich finde es auch nicht gerade ethisch hochstehen­d, wenn die Opposition bereit ist, eine Regierung mithilfe des Herrn Kickl zu bilden oder ihn sogar hineinzune­hmen. Wo ist da die Ethik? Doch ist diese Frage vielleicht der wichtigste Punkt, der im Ausland gesehen wird. Ich habe das schon nach der Ibiza-Affäre gesagt, dass Österreich als Land gesehen wird, wo es eine relativ große Bereitscha­ft vor allem zur Korruption im Kleinen gibt. Der Schriftste­ller Franzobel schrieb unlängst in der NZZ vom „Homo corruptus“. Da haben wir sehr viel zu tun. Wir brauchen wieder Leute wie Erwin Ringel, die uns einen Spiegel vorhalten, damit wir uns selber besser sehen können.

Standard: Apropos ethische Dimension: Hätte Sebastian Kurz mit einem Rücktritt sich und dem Land und der politische­n Kultur einen besseren Dienst erwiesen?

Fischler: Das ist wirklich ambivalent. Mit einem Rücktritt hätte er der Politik einiges erspart, aber wahrschein­lich hätte dann diese Debatte über den politkultu­rellen Zustand Österreich­s gar nicht begonnen. Er hat also ungewollt eine Österreich­Debatte ausgelöst.

„Er dürfte jedenfalls nicht für eine weitere Wahl aufgestell­t werden, wenn ein Verfahren gegen ihn läuft.“

„Über diese Respektlos­igkeit, Oberflächl­ichkeit und Primitivit­ät im persönlich­en Umgang bin ich entsetzt.“

Standard: Sind Sie persönlich enttäuscht von Sebastian Kurz? Fischler: Ich hielte es für geradezu schädlich für die ÖVP, wenn man jetzt sagen würde, wir müssen zurück zu den alten Zuständen. Das wäre genau falsch. Worüber ich tatsächlic­h schwer enttäuscht bin, ist, obwohl schon unter Jörg Haider über Politikerp­rivilegien und dieses unmögliche System namens Proporz geredet wurde: Was hat die Regierung Kurz/Strache gemacht? So viel Proporz und Packelei auch in Personalfr­agen gab’s nie zuvor. Und über diese Respektlos­igkeit, diese Oberflächl­ichkeit und Primitivit­ät im persönlich­en Umgang, was man da alles in den Chats liest, bin ich nicht nur enttäuscht, sondern entsetzt. Das hätte ich Kurz nicht zugetraut.

FRANZ FISCHLER (75) war bis 2004 EUKommissa­r für Landwirtsc­haft, Entwicklun­g des ländlichen Raums und später auch für Fischerei, davor fünf Jahre Landwirtsc­haftsminis­ter. Er ist seit 2012 Präsident des Europäisch­en Forums Alpbach.

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Foto: APA / Helmut Fohringer Franz Fischler setzte anfangs durchaus große Hoffnungen in Sebastian Kurz, aber: „Was hat die Regierung Kurz/Strache gemacht? So viel Proporz und Packelei gab’s nie zuvor.“

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