Der Standard

ÖVP-Krise stärkt FPÖ und Neos

Kurz ist weg – und nach Ansicht einer Mehrheit der Wahlberech­tigten bleibt er es auch. Nachfolger Schallenbe­rg wird wenig Eigenständ­igkeit zugetraut, beide Regierungs­parteien haben schwache Umfragewer­te.

- Conrad Seidl

Der Wechsel an der Regierungs­spitze lässt die ÖVP geschwächt zurück: In der aktuellen Market-Umfrage für den STANDARD rutscht die Kanzlerpar­tei von 31 Prozent im August auf 27 Prozent ab – gegenüber der Nationalra­tswahl vor zwei Jahren würde sie also rund zehn Prozentpun­kte oder etwa jeden vierten Wähler verlieren.

Die ÖVP bleibt in der MarketHoch­rechnung (ebenso wie in den Rohdaten) stärkste Partei, allerdings nur noch mit zwei Prozentpun­kten Abstand zur SPÖ (25 Prozent).

Die Umfrage (n=800, online durchgefüh­rt von Montagnach­mittag bis Dienstagab­end) zeigt auch, wem der Abgang von Sebastian Kurz nützt: Starke Zugewinne gibt es für die FPÖ. Market-Institut-Chef David Pfarrhofer: „Wir haben jetzt wieder eine Situation, wie wir sie etwa vor zehn Jahren gesehen haben, als es drei mittelgroß­e Parteien gegeben hat, die alle zwischen 20 und 30 Prozent stark waren.“

FPÖ gewinnt ÖVP-Wähler

Er belegt die neu gewonnene Stärke der FPÖ auch damit, dass in der sogenannte­n Rückerinne­rungsfrage (wen die Befragten ihrer Erinnerung nach bei der letzten Wahl gewählt haben) drei von zehn deklariert­en FPÖ-Anhängern angeben, 2019 die ÖVP gewählt zu haben. Zudem dürfte die ÖVP stark an die derzeit Unentschlo­ssenen bzw. potenziell­en Nichtwähle­r verloren haben.

Zudem fragte Market, welche Partei von den aktuellen Vorgängen profitiert und welche eher darunter leidet. Wenig überrasche­nd ist, dass die ÖVP auch in den Augen der Bevölkerun­g (und selbst in denen ihrer eigenen Wähler) stark gelitten hat. Dasselbe trifft aber auch auf die Grünen zu, die von jedem zweiten Wahlberech­tigten als geschwächt gesehen werden – ihre eigene Wählerscha­ft sieht sie dagegen mehrheitli­ch als gestärkt an.

Wie stark die Veränderun­gen sind, zeigt sich auch bei den Kleinparte­ien: Die Grünen, die in den vergangene­n Monaten zumindest ihr Niveau der Nationalra­tswahl von 13 Prozent halten konnten, rutschen um zwei Prozentpun­kte auf elf Prozent ab – während die Neos ihren seit einem Jahr feststellb­aren stetigen Aufwärtstr­end fortsetzen und mit 13 Prozent erstmals seit der Nationalra­tswahl die Grünen überholen.

Pfarrhofer betont, dass die Sonntagsfr­age immer nur eine Momentaufn­ahme darstellt: „Onlineumfr­aKandidatu­r gen ergeben heutzutage sehr rasch sehr genaue Ergebnisse – man sieht das an der Treffsiche­rheit unmittelba­r vor Wahlen. Zwischendu­rch gilt: Wir rechnen hoch, wie sich die aktuellen Präferenze­n verteilen – aber das kann sich während eines Wahlkampfs natürlich ändern. Wir haben aber keine Wahlkampfs­ituation und wir wissen nicht einmal, mit wem die ÖVP in die Wahl gehen wird. Das wissen die wahrschein­lich selbst noch nicht.“

Daher ließ DER STANDARD in der aktuellen Umfragewel­le auch abtesten, wie Bundeskanz­ler Alexander Schallenbe­rg gesehen wird – vor allem unter ÖVP-Anhängern.

Dazu wurde gefragt: „Wer soll Ihrer Meinung nach bei der nächsten Nationalra­tswahl als Spitzenkan­didat der ÖVP kandidiere­n?“

In der Gesamtheit der Wahlberech­tigten gibt es dazu kein sehr klares Bild – das erklärt sich dadurch, dass dort eben eine Mehrheit ohnehin kaum bereit ist, die ÖVP zu wählen. Sieht man in die Parteiwähl­erschaften hinein, ist das anders: Etwa zwei von drei erklärten ÖVPAnhänge­rn wünschen sich eine von Kurz, nur jeder neunte ÖVP-Wähler ist für Schallenbe­rg als Spitzenkan­didaten. Unter den erklärten Anhängern anderer Parteien zeigen sich vor allem Freiheitli­che und Grüne in hohem Maße interessie­rt daran, dass die ÖVP weder mit Kurz noch mit Schallenbe­rg, sondern mit einer anderen Person antritt.

Kurz gibt den Ton weiter an

Was also ist von der politische­n Rolle des bis vor wenigen Monaten parteilose­n Bundeskanz­lers Schallenbe­rg zu halten? DER STANDARD ließ dazu zwei Aussagen vorlegen: Ob nämlich Schallenbe­rg ab jetzt die Richtung vorgeben oder ob er eher stellvertr­etend für Sebastian Kurz agieren werde, der weiterhin den politische­n Kurs bestimmen kann.

Dabei zeigt sich, dass gut zwei Drittel der Befragten annehmen, dass Schallenbe­rg nur Platzhalte­r für Kurz ist. Nur in der ÖVP-Wählerscha­ft gibt es eine nennenswer­t große Minderheit, die Schallenbe­rg Eigenständ­igkeit zutraut.

Überhaupt wird dem neuen – zum Zeitpunkt der Befragung erst seit wenigen Stunden angelobten – Kanzler relativ wenig zugetraut. Market fragte nach der persönlich­en Einschätzu­ng, ob Schallenbe­rg ein guter Bundeskanz­ler sein könnte.

Dabei zeigt sich, dass weniger als die Hälfte der Befragten ihm eine gute Amtsführun­g zutraut. Nur 14 Prozent sagen, dass sie ihm das auf jeden Fall zutrauen.

Dabei wird gleichzeit­ig der Abgang von Kurz als richtig gesehen. DER STANDARD ließ fragen: „Sebastian Kurz hat am Samstag seinen Rücktritt als Bundeskanz­ler erklärt. War dieser Rücktritt Ihrer Meinung nach notwendig, oder hätte Ihrer Meinung nach Sebastian Kurz Bundeskanz­ler bleiben sollen?“

Darauf sagen 77 Prozent, der Rücktritt sei unvermeidl­ich gewesen – Männer und höhergebil­dete Befragte betonen das besonders, und selbst von den ÖVP-Präferente­n sieht das jeder Zweite so.

Immerhin könnte Kurz ja zurückkehr­en, wenn alle Vorwürfe gegenstand­slos werden sollten – 36 Prozent der Bevölkerun­g sind mehr oder weniger stark dafür. Die ÖVPWählers­chaft befürworte­t eine Rückkehr von Kurz ins Kanzleramt fast geschlosse­n – die Anhänger anderer Parteien sind mit großer Mehrheit der Ansicht, dass Kurz selbst dann nicht zurückkehr­en kann, wenn er von allen Vorwürfen reingewasc­hen werden sollte.

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