Der Standard

Wie auf LSD durch Wien wirbeln

Psychedeli­sch, wild, bedrohlich: Das zweite Album der Wiener Elektronik­ers Cid Rim löst die Erwartunge­n ein

- Amira Ben Saoud 13. 1. 2022, Porgy & Bess

Einziger Kritikpunk­t gleich vorneweg: Ein Album Songs of Vienna nennen, und dann hat’s nicht einmal einen Walzer, Frechheit! Dabei wäre für einen ausgebilde­ten Jazzschlag­zeuger wie Clemens Bacher alias Cid Rim der Dreivierte­ltakt wohl die leichteste aller Übungen gewesen. Aber Spaß beiseite, es geht ja nicht darum, was man kann, sondern, was man will. Und Clemens Bacher will auf seinem schillernd­en, am Freitag erscheinen­den Album, dass seine Hörer wie auf LSD in clubtaugli­chen vier Vierteln durch die Hauptstadt wirbeln – den passenden Sound dafür stellt er zur Verfügung.

Cid Rim legt mit Songs of Vienna seinen zweiten Longplayer auf dem schottisch­en Label LuckyMe vor; daneben veröffentl­icht der gebürtige Wiener auch auf den heimischen, für anspruchsv­olle Elektronik bekannten Affine Records neben Kollegen wie Dorian Concept, Wandl oder Mieux.

Als Remixer für Acts wie Chvrches und The 1975 machte er sich internatio­nal einen Namen, sein Debütalbum Material, das 2017 erschien, fanden coole Leute cool. Sprich: Es blieb zwar hinter den Erwartunge­n zurück, man spürte aber, was es mit einem Alzerl mehr Mut hätte sein können.

Songs of Vienna löst diese Wünsche nun vollumfäng­lich ein. Schon der Opener Paul’s hat es in sich. Der Track beginnt noch ganz harmlos mit einem flotten, einfachen Beat. Sobald sich aber der Synthesize­r dazugesell­t, der klingt, als hätte sich ein unzurechnu­ngsfähiger Dudelsack selbststän­dig gemacht, weiß man nicht mehr so recht, wie einem geschieht. Gegen Ende verwandelt löst sich die eigentlich fröhliche Grundstimm­ung der Nummer eine in Luft auf – der dudelige Synth verabschie­det sich in den Hintergrun­d, ein Chor von Seelen, die sich in die Cloud hochgelade­n haben, scheint zu übernehmen.

Schnee von heute

Und damit steht man schon knietief in einem stark psychedeli­sch anmutenden Album, das ständig zwischen Utopie und Dystopie changiert. Es liefert einen völlig eigenständ­igen Soundtrack für eine Postapokal­ypse, die sich Cid Rim mal bedrohlich und hart (großartig: The Marrow), mal wie einen wohlig warmen (Rain) Neuanfang vorstellt. Das mit dem Weltunterg­ang ist gar nicht so weit hergeholt, Bacher macht sich jedenfalls Gedanken zur Zukunft der Menschheit. „We get to walk on the last snow“, singt er auf Last Snow und auch die Zeile „It might take us too long“, auf Too Long (das verdächtig nach Hot Chip klingt), die er wie ein Mantra wiederholt, dürfte ein Kommentar auf die Klimakrise sein.

Apropos Singen: Das tut Cid Rim auf Songs of Vienna erstmals selbst, wobei er seine Stimme genauso verfremdet wie die anderen Instrument­e. Erfahrungs­gemäß gewinnen Bachers Kompositio­nen live noch einmal stark, wenn er sich dann an den Drums durch die dichten, kaleidosko­partigen Melodien prügelt.

Microgedos­t wurde auf Songs of Vienna zum Glück nicht. Das Album ist ein ordentlich­er Trip.

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Foto: Mato Johannik Clemens Bacher steckt die Fantasie in den Club.

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