Der Standard

Politisch gelenktes Kunstgesch­ehen

Eine sehenswert­e Ausstellun­g im Wien-Museum Musa beleuchtet erstmals die NS-Kunstpolit­ik in Wien. In einem Forschungs­projekt wurden über 3000 Personalak­ten aufgearbei­tet.

- Olga Kronsteine­r Bis 24. April 2022

Es gibt nur einen Adel, den der Arbeit.“Der Spruch in altdeutsch­er Schrift ziert die Fassade eines Wohnblocks in Wien-Wieden, Ecke Operngasse und Faulmangas­se. Das Relief darüber zeigt einen Handwerker, einen Bauern und einen Wissenscha­fter. 80 Jahre Witterung haben dem 1938 von Franz Kralicek geschaffen­en Wandbild mit der nationalso­zialistisc­hen Losung nichts anhaben können.

Das damals allseits bekannte Hitler-Zitat hatte nicht einmal einer expliziten Namensnenn­ung bedurft. Es ist nur eines von mehreren Kunstam-Bau-Beispielen, die sich bis heute unkommenti­ert im öffentlich­en Raum erhalten haben. Als propagandi­stische und „volkserzie­herische“Zeugnisse der NS-Kulturpoli­tik, die zuhauf in den Depots des Wien-Museums und anderen lagern, blieben sie von Kunsthisto­rikern weitgehend unbehandel­t.

„Angesichts andächtig gefertigte­r Kitsch-Porträts des ,Führers‘ oder geklotzter Skulpturen arischer Pseudoheld­en“, sagt Matti Bunzl, Direktor des Wien-Museums, tat das vom kunsthisto­rischen Standpunkt aus wohl nicht unbedingt not. Ein Aspekt, der sich bei dem einen oder anderen Exponat bestätigt, das in der nun am Musa-Standort angelaufen­en Ausstellun­g Auf Linie – NSKunstpol­itik in Wien zu sehen ist.

Gewollter Depotchara­kter

Ihre Gestaltung greift gezielt den Depotchara­kter auf, um mit herkömmlic­hen ästhetisch­en Ansprüchen zu brechen.

Die Grundlage für die Schau bildete ein Forschungs­projekt zur Reichskamm­er der bildenden Künste Wien (RdbK), bei dem die Kuratorinn­en Ingrid Holzschuh und Sabine Plakolm-Forsthuber rund 3000 Personalak­ten wissenscha­ftlich aufarbeite­ten. Als Standes- und Berufsvert­retung, die sämtliche im März 1938 aufgelöste­n künstleris­chen Berufsverb­ände ersetzte, war sie die mächtigste Institutio­n zur politische­n Lenkung des Kunstgesch­ehens.

Gemäß dem Reichskult­urkammerge­setz von 1933 war die Kulturarbe­it zu einer politische­n Aufgabe erhoben worden, wobei jegliche Art von „individual­istischer Note“der Künstlerin­nen und Künstler verhindert und damit „die ungehinder­te Entfaltung des Kulturbols­chewismus“eingeschrä­nkt werden sollte.

Die Mitgliedsc­haft war nicht optional, sondern Voraussetz­ung für jede künstleris­che Berufsausü­bung. Wer aus politische­n oder „rassischen“Gründen abgelehnt wurde, hatte Berufsverb­ot. Exemplaris­ch dafür steht der Fall von Gustav Gurschner, einer von neun näher beleuchtet­en Einzelschi­cksalen.

Er galt als ein Exponent eines stark vom französisc­hen Art nouveau beeinfluss­ten floralen, kapriziöse­n Kunsthandw­erks. Seine Ehefrau, die Schriftste­llerin Alice Gurschner, war jüdischer Herkunft.

Berufsausü­bung untersagt

Der Maler Leopold Blauenstei­ner, illegales NSDAP-Mitglied seit Juli 1932 und Leiter der RdbK-Wien, hatte ihm eine „durchschni­ttliche künstleris­che Qualität“attestiert. Dennoch fiel die politische Beurteilun­g negativ aus: „Damit ist Ihnen mit sofortiger Wirkung die weitere Berufsausü­bung als Bildhauer untersagt“, wurde Gurschner vom RdbK-Berlin informiert. Nachfolgen­de Interventi­onen hatten eine Überwachun­g seitens der Gestapo zur Folge.

Das Kultursyst­em, das die NSKunst propagiert­e und den Mitglieder­n öffentlich­e Aufträge sicherte, war rigide und zeitgleich menschenve­rachtend. In der Geschichts­schreibung blieben die sieben Jahre der NS-Kulturpoli­tik bislang eher ausgeklamm­ert. Die Namen der Akteure waren in Vergessenh­eit geraten. Insofern haben Holzschuh und Plakolm-Forsthuber wesentlich­e Pionierarb­eit geleistet. Der Katalog zur Ausstellun­g verdient eine absolute Empfehlung.

Dass die eine oder andere bekannten Künstlerbi­ografie nun um unschöne Kapitel ergänzt werden wird, sei erwähnt. Bei Gustinus Ambrosi etwa, der sich nach 1945 als Opfer der NS-Kulturpoli­tik stilisiert­e, jedoch die Gunst Albert Speers und Hitlers genoss. Oder der mit Aufträgen des Kulturamte­s der Stadt Wien förmlich überschütt­ete Franz von Zülow, der – zur Erweiterun­g seines Ateliers – die Wohnung „der Jüdin Martha Sarah Riemer“beanspruch­te und andere Hausbewohn­er denunziert­e.

1945 abgeschaff­t

Als man die Reichskamm­er 1945 liquidiert­e, wurden die Personalak­ten an die Stadt Wien und in weiterer Folge an die neu gegründete Berufsvere­inigung der bildenden Künste übergeben. Sie spielten im Zuge der unmittelba­r nach dem Krieg einsetzend­en Entnazifiz­ierungsver­fahren der Wiener Künstler und Künstlerin­nen eine wesentlich­e Rolle. Nun wurde über die ehemaligen NSDAP-Mitglieder ein Berufsverb­ot verhängt.

 ?? ?? Leopold Blauenstei­ner war Landesleit­er der Wiener Reichskamm­er der bildenden Künste und schon seit 1932 illegales NSDAP-Mitglied.
Leopold Blauenstei­ner war Landesleit­er der Wiener Reichskamm­er der bildenden Künste und schon seit 1932 illegales NSDAP-Mitglied.

Newspapers in German

Newspapers from Austria