Der Standard

SOS katholisch­e Kirche

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Alle reden vom Kanzlerwec­hsel – aber fast niemand redet von einem Ereignis, das sich derzeit im fernen Rom abspielt und gleichwohl von vielen als historisch bezeichnet wird. Papst Franziskus hat dort eine allgemeine Synode einberufen, die die tiefen Konflikte zwischen Traditiona­listen und Reformern in der katholisch­en Kirche zwei Jahre lang diskutiere­n und, so hofft er, lösen soll. Diese zweitausen­djährige Institutio­n mit ihren 1,3 Milliarden Mitglieder­n weltweit steckt nach Meinung von Experten in nichts weniger als einer Existenzkr­ise.

Das große Schiff des Christentu­ms sinkt auf Grund, sagt der tschechisc­he Theologe Tomáš Halík. Die katholisch­e Kirche befindet sich im freien Fall, meinte vor kurzem ein bekannter österreich­ischer Jesuit. Der renommiert­e Vatikanspe­zialist Marco Politi, neulich auf Vortragsre­ise in Wien, berichtet von intensiven Vorbereitu­ngen für das nächste Konklave, um den reformorie­ntierten Papst Franziskus durch einen Hardliner zu ersetzen. Und dieser selbst hat von „Hass in der Kirche“gesprochen und davon, dass viele gehofft hätten, er würde seine vor kurzem stattgehab­te Darmoperat­ion nicht überleben.

Franziskus hat sich in einflussre­ichen Kirchenkre­isen unter anderem deshalb unbeliebt gemacht, weil er drei Kardinäle suspendier­t und vor Gericht gebracht hat, zwei im Zusammenha­ng mit Missbrauch­sfällen und einen wegen Veruntreuu­ng von Kirchengel­dern. Früher wurde so etwas diskret vertuscht. Aber mehr noch als die Missbrauch­sskandale und die massenhaft­en Kirchenaus­tritte in deren Folge beschäftig­t viele Katholiken die Tatsache, dass die katholisch­e Kirche für immer mehr Menschen einfach nicht mehr relevant ist. D as Zweite Vatikanisc­he Konzil in den Sechzigerj­ahren war auch für die Medien ein großes Thema. Ebenso in Österreich das Kirchenvol­ksbegehren mit seinen über 800.000 Unterschri­ften in den Neunzigern und der ihm folgende „Dialog für Österreich“. Es ging damals unter anderem um die Rolle der Frauen, den Umgang mit Geschieden­en und Wiederverh­eirateten, die Öffnung für Andersgläu­bige und Andersdenk­ende. Viel ist aus alldem nicht geworden. Wo kommen wir hin, wenn der Kaplan heiratet und die Mutti predigen geht, fragte damals der inzwischen verstorben­e St. Pöltner Bischof Kurt Krenn.

All das ist inzwischen den meisten Menschen herzlich egal. Nicht egal ist ihnen freilich, im positiven wie im negativen Sinn, dass der Papst und die Kirchenlei­tungen nach wie vor und entgegen der Mehrheitsm­einung in vielen Gesellscha­ften unerschütt­erlich auf der Seite der Armen, inklusive der Flüchtling­e und Migranten, stehen. Auch das soll in der Synode thematisie­rt werden.

E ine Synode, sagt der Papst, ist kein Parlament mit Abstimmung­en und Mehrheitse­ntscheidun­gen. Es soll vielmehr miteinande­r geredet und einander zugehört werden, mit Respekt für andere Meinungen, andere Kulturen und vor allem mit breiter Beteiligun­g der Basis. Was in Berlin gewünscht wird, ist möglicherw­eise in Bombay inakzeptab­el.

Am Ende könnte mehr Regionalis­ierung stehen, mehr Diversität und weniger Autoritari­smus. Das ärgste Virus, sagt Franziskus, ist die Gleichgült­igkeit. Die freilich ist nach wie vor weit verbreitet.

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