Der Standard

7 Todsünden

Mit Posten schachern Nähe zu Kurz befähigt zu höchsten Positionen

- Theo Anders Kommentar Seite 48

Sebastian Kurz hat das Kanzleramt geräumt. Das System, das er um sich herum etabliert hat, bleibt aber vorerst weiter an der Macht. Doch woran krankt dieses System? Welche politische­n Methoden haben die türkise Partei nach strahlende­n Erfolgen nun in die Krise und ins Zentrum von Ermittlung­en geführt? Ein nicht allzu christlich­er Überblick.

Die Chats zwischen ÖVP-Chef Sebastian Kurz, dem früheren Generalsek­retär des Finanzmini­steriums, Thomas Schmid, und anderen Proponente­n des türkisen Führungszi­rkels haben zu Ermittlung­en samt Hausdurchs­uchungen geführt. Vor allem haben sie die Republik erschütter­t. Sie haben Einblicke in den Aufstieg, die Methoden und die Regierungs­arbeit des Systems Kurz eröffnet. Viele Tendenzen, die für politische Beobachter­innen und Beobachter schon länger sichtbar waren, können damit noch besser ausgeleuch­tet und verstanden werden. Besonders krass zeigen sie die Kluft zwischen den hehren Ankündigun­gen, mit denen Kurz antrat, und der düsteren Realität danach.

Nach Macht gieren Mit Einschücht­erung und Schikanen zum Ziel

Zu glauben, es gehe Politikern allein ums Gemeinwohl, wäre gar idealistis­ch. Das Maß an eigennützi­ger Brutalität, das aus den Kurz-Chats quillt, sticht aber heraus. Da will der aufstreben­de Außenminis­ter mithilfe von Thomas Schmid den Ausbau der Kinderbetr­euung torpediere­n, nur um der eigenen Regierungs­spitze keinen Erfolg zu gönnen. Zwar findet Schmid das Vorhaben eigentlich „geil“, doch Intrige geht vor sozial sinnvollen Inhalten – Kurz bietet dafür an, ein Bundesland „aufzuhetze­n“. Bei Inhalten ist der ÖVPChef ohnehin flexibel, soweit das seinem Machtstreb­en dient. Bezeichnen­d dafür war der von Umfragen getriebene Schwenk auf FPÖ-Positionen im Zuge der Flüchtling­skrise. Wenn Stimmungsm­ache gegen Asylwerber dem eigenen Fortkommen dienlich ist, wird sie eingesetzt. Manch Kritiker dieses Kurses wird hinter den Kulissen mit einer Machtdemon­stration überzogen. So etwa ein auf Menschenre­chte pochender Kirchenver­treter, den Kurz via Finanzmini­steriumsko­mpagnon Schmid mit dem Anziehen der Steuerschr­aube einzuschüc­htern suchte.

Marketing überhöhen Sachpoliti­k kommt unter die Räder

Große Ankündigun­g und eingängige Vermarktun­g gehen über alles, sachpoliti­sch klafft dahinter aber oft die große Leere. Dieses Muster ist über Jahre des Systems Kurz immer deutlicher zutage getreten. Mit der Kürzung der Mindestsic­herung für große Familien oder für Bezieher mit geringen Deutschken­ntnissen ließen sich gut Ressentime­nts schüren. Dass die Reform verfassung­swidrig war, nahm man sehenden Auges in Kauf – die Aufhebung durch das Höchstgeri­cht griff ja erst viele Monate nach der Schlagzeil­e. Die im März von Kurz angekündig­ten Sputnik-Impfdosen sind dann doch nie gekommen, auch das im Sommer des Vorjahres behauptete Ende der Gesundheit­skrise lässt zwei Pandemiewe­llen später noch auf sich warten. Regelrecht absurd wird das türkise Schielen auf vermeintli­ch populäre Botschafte­n, wenn sie ohne Beachtung der Realität stur weiterverk­ündet werden: Die Taliban standen schon vor Kabul, da wurde noch das Abschieben nach Afghanista­n propagiert. Ein substanzie­ller Diskurs wird bei derartiger Abkopplung von der Wirklichke­it zunehmend schwierig.

EParlament missachten Politische Aufklärung wird behindert

ine zentrale Rolle des Parlaments besteht darin, die Arbeit der Regierung zu kontrollie­ren. Wie wenig die Türkisen für diese demokratis­che Funktion übrig haben, stellten sie beim Umgang mit dem U-Ausschuss zur Schau. Wo es nur ging, hintertrie­ben sie die politische Aufklärung: Die Lieferung von Akten verschlepp­te Finanzmini­ster Gernot Blümel widerrecht­lich so lange, bis ihn der Bundespräs­ident dazu zwingen ließ. Als Auskunftsp­erson bestand seine häufigste Antwort im Verweis auf Erinnerung­slücken. Sebastian Kurz erzählte den Abgeordnet­en zwar mehr, allerdings deckte sich manches nicht so recht mit den später publik gewordenen Chats – die WKStA ermittelt daher wegen Falschauss­age, es gilt die Unschuldsv­ermutung. Seither lässt Kurz keine Gelegenhei­t aus, das Kontrollor­gan zu desavouier­en. Schützenhi­lfe bekommt er dabei von Wolfgang Sobotka, der als Vorsitzend­er eigentlich neutral sein müsste, aber die Parteiloya­lität stets vorzieht. Die Herabwürdi­gung des Parlaments brachte Kurz aber auch nach seiner dortigen Abwahl 2019 mit einem populistis­chen Slogan auf den Punkt: „Das Parlament hat bestimmt, das Volk wird entscheide­n.“

Medien steuern Von Inserateng­eld abhängig halten

M it einem gefinkelte­n Deal sollen ein ÖVP-Zirkel, eine Meinungsfo­rscherin und die Zeitung Österreich auf Kosten der Steuerzahl­er die Umfragewer­te für Kurz frisiert und die Kassen der Gebrüder Fellner befüllt haben. Die strafrecht­lichen Ermittlung­en wegen Untreue, Bestechung und Bestechlic­hkeit – es gilt die Unschuldsv­ermutung – weisen aber nur auf den Gipfel eines in sich korruption­sanfällige­n Systems der Medienfina­nzierung hin, das die ÖVP trotz vieler Reformvors­chläge perfektion­iert. Regierungs­werbung wird nach Gutsherren­art verteilt, wobei die türkisen Ministerie­n überpropor­tional viel Geld pro Leser in Boulevardm­edien stecken. Kurz-affine Zeitungen wie Österreich werden reichlich bedient, regierungs­kritische Qualitätsm­edien eher vernachläs­sigt. Dass da System dahinterst­eckt, hat jüngst Verleger Horst Pirker öffentlich gemacht: Nach einem ÖVP-kritischen Artikel in News habe sich das ÖVP-geführte Finanzmini­sterium prompt mit einem Inseratens­topp revanchier­t. Mit solchen Methoden wird unabhängig­e Berichters­tattung bewusst erschwert.

Justiz attackiere­n Aus der Regierung gegen Staatsanwä­lte

K ritik an der Justiz steht allen

zu. Wenn aber die Regierungs­partei eine Kampagne gegen die Behörden lostritt, nur weil ihr eigenes Umfeld von Ermittlung­en betroffen ist, wird es für die Unabhängig­keit der Justiz gefährlich. Just ab dem Moment, als die WKStA im Casinos-Verfahren auch hochrangig­e Türkise zu verdächtig­en begann, wurde sie von der ÖVP diffamiert. Zunächst verdeckt, als der Kanzler 2020 bei einem Gespräch mit Journalist­en die WKStA beleglos als Hort „roter Netzwerke“in Misskredit brachte. Ein Jahr später war man schon plumper und setzte auf justizpoli­tische Rache statt Rechtsmitt­el: Nach der Hausdurchs­uchung bei Minister Blümel konterte die ÖVP mit der – von den Grünen abgelehnte­n – Idee, die WKStA zu „entflechte­n“, sprich: zerschlage­n. Seit Kurz der Falschauss­age beschuldig­t wird, gibt es kein Halten mehr: In Pressekonf­erenzen zog die ÖVP gar über einen Staatsanwa­lt persönlich her oder erklärte Razzien vorsorglic­h für sinnlos. Kurz selbst stellt die WKStA als Teil einer linken Verschwöru­ng gegen seine Person dar. Der Rechtsstaa­t wird in die Defensive gedrängt, bei einer möglichen Anklage dürften sich die Attacken weiter radikalisi­eren.

Treue Gefolgsleu­te im Dunstkreis von Kurz dürfen mit hohen staatliche­n Positionen rechnen. Das krasseste Beispiel für dieses Prinzip bildete die Beförderun­g von Thomas Schmid an die Spitze der Öbag, die über 20 Milliarden Euro an Staatsante­ilen verwaltet. Nachrichte­n wie „Kriegst eh alles, was du willst“und „Du bist Familie“haben sich mittlerwei­le ins kollektive Gedächtnis eingebrann­t. Schmid schrieb den Ausschreib­ungstext für den Posten um, damit er doch noch zu seinen eigenen Qualifikat­ionen passte. Auch bei der türkisen Suche nach Aufsichtsr­äten stand unkritisch­e Loyalität als Kriterium weit oben: „steuerbar“sollten sie sein, wie es in einem Chat zwischen Schmid und Kurz heißt. Auch in früheren Regierunge­n gab es parteipoli­tische Günstlings­wirtschaft. Kurz hat sie aber trotz einst gegenteili­gen Verspreche­ns penibel vorangetri­eben. Zuletzt zeigte sich bei der Bestellung des ORF-Generaldir­ektors, dass jenen eine große Karriere vergönnt ist, die für Begehrlich­keiten der ÖVP-Führung offen sind. Unabhängig­e Kandidatin­nen und Kandidaten treibt man so in die Resignatio­n.

Keine Einsicht zeigen Opferrolle statt Reue und Fehlerkult­ur

Man kann Versäumnis­se zugestehen, Entgleisun­gen bedauern und bei politische­m Fehlverhal­ten aus eigenem Antrieb zurücktret­en. Die Türkisen inszeniere­n sich hingegen seit jeher als verfolgte Opfer einer Kampagne, an der Opposition, Medien und Justiz beteiligt seien. Selbst nach Auftauchen jenseitige­r Chats und der Korruption­sermittlun­gen versuchte Kurz erst, mit einem Rundumschl­ag zu kontern und „Leaks“zu beklagen. Autonom – ohne Druck des Koalitions­partners – zurückzutr­eten kam nicht infrage. Anstatt ordentlich für konkret Geschriebe­nes um Entschuldi­gung zu bitten, sagte Kurz neuerdings, er habe sich eh schon entschuldi­gt. Eine andere Version von Pseudoreue praktizier­t Finanzmini­ster Blümel, der sich „für den Eindruck, der entstanden“ist, „entschuldi­gt“hat, nachdem er vom Höchstgeri­cht zum Rausrücken zurückgeha­ltener Akten verdonnert werden musste. Subtext: Für den Eindruck sind ja immer auch die verantwort­lich, die ihn haben. Wie soll sich bei dieser Haltung der obersten Chefs auf unteren Ebenen eine Fehlerkult­ur entwickeln?

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