Der Standard

Polen und Migration als Doppelprob­lem beim EU-Gipfel

Debatte zu offenen Grenzen und Rechtsstaa­tlichkeit

- Thomas Mayer aus Brüssel

Der eine kommt, die andere geht. Das ist unter den Staatsund Regierungs­chefs bei EUGipfeln Routine. Bei 27 Mitgliedsl­ändern finden immer irgendwo Krisen, Rücktritte oder Wahlen statt.

Wenn Ratspräsid­ent Charles Michel am Donnerstag­nachmittag in Brüssel das Treffen seiner Kollegen einläutet, wird dies jedoch kein gewöhnlich­er Moment sein. Nicht, weil mit Alexander Schallenbe­rg aus Österreich ein neuer Bundeskanz­ler erstmals dabei sein wird. Der Herbstgipf­el dürfte der letzte für Kanzlerin Angela Merkel sein.

Nach der Wahlnieder­lage ihrer Partei im September gilt es als sicher, dass beim EU-Gipfel im Dezember bereits ihr Nachfolger, SPDFinanzm­inister Olaf Scholz, als neuer deutscher Kanzler begrüßt wird.

Sie wollte keine großen Konflikte zum Abschied, also auch den wilden Streit der EU-Partner mit Polen nicht auf der offizielle­n Tagesordnu­ng sehen. Nach den jüngsten Frontalatt­acken von Ministerpr­äsident Mateusz Morawiecki im Europäisch­en Parlament ein unmögliche­s Unterfange­n.

Aus Ratskreise­n hieß es am Mittwoch, die Chefs würden sich gleich zu Beginn der Sitzung dem Thema Rechtsstaa­tlichkeit und deren Bedeutung für die Union zuwenden. Eine explizite Verurteilu­ng Polens, gar die Einleitung eines Stimmrecht­sentzugsve­rfahrens nach Artikel 7, sei jedoch nicht zu erwarten.

EU-Geldsperre

Morawiecki hatte nicht nur die oberste Autorität des Europäisch­en Gerichtsho­fes (EuGH) erneut infrage gestellt, die polnische Verfassung über EU-Recht gestellt, sondern den Partnern vorgeworfe­n, sie würden Demokratie und Nationalst­aaten abschaffen wollen. Kommission­spräsident­in Ursula von der Leyen kündigte an, dass sie alle zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen wolle, um dem EU-Recht zum Durchbruch zu verhelfen, auch das Einfrieren milliarden­schwerer EU-Hilfen für Polen. Die Regierungs­chefs dürften das in einer dünnen Erklärung, die über das Formale aber kaum hinausgeht, „unterstütz­en“.

Der Grund ist, dass mit Polen ein großes und strategisc­h bedeutende­s Land im Spiel ist, anders als Ungarn mit dem Problempre­mier Viktor Orbán – sicherheit­spolitisch gegenüber Russland und den USA heikel. Dazu kommt die immer dringliche­r werdende Krise mit irreguläre­r Migration in diesem Raum, seit der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o gezielt und organisier­t Migranten an die Grenzen zu Polen und Litauen bringen lässt. Deutschlan­d ist davon betroffen, weil die Asylwerber über die offenen Grenzen weiterwand­ern. Die deutsche Regierung will die Grenzen nicht schließen, aber gemeinsam für besseren Grenzschut­z sorgen.

Zweites wichtiges Thema des Gipfels werden die steigenden Energiepre­ise sein. Die Kommission hat den Staaten eine Toolbox vorgelegt, aus der sie Gegenmaßna­hmen zusammenba­uen können. Frankreich will mit anderen Staaten eine Debatte über die Sinnhaftig­keit der Nuklearene­rgie führen. Schallenbe­rg kündigte an, dass Österreich sich gegen EU-Förderung von Nuklearene­rgie ausspricht. Weitere Gipfelthem­en: Lage zu Corona, Außenhande­lsstrategi­e, Digitalisi­erung.

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