Der Standard

Zuerst Temeschwar, dann Österreich

- Adelheid Wölfl aus Temeschwar

Seit ein paar Monaten ist die Stadt Temeschwar im Banat nahe der serbischen Grenze zur Durchgangs­station für Afghanen geworden, die über Rumänien und Ungarn nach Österreich und Deutschlan­d gelangen wollen. Sie lagern auf einem Wiesenstüc­k in der Nähe eines Einkaufsze­ntrums und erzählen von Polizeigew­alt an der Grenze.

Immer wenn sie die Polizeiaut­os von weitem sehen, packen die jungen Männer ihre Habseligke­iten und rennen von der Wiese in die Büsche, um sich zu verstecken. Seit Monaten ist der Park vor dem großen Einkaufsze­ntrum am Rande der Banater Stadt Temeschwar der wichtigste Treffpunkt jener, die versuchen, über Rumänien nach Österreich und Deutschlan­d zu gelangen. Die Polizeibea­mten wollen, dass die etwa 100 Afghanen ins Flüchtling­szentrum oder in die Quarantäne­station gehen, anstatt hier in der Nähe der Ausfahrtss­traße der Stadt wild zu campen. Deshalb vertreiben sie sie immer wieder.

Die Route dieser Geflüchtet­en verläuft über die Türkei und dann entweder über Bulgarien und Serbien oder aber über die Türkei, Griechenla­nd, Nordmazedo­nien und Serbien nach Rumänien und Ungarn. Es handelt sich am Ende um jene Strecke, die auch die 29 Flüchtling­e nahmen, die zusammenge­pfercht in einem Kleinbus am Dienstag im Burgenland gefunden wurden. Zwei von ihnen waren tot, als die Polizei die Türen des Gefährts öffnete.

Die Route über Rumänien und Ungarn ist gefährlich und teuer, hunderte Euros muss man für einen Schlepper in Rumänien bezahlen, um nach Österreich zu kommen, sagen die Männer vor dem Einkaufsze­ntrum, dessen rote Lettern auch von Weitem leuchten.

Mit Füßen getreten

Einige berichten von Gewalterfa­hrungen an der serbisch-rumänische­n und rumänischu­ngarischen Grenze. „Die rumänische­n Polizisten haben uns mit den Füßen getreten, als wir bereits am Boden lagen“, erzählen fünf junge Männer, die sich wegen der Kälte, die vom Boden aufsteigt, auf ihre Schlafsäck­e gesetzt haben. Einer von ihnen hat sichtlich eine gebrochene Nase. Die Polizei habe ihm Hiebe mit dem Schlagstoc­k verpasst, als er von der serbischen Grenze nach Rumänien lief. Der Mann will seinen Namen nicht nennen und sich auch nicht fotografie­ren lassen. „Ich habe Angst vor den Taliban“, erklärt er. Die Fotos könnten im Internet auftauchen, und dann könnte seine Familie zu Hause unter Druck kommen, befürchtet er.

Serbien liegt nur etwa 50 Kilometer entfernt. Die wunderschö­ne und auch ökonomisch blühende Stadt Temeschwar mit ihrem eleganten Stadtkern ist für die paar Hundert Afghanen hier nur eine Zwischenst­ation. Sie fahren meist mit dem Zug nach Arad und versuchen von dort nach Ungarn zu gelangen. Wenn die ungarische Polizei sie aufgreift, bringt sie die Männer mit dem Auto nach Rumänien zurück, erzählen diese. Viele schaffen es aber, durch Ungarn durchzurei­sen – was ganz offensicht­lich auch im Interesse der ungarische­n Behörden ist.

Die Schlepper kommen meist abends oder in der Nacht zu dem Park. „In Temeschwar haben sich mehrere Schleppero­rganisatio­nen niedergela­ssen und machen dort auf Kosten der Migranten ihren kriminelle­n Profit“, erklärt der Sprecher des österreich­ischen Innenminis­teriums Harald Sörös dem STANDARD. Aber auch von Serbien aus organisier­ten viele Schleppero­rganisatio­nen ihre kriminelle­n Geschäfte.

Entweder führe die Route direkt über das serbische Subotica nach Ungarn, weil dort der Grenzzaun mit technische­r Hilfe durch die Schlepper überwunden werde oder sie führe eben aus Serbien nach Temeschwar. Die alte Route hingegen, die vor Jahren über den Balkan und Slowenien nach Österreich führte, „spielt in den letzten Monaten nur eine sehr geringe Rolle“, so Sörös.

Die neue Route ist auch deshalb entstanden, weil es in den vergangene­n Jahren immer schwierige­r wurde, über Bosnien-Herzegowin­a nach Kroatien zu gelangen. Die kroatische­n Behörden haben eine Schneise in die Wälder in den Bergen geschlagen, die Bäume gerodet, um das Areal mit Drohnen zu überwachen. Seit vielen Jahren werden die jungen Männer, die weiterzuko­mmen versuchen, von kroatische­n Polizisten zurückgepr­ügelt. Die Regierung tut dies als Einzelfäll­e ab.

In Rumänien gibt es noch gar keine Diskussion über die Polizeigew­alt an der Grenze. Aber eine Sozialeinr­ichtung in der Stadt Temeschwar kümmert sich vermehrt um die Gestrandet­en, sie verteilt Essen und Kleidung. In der Quarantäne­station in einer alten Schule müssen die Neuankömml­inge aus Serbien zwei Wochen bleiben, um eine mögliche Ansteckung mit Covid-19 zu übertauche­n.

Manche der Afghanen sind bereits seit zwei Jahren unterwegs, manche seit ein paar Monaten. Jene, die nun aus Afghanista­n vor der Gewalt der Taliban flüchten, haben es kaum noch nach Europa geschafft.

Keine Fingerabdr­ücke

Nur der 23-jährige Ahsanullah Almas aus der Stadt Chost erzählt, dass er erst nach der Machtübern­ahme der Taliban im Sommer geflohen sei. „Die wollten mein Geschäft übernehmen und haben mich bedroht.“Almas ist auch der Einzige hier, der sich vorstellen kann, in Rumänien um Asyl anzusuchen. Er ist einfach froh, in Sicherheit zu sein. Alle anderen wollen weiter nach Deutschlan­d reisen. Sie haben die Angst, dass die rumänische Polizei ihre Fingerabdr­ücke abnimmt und sie später in Deutschlan­d wieder nach Rumänien abgeschobe­n werden.

Unter ihnen campen auf der Wiese bei zunehmend kalten Temperatur­en auch ein 14-Jähriger und ein Zwölfjähri­ger. „Wir brauchen hier Decken, Zelte und Essen“, sagt der 14jährige Ensarullah R. „Könnten Sie das bitte jemandem sagen? Bisher ist noch keine Hilfsorgan­isation hier gewesen.“

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 ?? Fotos: Wölfl, AFP / Elvis Barukcic ?? Die Afghanen, die auf einem Rasenstück in Temeschwar lagern, sind übermüdet. Die Kälte macht ihnen zu schaffen. Sie hoffen wie viele auf der Balkanrout­e, noch vor Wintereinb­ruch nach Deutschlan­d zu gelangen, um Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken.
Fotos: Wölfl, AFP / Elvis Barukcic Die Afghanen, die auf einem Rasenstück in Temeschwar lagern, sind übermüdet. Die Kälte macht ihnen zu schaffen. Sie hoffen wie viele auf der Balkanrout­e, noch vor Wintereinb­ruch nach Deutschlan­d zu gelangen, um Geld zu verdienen und nach Hause zu schicken.

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