Der Standard

Briefe sind sicherer als Handys

Die ÖVP beruft sich immer öfter auf das Briefgehei­mnis, wenn es um die Veröffentl­ichung der türkisen Chat-Protokolle geht. Tatsächlic­h gilt für Briefe ein strengerer Rechtsschu­tz als für Handys und deren Datenspeic­her.

- Michael Simoner

Geht es nach der ÖVP, dann sollen die Regeln für eine Beschlagna­hmung von Mobiltelef­onen sowie für die Auswertung von Handydaten neu gestaltet werden. Vor allem Verfassung­sministeri­n Karoline Edtstadler wird nicht müde, darauf hinzuweise­n, dass viele Chats, die im Zuge der Ermittlung­en gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und gegen Mitarbeite­r im türkisen Umfeld publik wurden, in der Öffentlich­keit nichts verloren hätten, weil sie rein privater Natur seien. Zuletzt bekräftigt­e Edtstadler am Dienstagab­end in der ORF-Sendung Report ihre Forderung nach einer „dem Briefgehei­mnis vergleichb­aren Regelung“für private Handykommu­nikation.

Schutz für Chats

Außerdem will die gelernte Juristin und frühere Richterin hinterfrag­en, wie die Chats in die Öffentlich­keit gelangt sind. Mit der Veröffentl­ichung von Handy-Auswertung­en würden immer wieder Menschen an den Pranger gestellt, ehe überhaupt entschiede­n sei, ob es ein strafrecht­liches Verfahren gebe. Schon im Juni, als veröffentl­ichte Chats den Umgangston in der türkisen Clique offenbarte­n, forderte Edtstadler, dass es mehr Schutz für private Chats, auch wenn diese via Diensthand­ys geführt werden, geben solle.

Sobotka sprach von Leaks

Auch Nationalra­tspräsiden­t Wolfgang Sobotka hat schon im Zusammenha­ng mit dem Ibiza-U-Ausschuss von einer Verletzung des Briefgehei­mnisses gesprochen, weil es seiner Meinung nach Leaks gegeben habe, durch die die Medien mit Informatio­nen versorgt worden seien.

Was steckt nun hinter dem Briefgehei­mnis, auf das die ÖVP in jüngster Zeit so laut pocht? Dabei geht es nicht so sehr direkt um den verfassung­srechtlich verbriefte­n Schutz der Kommunikat­ion zwischen Absender und Empfänger eines Briefes. Diesen Schutz hat nämlich die ÖVP erst 2018 gemeinsam mit der damals noch in der Regierung befindlich­en FPÖ ein wenig aufgeweich­t. Seither dürfen die Strafverfo­lgungsbehö­rden schon bei Straftaten, die mit mehr als einem Jahr bedroht sind, das Briefgehei­mnis negieren, also Briefe von Verdächtig­en oder an Verdächtig­e öffnen. Edtstadler geht es vielmehr darum, den Schutz der elektronis­chen Kommunikat­ion an jenen für Briefe anzugleich­en. Denn für eine Beschlagna­hmung von Briefen muss eine richterlic­he Genehmigun­g eingeholt werden, bei der Beschlagna­hme eines Handys reicht derzeit die Anordnung der Staatsanwa­ltschaft aus. Und damit verbunden ist natürlich die Auswertung der Daten auf einem Mobiltelef­on.

Angleichun­g an Überwachun­g

Auf diesen Unterschie­d haben auch Strafrecht­sexperten und Datenschüt­zer immer wieder aufmerksam gemacht. Denn in der Strafproze­ssordnung ist die Sicherstel­lung von Gegenständ­en geregelt, und dazu zählen nach derzeitige­m Stand eben auch Mobiltelef­one. Die Strafrecht­lerin Ingeborg Zerbes schlug schon im April vor, dass man sich beim Umgang mit Chats stärker an der Telekomübe­rwachung orientiere­n und den Zugriff der Strafverfo­lgungsbehö­rden an eine richterlic­he Bewilligun­g und einen dringenden Tatverdach­t binden sollte. Derzeit ist ein einfacher Verdacht ausreichen­d.

FPÖ vertraut wieder der Justiz

Für die FPÖ ist Edtstadler­s Forderung nach neuen Regeln für die polizeilic­he Sicherstel­lung von Mobiltelef­onen ein Ablenkungs­manöver von der türkisen Krise. „Eigentlich stellte sie all das in Zweifel, was das wahre Gesicht der ÖVP an die Öffentlich­keit brachte. Frau Edtstadler versuchte sich als Schutzschi­ld für das türkise System“, sagte der freiheitli­che Generalsek­retär Michael Schnedlitz am Mittwoch. Die FPÖ scheint nach der Ibiza-Affäre auch das Vertrauen in die Justiz wieder gefunden zu haben: „Kein Handy wird ‚einfach so‘ beschlagna­hmt. Eine Hausdurchs­uchung wird von einem unabhängig­en Richter genehmigt. Um diese Genehmigun­g zu bekommen, muss die Staatsanwa­ltschaft schon entspreche­nd belastende­s Material vorlegen“, so Schnedlitz.

 ?? Foto: Toppress/Schöndorf ?? Briefkäste­n haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Dabei hat das Briefgehei­mnis immer noch hohen Stellenwer­t.
Foto: Toppress/Schöndorf Briefkäste­n haben auch schon bessere Zeiten gesehen. Dabei hat das Briefgehei­mnis immer noch hohen Stellenwer­t.

Newspapers in German

Newspapers from Austria