Der Standard

Bundesbank­chef Weidmann hört auf

Der Chef der Deutschen Bundesbank lässt seinen Vertrag mit Jahresende auslaufen – aufgrund persönlich­er Erwägungen. Zum Abschied warnt der Notenbanke­r vor Inflations­risiken.

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In Berlin war man überrascht, als Bundesbank­chef Jens Weidmann den deutschen Bundespräs­identen per Brief um seine Entlassung bat. Ende des Jahres will sich der Volkswirt von der Spitze der deutschen Notenbank zurückzieh­en. Aus persönlich­en Erwägungen, wie er in einem Brief an die Mitarbeite­r der Institutio­n schreibt: „Ich bin zur Überzeugun­g gelangt, dass mehr als zehn Jahre ein gutes Zeitmaß sind, um ein neues Kapitel aufzuschla­gen – für die Bundesbank, aber auch für mich persönlich.“Im Mai 2019 war Weidmanns Mandat erneuert worden – bis 2027.

Der Rückzug habe nichts mit der Bundestags­wahl zu tun, berichtet das Handelsbla­tt mit Verweis auf wohlinform­ierte Insider. Weidmann habe den Schritt schon länger erwogen, auch aus Unzufriede­nheit mit dem Kurs der Europäisch­en Zentralban­k (EZB). Nicht nur hatte er bei der Kür des Nachfolger­s von ExEZB-Chef Mario Draghi gegenüber der Französin Christine Lagarde den Kürzeren gezogen. Weidmann fühlte sich mit seinem ordnungspo­litischen Ansatz im EZB-Rat strukturel­l in der Minderheit.

Der Notenbanke­r hat in der Vergangenh­eit immer wieder durchschei­nen lassen, dass er einen geldpoliti­schen Kurs streng innerhalb des Korsetts des Mandats der EZB präferiert. Die Institutio­n sei dafür da, für Geldwertst­abilität zu sorgen, nicht etwa, um Klimaschut­z zu betreiben. Und auch nicht, um Staaten zu finanziere­n. Sorge bereitet dem promoviert­en Volkswirt etwa das Corona-Notfall-Programm (PEPP). Es läuft bis März und gibt der EZB große Flexibilit­ät beim Kauf von Staatsanle­ihen. Sollte es verlängert werden, wäre das laut Weidmann ein ordnungspo­litisches Problem.

Es sei ihm wichtig gewesen, dass „die klare, stabilität­sorientier­te

Stimme der Bundesbank deutlich hörbar bleibt“. Insgesamt habe sich das Verhältnis von Bundesbank und EZB unter Weidmanns Ägide allerdings entspannt, sagen Beobachter. Sein Vorgänger

Axel Weber, dem Weidmann im Mai 2011 mit 43 Jahren nachgefolg­t war, hatte einst im Streit um die Krisenpoli­tik der EZB das Handtuch geworfen.

Warnung vor Inflation

Weidmann warnte zum Abschied vor Inflation: Es gelte, „nicht einseitig auf Deflations­risiken zu schauen, sondern auch perspektiv­ische Inflations­gefahren nicht aus dem Blick zu verlieren“. Eine stabilität­sorientier­te Geldpoliti­k werde zudem dauerhaft nur möglich sein, wenn der Ordnungsra­hmen der Währungsun­ion weiterhin die Einheit von Handeln und Haften sichere, die Geldpoliti­k ihr enges Mandat achte und nicht ins Schlepptau der Fiskalpoli­tik oder der Finanzmärk­te gerate: „Dies bleibt meine feste persönlich­e Überzeugun­g genauso wie die hohe Bedeutung der Unabhängig­keit der Geldpoliti­k.“

Nachfolger gesucht

Wer Weidmann nachfolgt, ist offen. Das Prozedere: Der Bundespräs­ident ernennt den Chef der Bundesbank auf Vorschlag der Bundesregi­erung. Noch ist die große Koalition unter Angela Merkel (CDU) im Amt, aber SPD, Grüne und FDP verhandeln bereits eine Ampelkoali­tion. Als wahrschein­lich gilt deshalb eine Personalie mit weniger konservati­vem Profil als Weidmann, der vor seiner Ernennung zum Bundesbank­chef Berater der Kanzlerin war. Denkbar als Nachfolger­in ist beispielsw­eise Isabel Schnabel, die im Direktoriu­m der EZB sitzt und der EZB-Chefin in geldpoliti­schen Fragen etwas näher steht.

Lagarde sagte, sie respektier­e und bedaure Weidmanns Rückzug – dieser sei auch ein guter persönlich­er Freund. (luis)

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Foto: AP Ginge es nach Jens Weidmann, sähe der Kurs der Europäisch­en Zentralban­k zum Teil anders aus.

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