Schwulenhass in Georgien
Spuren von Hitchcock in Elene Naverianis „Wet Sand“
Meeresrauschen, dann Musik. Eine Frontalaufnahme zeigt einen alten Herrn im Seidenkimono am Esstisch. Er schreibt einen Brief, trinkt Rotwein. Die Kamera rückt langsam von ihm ab und legt langsam den liebevoll gedeckten Tisch frei. Er beendet seinen Brief und packt ihn zusammen mit einer Rotweinflasche ein. An der Tür klopft es. Der Herr steht auf, geht aus dem Bild und rügt den Erwarteten im vertrauten Ton für sein Zuspätkommen.
Schnitt in eine karge, hellblau gekachelte Strandbar. Der Wirt sitzt am Tresen beim Rotwein. Glattrasiert, gepflegt gekleidet – schön wie ein gealterter Hollywoodstar. Und wieder rauscht das Meer. Auf der Terrasse sitzen zwei Dame-Spieler, die sich lautstark über das Bier beschweren. Ihr eingespieltes Genörgel überhört der Padrone geübt. Auftritt von Fleshka, der Kellnerin der Strandbar, die den Gästen Paroli bietet. Dann rufen Kinder vom Strand, dass sich einer erhängt hat. Der Tote ist der distinguierte Herr aus der ersten Szene.
Ein Dorf wird zum Mob
Die beiden Männer gehören zusammen, das gibt die atmosphärische Inszenierung der ersten Einstellungen sofort preis. Doch in dem kleinen georgischen Dorf weiß niemand davon. Deshalb muss sich Amnon unauffällig darum bemühen, dass der unbeliebt gewesene Selbstmörder Eliko ein Begräbnis bekommt.
Dazu reist dessen Enkelin Moe an, die wie ihr verstorbener Großvater sichtbar anders ist. Arrogant oder auch nur in dem Wissen, dass sie eine neugierig beäugte Attraktion ist, bewegt sie sich mit steinerner Miene durch das Dorf. Als herauskommt, dass Amnon und Eliko eine Beziehung hatten, spitzt sich alles zu. Das Dorf wird zum Mob, der im Zusammenhang mit dem homophoben christlich-orthodoxen Diktat keine Regelbrüche erlaubt.
Ein Dorf am Meer, ein Todesfall, eine verbotene Liebe. Die junge georgische Regisseurin Elene Naveriani spielt gekonnt mit den Zutaten des Suspense-Thrillers. Wenn die langen Einstellungen, die fokussierten Blickachsen und die satte Farbgebung, mit der die Außenseiter, ihre kühl schimmernden Hemden oder die groben Stiefel aus der braun-staubigen Umgebung herausdividiert werden, hie und da an einen melancholischen Hitchcock erinnern, dann ist das kein Zufall. Doch Naveriani vermag es auch, das Genre zu wechseln und fast schon utopische Töne anzuschlagen. Und so mündet die finale Bedrohung paradoxerweise in eine letzte Ehrerbietung.
Nicht die Ausweglosigkeit angesichts des queerfeindlichen Dogmas in Georgien, dem Heimatland der Regisseurin, dominiert denn auch den Film, der dieses Jahr in Locarno Premiere feierte, sondern das Abschiednehmen von einer Liebe, das – bei aller Schwere – immer auch ein Neubeginn ist.
Metro, 22. 10., 21.00
Stadtkino, 24. 10., 12.15