Schöne Erinnerungen, Selbstvorwürfe, alles im Fluss
Die Stimmung im Dunst eines Virus: „A River Runs, Turns, Erases, Replaces“von Shengze Zhu
Stumme Bilder einer Einkaufspassage in Wuhan, aufgenommen von einer Überwachungskamera zwischen Anfang Februar und April 2020: gespenstische Leere, Stillstand, vereinzelt fährt ein Liefermotorrad oder Reinigungsfahrzeug vorbei, fegt ein Straßenkehrer die leere Bühne des Asphalts. Am 4. April füllen sich die Straßen wieder mit Menschen. Als die Sirenen zu heulen beginnen, bleiben sie stehen – wie die Darsteller einer geheimnisvollen Choreografie.
Den Raum zwischen Bewegung und Innehalten durchmessen die folgenden Bilder des Films auf ganz andere Weise. Sie stammen aus einer Zeit, in der die Menschen noch dichtgedrängt zusammenstanden, um das imposante Lichtspektakel der Skyline zu bestaunen.
Es sind lange Panorama-Einstellungen in der Nähe des Jangtse bei Tag und bei Nacht, von der in Chicago lebenden chinesischen Filmemacherin Shengze Zhu mit einem außergewöhnlichen Blick für Konfigurationen und Perspektive kadriert: Menschenmengen am Ufer, Bauarbeiten an sehr gigantischen Brücken, Schiffsverkehr, ein überschwemmter Pavillon, Leute, die im Fluss baden, eine Tanzgesellschaft an der Promenade.
Einmal zeichnet eine Grabenbrücke, an der schemenhaft Arbeiter entlanglaufen wie Käfer an einem Stiel, eine Vertikale ins Bild.
Über die Bilder gelegt oder vielmehr hineingeweht die chinesischen Schriftzeichen von Briefen, die Stimmen bleiben stumm. Adressiert sind sie an einen Partner, eine Großmutter, einen Vater, eine Tochter. Sie alle sind nicht mehr da, werden schmerzlich vermisst. Warum, das ist bald zu verstehen.
Die Texte öffnen Räume der Erinnerung an unbeschwerte Momente, ein letztes Telefongespräch, einen letzten Spaziergang, aber auch an Zeiten, als noch keine Brücke die Ufer des Jangtse verband. Mitunter mischt sich in die Trauer über
die Corona-Toten etwas Quälendes: verpasste Gelegenheiten, Bedauern, Selbstvorwürfe.
Im Verschwinden von Leben ist der Fluss eine verlässliche Konstante, ein Trost. Zu sehen ist er im dynamischen Spiel der Neonlichter wie im diesigen Grau des Smognebels. Er ist wie ein großes Gedächtnis – „der Fluss vergisst nicht“.
Filmmuseum, 22. 10., 13.30
Metro, 31. 10., 16.00