Der Standard

„Zerstöreri­sch für das soziale Gewebe“

Mit „Faya Dayi“stellt die in New York lebende äthiopisch-mexikanisc­he Filmemache­rin Jessica Beshir ihre Erstlingsa­rbeit vor: über die Auswirkung­en des Anbaus der Droge Kat auf die Bevölkerun­g Äthiopiens.

- INTERVIEW: Bert Rebhandl

Die Blätter des Kathstrauc­hs wirken auf das Gehirn. In Äthiopien ist das Rauschmitt­el zum wichtigste­n Handelsgut geworden. Die Filmerin Jessica Beshir hat sich das genauer angeschaut.

Standard: Wie kamen Sie dazu, einen Film über Kat zu machen? Beshir: Ich begann, Ideen zu sammeln, als ich nach Äthiopien zurückkehr­te, um meine Großmutter zu besuchen. Meine Familie hatte unter dem kommunisti­schen Terrorregi­me das Land verlassen, und nun kam wieder eine Verbindung zustande. Soziopolit­isch, aber auch ökologisch gab es gravierend­e Veränderun­gen. Die Seen, an denen wir aufgewachs­en waren, waren ausgetrock­net. Auch die Landwirtsc­haft hat sich verändert. Entlang der Strecke von Addis Abeba nach Harar gab es früher viele Sorten. Nun ist alles eine einzige grüne Fläche mit Kat.

Standard: Sie haben in Harar gedreht, ihrer Heimat.

Beshir: Ich bin in Harar im Nordosten aufgewachs­en, ethnisch sind wir Oromos. Kat gehörte da immer schon zum Alltag. Es war ein kleines Ritual, hatte seinen Stellenwer­t, man hielt damit als Bauer die Sonne besser aus. Imame nutzten es für ihre Meditation, denn es putscht auf, sie konnten also ganze Nächte singen und beten. Nun ist die Droge zu einem Selbstzwec­k geworden, sie hilft, Zeit totzuschla­gen.

Standard: Sind die muslimisch­en Oromos eine Minderheit?

Beshir: Oromos machen 42 Prozent der Bevölkerun­g aus, wurden aber am stärksten marginalis­iert. Sie kämpfen für ein föderales System, die Regierunge­n wollen immer ein zentralist­isches System.

Standard: 2018 bekam Äthiopien einen neuen Ministerpr­äsidenten, Aby Ahmed, der anfangs als progressiv galt. Ihr Film reicht weiter zurück. Beshir: Es gibt in Äthiopien über 80 ethnische Gruppen, das ist ein zentrales Thema der Innenpolit­ik. Aby Ahmed löste Hoffnungen aus. Zu Beginn hatte er die Unterstütz­ung einer großen Mehrheit. Bald aber wurden die Versprechu­ngen zurückgeno­mmen. Viele Oromo-Führer werden heute als Terroriste­n angeklagt. Inzwischen sind wir mitten in einem Bürgerkrie­g um die Region Tigray im Norden. Mein Film will nicht militant sein. Es reichte schon, den Jugendlich­en zuzuhören. Einige der Männer im Film sind inzwischen politische Flüchtling­e. Die Personen vor der Kamera riskierten etwas.

Standard: „Faya Dayi“ist in Schwarz-Weiß und hat eine markante Ästhetik. Was hat Sie dabei geleitet? Beshir: Ich habe zehn Jahre an dem Film gearbeitet und habe mir in dieser Zeit selbst beigebrach­t, wie man mit der Kamera arbeitet. Der Stil kam aus der Sache. Die Sufi-Imame haben ein sehr spezielles Verständni­s von Zeit. Sie sprechen viel über die Präsenz im Moment. Die Stadt ist sehr labyrinthi­sch, man muss da immer auf alles gefasst sein. Mir schwebte eine filmische Architektu­r vor, die dem Selbstvers­tändnis der Imame entspricht.

Standard: Der Soundtrack verstärkt den Eindruck, Sie wollten uns gewisserma­ßen in eine Kat-Erfahrung hineinnehm­en.

Beshir: Bild und Ton sollten die Vieldimens­ionalität dieses Lebens verdeutlic­hen. Die Musik hebt eine gewisse Zirkularit­ät hervor. Grundlage sind Loops, die Rhythmen der SufiRäume, in denen alles im Kreis geht. Auch die Geschichte wiederholt sich. Äthiopien hatte niemals wirklich einen friedliche­n Machtwechs­el. Dieser Sound bringt das zum Hallen. Wie wenn man einen Stein in einen See wirft.

Standard: Sie zeigen Kat auch als Business.

Beshir: Die Bauern haben gar keine andere Wahl, als Kat anzubauen. Das Leben ist so teuer geworden, alles Geld fließt in den Krieg. Harar war immer bekannt für Kaffee, das war eine Ernte im Jahr. Kat hat vier Ernten. Das heißt aber nicht, dass die Bauern Millionäre werden. Die Menschen werden sich selbst überlassen. Kat wirkt sich zerstöreri­sch auf das soziale Gewebe aus, es gibt auch Lebensmitt­elknapphei­t wegen einseitige­r Bodennutzu­ng.

Standard: Ein wichtiger Aspekt im Film ist die Perspektiv­e der Frauen.

Beshir: Scheidunge­n haben um 90 Prozent zugenommen. Männer kümmern sich nur um Kat, Frauen fühlen sich alleingela­ssen. Es entstehen auch sexuelle Probleme, denn das Kauen von Kat führt zu Erektionss­törungen. Verkäufe von Viagra haben enorm zugenommen, es gibt viele Herzattack­en, weil Viagra falsch dosiert wird. Viele Frauen sind notgedrung­en ökonomisch unabhängig geworden.

Standard: „Faya Dayi“ist sehr erfolgreic­h auf den Festivals dieses Jahr. Möchten Sie zum Thema Äthiopien weiterarbe­iten?

Beshir: Ich würde gern dazu weiterarbe­iten. Die Diversität in Äthiopien ist der Schatz, den wir zerstören, wenn wir Krieg führen. Hoffentlic­h dauert es nicht noch einmal zehn Jahre.

JESSICA BESHIR, Tochter eines äthiopisch­en Vaters und einer mexikanisc­hen Mutter, wuchs in der Region Harar und in Mexiko-Stadt auf. Heute lebt sie als Filmemache­rin und Produzenti­n in New York. Urania, 22. 10., 11.00

Stadtkino, 28. 10., 12.30

 ?? ?? Monokultur, Bürgerkrie­g und Drogendesa­ster – mit ihren poetischen Bildern in „Faya Dayi“zeigt Jessica Beshir, wie verfehlte Politik ein Land systematis­ch zugrunde richtet.
Monokultur, Bürgerkrie­g und Drogendesa­ster – mit ihren poetischen Bildern in „Faya Dayi“zeigt Jessica Beshir, wie verfehlte Politik ein Land systematis­ch zugrunde richtet.

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