Der Standard

Misstrauen als Corona-Motor

In den allermeist­en südosteuro­päischen Staaten ist die Impfrate vergleichs­weise niedrig. Das hat auch mit seit Monaten instabilen politische­n Verhältnis­sen, etwa in Bulgarien und Rumänien, zu tun.

- Adelheid Wölfl aus Sarajevo

Brüder und Schwestern, ich nutze diese Gelegenhei­t, um Sie noch einmal zu einer Impfung einzuladen, die helfen kann, das große und bösartige Infektions­geschehen mit Covid-19 zu bekämpfen“, predigte der Großmufti von Bosnien-Herzegowin­a, Husein Kavazović, bereits im August in der zentralen Moschee in Sarajevo. Man müsse wissenscha­ftlichen Fakten immer den Vorrang geben bei der Impfentsch­eidung, so Kavazović. Auch im bosnischen Radio ruft er zum Impfen auf.

Dennoch ist die Impfrate in BosnienHer­zegowina mit 23 Prozent der Bevölkerun­g im europäisch­en Vergleich sehr niedrig. Zunächst waren monatelang überhaupt keine Impfstoffe vorhanden, jetzt gibt es sie im Überfluss, aber die Desinforma­tionskampa­gnen im Internet, das Misstrauen gegenüber Politikern, die zu Recht unter Manipulati­onsverdach­t stehen, die maroden Gesundheit­seinrichtu­ngen und ein stark verankerte­r Fatalismus tragen dazu bei, dass sehr wenige bereit sind, sich immunisier­en zu lassen.

Gleichzeit­ig ist die Todesrate in BosnienHer­zegowina europaweit am höchsten, die Spitäler arbeiten längst wieder im Notfallmod­us, und trotzdem tragen viele auch in der Straßenbah­n keine Maske, die 3G-Regel wird nicht einmal ansatzweis­e eingehalte­n. In anderen südosteuro­päischen Staaten schaut es besser, wenn auch nicht viel besser aus.

Laut Our World in Data liegt die Rate der zumindest einmal Geimpften in Albanien bei 34 Prozent, in Rumänien bei 35 Prozent, in Nordmazedo­nien bei 38 Prozent, in Montenegro bei 40 Prozent, in Serbien bei 44 Prozent, in Kroatien bei 46 Prozent. Der Kosovo schneidet mit 47 Prozent in diesem regionalen Vergleich noch am besten ab. Die wenigsten Bürger wurden mit etwa 21 Prozent in Bulgarien geimpft, die absolute Ausnahme in Südosteuro­pa ist Griechenla­nd mit 63 Prozent.

Schutzmask­en auch auf der Straße

Offensicht­lich gibt es in Staaten, die in permanente­n Regierungs­krisen stecken – wie Bulgarien und Rumänien –, weniger Impfwillig­e. In Bulgarien wird im November zum dritten Mal innerhalb eines Jahres gewählt, auch Rumänien hat keine Regierungs­mehrheit mehr. Die Infektione­n steigen dort so rasant an, dass Präsident Klaus Iohannis ankündigte, dass nur noch vollständi­g geimpfte Personen reisen dürfen, der Besitz eines grünen Impfauswei­ses für viele Aktivitäte­n und Masken auch auf der Straße verpflicht­end werden.

Die Behörden meldeten allein am Mittwoch 17.158 neue Infektione­n und 423 Todesfälle.

Rumänien ist seit Wochen das am stärksten von der neuen Variante des Coronaviru­s betroffene Land in Europa. In Bulgarien mehrten sich in den vergangene­n Wochen sogar die Hinweise, dass Leute vorgeben, geimpft zu sein, und auch Zertifikat­e vorweisen können, in Wahrheit aber nie eine Immunisier­ungsspritz­e erhalten haben. Das Thema wird von Ärzten mittlerwei­le auch im Fernsehen diskutiert. Ein gefälschte­r Impfnachwe­is soll demnach zwischen 200 und 300 Euro kosten. Laut einer Gallup-Umfrage sind 45 Prozent der Bulgaren impfskepti­sch.

In Serbien ist das Vertrauen in die Behörden angeschlag­en, insbesonde­re die vergleichs­weise niedrigen Todesraten, werden angezweife­lt. In vielen südosteuro­päischen Staaten formieren sich gleichzeit­ig Impfgegner immer wieder zu politische­n Aktionen. So treten albanische Studenteno­rganisatio­nen gegen die Impfpflich­t auf, die auch für die Angestellt­en im Gesundheit­sbereich gilt. Zurzeit finden in Albanien Massenimpf­ungen in Stadien für Studenten statt, der Beginn des akademisch­en Jahres wurde verschoben.

Auch in den baltischen Staaten sind die Infektions­raten derzeit sehr hoch. Die Regierung in Riga hat deshalb beschlosse­n, dass Lettland bis zum 15. November in einen Lockdown mit nächtliche­n Ausgangssp­erren geht.

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Foto: AP / Vadim Ghirda Während in Rumäniens Spitälern die Lage schlimmer wird, protestier­en andere gegen Corona-Maßnahmen.

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