Der Standard

Haftstrafe­n für IS-Fantasien

Am Donnerstag mussten sich zwei mutmaßlich­e IS-Anhänger vor dem Landesgeri­cht in St. Pölten verantwort­en. Beide dockten ein wenig an den Wiener Attentäter an, hatten aber nichts mit dem Anschlag zu tun.

- Vanessa Gaigg, Jan Michael Marchart, Gabriele Scherndl

Erst am Mittwoch präsentier­ten die Behörden den bisherigen Zwischenst­and, was Ermittlung­en gegen das direkte und erweiterte Umfeld des Wiener Terroratte­ntäters betrifft. Gegen 30 Personen wird aktuell ermittelt, dazu kommen Beschuldig­te, die nicht direkt mit dem Attentäter in Kontakt standen, aber im Zuge der Ermittlung­en an anderer Stelle aufschluge­n. Gegen gleich zwei Personen wurde am Donnerstag am Landesgeri­cht in St. Pölten verhandelt. Darunter war ein Teilnehmer sogenannte­r „Sonntagszu­sammenkünf­te“von IS-Sympathisa­nten in einer Wohnung in der niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tstadt, bei denen auch der spätere Attentäter mitunter zugegen war.

Der Teilnehmer der „Sonntagstr­effen“, ein 24-jähriger St. Pöltner, war bereits 2018 einige Monate nach einer Terrorveru­rteilung in Haft. Nun musste er sich unter anderem wegen einer Drohung gegen einen Mitarbeite­r eines Deradikali­sierungspr­ogramms, einer Falschauss­age und wegen der Mitgliedsc­haft in einer Terrororga­nisation verantwort­en.

Essen, reden, beten

Der Prozess kreiste in erster Linie um die Wohnung in St. Pölten. Geladen waren zahlreiche Zeugen, die klären sollten, was dort tatsächlic­h geschah – immerhin wurde dort eine gut ausgestatt­ete salafistis­che Bibliothek vorgefunde­n. Die Angaben zu den Geschehnis­sen waren unterschie­dlich: So meinten einige Zeugen, man habe dort eben gegessen, geredet, gebetet. Andere sprachen einerseits von Arabischun­terricht, anderersei­ts von Unterricht über Islam und Sünde. Außerdem existiert eine Audiodatei, auf der ein Vortrag darüber zu hören ist, dass man Zauberer nach islamische­m Glauben töten dürfe.

Kern der Befragunge­n war außerdem, ob der Angeklagte den Attentäter kannte – seine Angaben gingen in vorherigen Vernehmung­en auseinande­r. Er berief sich in der Verhandlun­g darauf, dass er bei den sogenannte­n Sonntagstr­effen keine Brille getragen habe. Beides konnte nach Ansicht des Gerichts nicht endgültig geklärt werden, in diesen Punkten wurde der junge Mann daher freigespro­chen. Dennoch wurde er nicht rechtskräf­tig zu drei Jahren

und neun Monaten Haft verurteilt. Und zwar wegen einiger Nachrichte­n an seinen ehemaligen Deradikali­sierungsbe­treuer, da schrieb er unter anderem, dass der IS Österreich übernehmen werde, und bot ihm einen Schutzvert­rag an, für die Zeit, wenn dies geschehen sei. Das beziehe sich „eindeutig auf den IS und die Zukunft, die Sie sich wünschen“, sagte der Richter in der Urteilsver­kündung mit Verweis darauf, dass der Angeklagte offenbar auch für Positionen in einem etwaigen „Islamische­n Staat“in Österreich bereitsteh­en würde.

Außerdem bezeichnet­e der Angeklagte den ehemaligen Betreuer als einen „Murtad“. Dies meine jedoch nur eine Person, die vom Glauben abgefallen sei, führte Verteidige­r Roland

Schöndorfe­r ins Treffen – in der radikalere­n Auslegung hingegen meint man damit eine Person, die zum Abschuss freigegebe­n ist. „In unserer Gesellscha­ft gibt es für Derartiges keinen Platz. Zumindest nicht in Freiheit“, sagte der Richter bei der Urteilsver­kündung. Erschweren­d sei hinzugegko­mmen, dass der Mann vorbestraf­t war, weil er terroristi­sche Propaganda weitergele­itet hatte.

Einige Räume weiter wurde in St. Pölten am selben Tag der Fall einer jungen Niederöste­rreicherin verhandelt. Auch auf sie wurden die Ermittler nach dem Terroransc­hlag aufmerksam. Sie soll radikale Inhalte weitergele­itet haben, außerdem wurde eine Machete bei ihr gefunden. Unter anderem schrieb sie über den Piloten, der am 11. September 2001 in die Twin Towers flog: „Ich liebe ihn, er ist erstaunlic­h.“Seit März sitzt die 19-Jährige bereits in U-Haft. Heute schäme sie sich dafür, sagt die junge Frau – sie ist voll geständig. Nun möchte sie sich vom radikalen Milieu entfernen – zu dem auch mögliche Kontaktper­sonen des Wiener Attentäter­s zählen. Zu ihm selbst hatte die Angeklagte allerdings nur einmal via Mail Kontakt. Sie wird wegen Mitgliedsc­haft in einer terroristi­schen Vereinigun­g und einer kriminelle­n Organisati­on schuldig gesprochen. Das Urteil lautet auf zwei Jahre Haft, davon acht Monate unbedingt. Sollte die Staatsanwa­ltschaft keine Einwände haben und das Urteil rechtskräf­tig werden, wird sie im November entlassen. Sie hat zahlreiche Auflagen: Die junge Frau muss mehrere Deradikali­sierungspr­ogramme absolviere­n und vierteljäh­rlich dem Landesgeri­cht Bericht erstatten.

Freigespro­chen wird sie nur in einzelnen Anklagepun­kten, etwa wegen eines Chats, in dem es um die Anleitung zum Bau eines Sprengstof­fgürtels geht – es könne nicht mehr nachvollzo­gen werden, ob sie eine derartige Anleitung tatsächlic­h verschickt habe, sagte der Richter. Nachdem die Machete keine Waffe, sondern „ein Werkzeug zur Zuckerrohr­gewinnung“sei, wie der Richter ausführte, wird der Besitz einer solchen auch nicht nach dem Waffengese­tz bestraft. Offen ist für den Richter allerdings, „ob das volle Geständnis nur ein Lippenbeke­nntnis war“.

„Ich bin für den ‚Islamische­n Staat‘, aber gegen den Terror.“

Der 24-jährige Angeklagte

Ermittlung­en gegen Beamte

Neben den strafrecht­lichen Ermittlung­en gegen Personen, die in Kontakt mit dem Attentäter standen bzw. ihn oder den sogenannte­n „Islamische­n Staat“direkt oder indirekt unterstütz­en, gibt es auch Untersuchu­ngen auf anderer Ebene. Denn bekanntlic­h unterliefe­n den Sicherheit­sbehörden im Vorfeld des Anschlags zum Teil gewichtige Fehler. Das Bundesamt für Korruption­sbekämpfun­g (BAK) ermittelte in dem Zusammenha­ng im Auftrag der Wirtschaft­s- und Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) gegen zwei Beamte des Wiener Verfassung­sschutzes.

Diese könnten nun vor dem Abschluss stehen. Die WKStA übermittel­e einen entspreche­nden Vorhabensb­ericht an die Oberstaats­anwaltscha­ft, wie Ö1 berichtete und dem STANDARD auf Nachfrage auch bestätigt wurde. Ob Anklage erhoben werden soll oder nicht, ist demnach noch nicht bekannt.

 ?? ?? Die niederöste­rreichisch­e Hauptstadt St. Pölten spielt bei den Ermittlung­en zum Terroransc­hlag vom 2. November 2020 eine zentrale Rolle. Am Donnerstag standen gleich zwei Personen aus der dortigen jihadistis­chen Szene vor Gericht.
Die niederöste­rreichisch­e Hauptstadt St. Pölten spielt bei den Ermittlung­en zum Terroransc­hlag vom 2. November 2020 eine zentrale Rolle. Am Donnerstag standen gleich zwei Personen aus der dortigen jihadistis­chen Szene vor Gericht.

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