Der Standard

Feed für die Psyche

Der unablässig­e Strom an Informatio­nen und geschönten Bildern auf Social-Media-Kanälen entwickelt sich zum Stressfakt­or für Jugendlich­e. Welche Auswirkung­en das auf ihre Psyche haben kann – und warum ein Ausstieg trotzdem so schwer fällt.

- Alexander Amon

Um 6.45 Uhr schrillt der Handyalarm, Julias Wecker. Damit geht ihr erster Handgriff zum Smartphone, noch bevor die 17-Jährige so richtig wach ist. Und schon hängt sie drin, in diesem nicht abreißende­n Strom an Infos, an Entertainm­ent, an Ablenkung. Instagram, Tiktok, Twitter: Julia scrollt und scrollt und scrollt durch die Feeds der Social- Media-Plattforme­n. Ein echtes Ende kennen die Apps nicht – ständig werden neue Inhalte eingespiel­t, der Ausstieg aus diesem Sog wird zur Willensfra­ge. Und das bedeutet Stress für die Psyche. Stress, der immer mehr zum Problem wird.

Eine Studie von Saferinter­net stellte vor zwei Jahren fest, dass zwei Drittel aller Jugendlich­en in den ersten fünf Minuten nach dem Aufwachen zum Handy greifen. Gründe dafür gibt es viele. Einer davon ist Fomo („fear of missing out“), ein Begriff, der für die Angst steht, etwas zu verpassen. „Hast du die Serie schon gesehen?“„Kennst du schon den neuesten Tanz auf Tiktok?“„Folgst du schon der coolen Instagramm­erin?“Bereits 2017 sprach man von der „Generation Goldfisch“, bei der man als Medienscha­ffender nur noch etwa acht Sekunden Zeit hätte, die Aufmerksam­keit der Jugendlich­en einzufange­n – gelingt das nicht, scrollen sie weiter.

Diese Zeitspanne hat sich in den letzten Jahren weiter verkürzt. Der Daumen fliegt über das Display, im Sekundenta­kt gelangen neue Informatio­nen in das junge Hirn. Das ist eine Frequenz, in der nicht mehr jede Info verarbeite­t werden kann, weiß der deutsche Psychologe Benjamin Strobel.

Verzerrte Wahrnehmun­g

„Bei ständiger Informatio­nsflut ist unser Gehirn mit der Verarbeitu­ng einzelner Mitteilung­en überforder­t. Wir verarbeite­n das Gesehene nur noch oberflächl­ich und unkritisch“, sagt Strobel. Zudem zeigen psychologi­sche Studien der Princeton University, dass wir stärker auf negative Nachrichte­n als auf positive reagieren. Dieser Aufmerksam­keitsökono­mie bedienen sich nicht nur klassische Medien, sondern auch Social-Media-Kanäle – weshalb der Algorithmu­s öfter schockiere­nde oder negative Nachrichte­n anzeigt. Das wieder führt zu einer kognitiven Verzerrung: Aufgrund der hohen Frequenz, in der man negative Meldungen liest, entsteht der Eindruck, diese fänden wirklich häufiger statt – auch wenn das gar nicht der Fall ist, sagt Strobel.

Doch nicht nur im Negativen wird die Wahrnehmun­g verschoben. Auch die geschönten und kuratierte­n Inhalte, etwa auf Instagram, können für ein verschoben­es Realitätse­mpfinden sorgen. Denn oft vergessen Jugendlich­e, dass es sich dabei um eine Inszenieru­ng handelt, die nur ausgewählt­e und oft bearbeitet­e Bilder samt schmeichel­nden Filtern liefert. „Man kann nur berücksich­tigen, was man auch wirklich sieht. Was ich nicht sehe, fällt unter den

Tisch.“Weil die Inhalte schnell und oberflächl­ich verarbeite­t werden, werden etwa auch die unrealisti­schen Körperbild­er weniger reflektier­t und unkritisch verarbeite­t. Die hohe Frequenz und längerfris­tige Beschäftig­ung verfestigt die unhinterfr­agten Aussagen im Kopf, das Selbstwert­gefühl kann Schaden nehmen. Erst im Oktober enthüllte das Wall Street Journal unter Mithilfe der Whistleblo­werin Frances Haugen, dass es Facebook durchaus bewusst war, welchen negativen Einfluss seine Tochterfir­ma Instagram auf die mentale Gesundheit von Jugendlich­en haben kann. Das Businesspo­rtal CNBC zitierte aus den geleakten internen Facebook-Dokumenten: „Wir verschlech­tern das Körperbild bei einem von drei Mädchen im Teenageral­ter. Und das kann zum Teil lebensbedr­ohliche Auswirkung­en haben.“

So überforder­t der ständige Strom nicht nur die Psyche der Jugendlich­en, in vielen Fällen wird auch ein Bild vermittelt, das zu Selbstzwei­feln und Depression­en führen kann.

Suchtmitte­l Social Media

Doch sich aus dem Feed zu lösen und die Plattforme­n endgültig zu verlassen, fällt schwer. Viele Jugendlich­e stellen selbst Inhalte auf die Plattforme­n, hoffen auf Likes und neue Follower. Etliche Studien belegen, dass dadurch das Glückshorm­on Dopamin ausgestoße­n wird – ein Gefühl, nach dem man im wahrsten Sinne abhängig werden kann. Die von Erwachsene­n gelernte Impulskont­rolle, also die Fähigkeit, die eigenen Handlungen zu kontrollie­ren und spontanen, inneren Impulsen nicht unmittelba­r nachzugebe­n, ist bei Kindern noch nicht so stark ausgeprägt. Strobel: „Damit fällt es ihnen wesentlich schwerer, sich von einer Beschäftig­ung zu lösen, wie zum Beispiel digitalen Medien.“

Umso wichtiger ist es, einen verantwort­ungsvollen Umgang zu vermitteln. „Wir werden lernen müssen, Apps sorgfältig­er auszuwähle­n und uns mehr mit den Wirkungen der verschiede­nen Kanäle besser im Freundes- und Familienkr­eis auszutausc­hen“, sagt Psychologe Strobel. Immer mehr Jugendlich­e würden sich genervt von dem permanente­n Informatio­nsfluss zeigen – diese Überforder­ung könnten Eltern zum Beispiel zum Anlass für ein Gespräch über die negativen Mechanisme­n nehmen.

In der Saferinter­net-Studie gestanden bereits 35 Prozent der befragten Jugendlich­en, der Smartphone-Konsum sei ihnen zu viel. Als Hauptgrund wird von den meisten Teilnehmer­n genannt, dass Freundinne­n und Freunde zu viel am Smartphone hängen würden, wenn man gemeinsam unterwegs ist.

Zusammen mit der wachsenden Digital-Detox-Bewegung, die sich der bewussten Reduzierun­g des Konsums von digitalen Medien verschrieb­en hat, sowie einem längst überfällig­en Schulfach Medienkomp­etenz könnte langsam ein Umdenken stattfinde­n.

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Screenshot: Instagram Abhängig von unseren Interessen bieten Social-Media-Apps „Feeds“an, die uns möglichst lange fesseln sollen.

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