Der Standard

Nachrichte­n aus der Puppenstub­enwelt

Wenn sich Exzentrik ziellos verselbsts­tändigt: Wes Anderson setzt mit „The French Dispatch“der Zeitschrif­t „New Yorker“ein filmisches Denkmal. Mit dabei eine ganze Reihe der Lieblingss­chauspiele­r des US-Regisseurs.

- Bert Rebhandl

Die französisc­he Stadt Ennuisur-Blasé wird man auf normalen Landkarten vergeblich suchen. Sie gehört in die private Geografie (oder Mythologie) des Filmemache­rs Wes Anderson. Seine neue Komödie The French Dispatch stellt eine unerwartet­e Verbindung­slinie zwischen dem amerikanis­chen Bundesstaa­t Kansas und eben Ennui-sur-Blasé her.

Ausgerechn­et in Kansas erscheint nämlich eine Zeitung, die Liberty, Kansas Evening Sun, die sich eine Sonntagsbe­ilage leistet, die in der Stadt produziert wird, bei der man zumindest dem Klang nach an Langeweile und an Blasierthe­it denken soll. Wobei Ennui ja so etwas wie der Königsweg der Langeweile ist, ein Weltverdru­ss der gehobenen Sorte.

Mediale Orchideenf­ächer wie The French Dispatch gibt es in der Wirklichke­it kaum mehr, und doch gibt es für Wes Anderson ein Vorbild: Gemeint ist natürlich das Magazin The New Yorker, das zwar ganz normal bei einem Konzern erscheint, es aber doch Woche für Woche schafft, im Rahmen eines betont altmodisch­en Konzepts immer wieder das Unerwartet­e zu präsentier­en. Und daneben einfach sehr viel exzellente­n Journalism­us.

Dreifach verschacht­elt

Wes Anderson wäre aber nicht der verschrobe­nste Künstler im gegenwärti­gen amerikanis­chen Kino, würde er nicht seine Hommage an den New Yorker auch noch doppelt und dreifach verschacht­eln und verschlüss­eln. Im Kern ist The French Dispatch aber nichts anderes als ein verfilmtes Heft einer sehr besonderen Zeitschrif­t. Das bedeutet: Der Film besteht aus vier Artikeln oder Geschichte­n, wobei der erste Artikel zugleich auf das Ende der Zeitschrif­t verweist, denn es handelt sich um einen Nachruf auf den Verleger, einen naturgemäß originelle­n Mann namens Arthur Howitzer Jr.

Gespielt wird dieser von Bill Murray, einem der angestammt­en Stars aus dem Anderson-Universum. Mit gewohnt griesgrämi­ger Miene lässt sich dieser beste denkbare Chefredakt­eur und Herausgebe­r einen wild aus den Fugen geratenen Text nach dem anderen unterjubel­n, zeichnet dazu abenteuerl­iche Spesenrech­nungen ab und lässt alles auch in eine grafisch ansprechen­de Form bringen.

In den drei Geschichte­n, die dann den Kern von The French Dispatch ausmachen, spiegeln sich viele der Vorlieben von Wes Anderson wider, zum Teil stehen auch konkrete

Reportagen aus dem New Yorker dahinter. Eine Kunstkriti­kerin (Tilda Swinton) schreibt über einen Maler, der als verurteilt­er Mörder hinter Gittern sitzt und von einer seiner Wärterinne­n einen Akt malt, der alle „letzten“Bilder der Moderne in den Schatten stellt; eine Politikrep­orterin (Frances McDormand) trifft in einem studentenb­ewegten Paris auf einen Revolution­scharismat­iker namens Zeffirelli (Thimothée Chalamet); ein FoodWriter (Jeffrey Wright) schreibt über einen Koch namens Nescaffier, wobei diese Geschichte besonders stark entgleist oder ihr ursprüngli­ches Thema durch erzähleris­che Umwege verfehlt.

Offensiv konstruier­t

In allen Fällen kriegt Anderson die Kurve. Allerdings ist The French Dispatch doch eindeutig sein bisher am offensivst­en konstruier­ter Film. In seinem Meisterwer­k The Grand Budapest Hotel hatte seine Methode noch ein klassische­s Maß: Anderson macht im Wesentlich­en Puppenstub­enbilder, also präzise gestaltete kleine Weltaussch­nitte, die er nach einer präzisen Choreograf­ie anordnet. In The French Dispatch nähert er sich nun doch deutlich dem Prinzip einer Welt, die so viele kostbare Kleinigkei­ten enthält, dass man den Film im Grunde auf Zeitlupe schalten müsste, um auch alles mitzukrieg­en. Das geht aber eben nicht, denn The French Dispatch ist auch durch den Soundtrack von Alexandre Desplat ständig in Bewegung, ständig auf dem Sprung. Eine winzige

Idee jagt die andere, nicht immer zum deutlichen Nutzen des größeren Ganzen.

So kann man von The French Dispatch vielleicht durchaus auch ein bisschen enttäuscht sein, weil sich Exzentrik hier scheinbar ziellos verselbsts­tändigt. Oder aber man sieht Anzeichen für Andersons bisher radikalste­n Film, der beim zweiten, dritten Sehen dann durchaus auch als einer seiner besten deutlich werden könnte.

 ?? ?? Wes Anderson ist der verschrobe­nste Regisseur des gegenwärti­gen US-Kinos. Das sieht man auch seinem neuen Film „The French Dispatch“an. Von links: Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne.
Wes Anderson ist der verschrobe­nste Regisseur des gegenwärti­gen US-Kinos. Das sieht man auch seinem neuen Film „The French Dispatch“an. Von links: Elisabeth Moss, Owen Wilson, Tilda Swinton, Fisher Stevens und Griffin Dunne.

Newspapers in German

Newspapers from Austria