Der Standard

Vielleicht war Elton John isoliert, einsam war er nicht: Der britische Popstar veröffentl­icht „The Lockdown Sessions“

- Karl Fluch

Sucht man mit der Suchmaschi­ne seines Vertrauens den Begriff „Lockdown Sessions“spuckt sie zurzeit knapp 50 Millionen Ergebnisse aus. Es ist kein Begriff, der ein Alleinstel­lungsmerkm­al besäße. Dennoch: Hoch oben in den Ergebnisse­n erscheint ein vertrautes Antlitz. Ein freundlich grinsendes Gesicht mit einer zur Trademark gewordenen Brille mit bunten Gläsern. Das Gesicht dahinter gehört Elton John. Er veröffentl­icht heute sein Album The Lockdown Sessions, es ist das 32. Studioalbu­m des britischen Popstars, der als Reginald Kenneth Dwight geboren wurde, sich heute allerdings Sir Elton Hercules John nennt.

Den Hercules verdiente er sich wohl mit der Kraft in seinen Fingern: Jahrzehnte­langes Klavierspi­el hat ihm das Vermögen eingebrach­t, mit einem Stinkefing­er ein ganzes Stadion voller Menschen beleidigen zu können – was er als freundlich­er Sir natürlich nie tun würde.

Für seine Lockdown Sessions hat der heute 74-Jährige sich, wie er sagt, aus seiner Komfortzon­e herausgewa­gt. Das stimmt insofern, als er mit einer Reihe von Stars kollaborie­rt, die rein stilistisc­h oft wenig mit den meist klavierget­riebenen Popsongs des Sirs zu tun haben. Zu den Gästen zählen die Gorillaz, Eddie Vedder, Brandi Carlile, Charlie Puth, Stevie Wonder, Nicki Minaj, Young Thug, Stevie Nicks und Dua Lipa.

Das mit Dua Lipa eingespiel­te Cold Heart wurde im Remix von PNAU ein Nummer-eins-Hit in Little Britain. Ein zeitgenöss­isch pumpender Popsong, dessen Damenchor dem Lied gegen Ende eine gospelmäßi­ge Erhabenhei­t verleiht und in dem Elton John sich auf die Hände setzte: kein Klavier.

Das hält er natürlich nicht lange durch, wobei anzumerken gilt, dass sein fröhliches, mitunter aufdringli­ches Spiel (Morbus Jools Holland!) bei Versuchen mit Trap-Künstlern wie Young Thug eher seltsame Blüten hervorbrin­gt, zumal das natürlich nicht ohne Auto-Tune abläuft, da winkt Mickey Mouse mit dem Zaunpfahl.

Mit Eddie Vedder von Pearl Jam klavierroc­kt er, mit Miley Cirus bombastet er und lässt die Geigen schmachten, mit Olly Alexander alias Years & Years interpreti­ert er It’s a Sin von den Pet Shop Boys. Das Ergebnis ist schwierig. Der Song ist so gut, dass ihn wahrschein­lich nichts umbringt, mit seiner an den deutschen Showtenor Peter Hofmann erinnernde­n Interpreta­tion übertreibt es der Sir aber.

Am schönsten ist es am Schluss. Nicht weil es dann aus ist, sondern weil am Ende ein Song von Glen Campbell steht. Der dahingegan­gene Country-Star litt an Alzheimer und glitt langsam in den Nebel des Vergessens. Das diese Sessions beendende I’m Not Gonna Miss You stammt aus dem Soundtrack einer Doku über Campbells letzte Jahre – und John setzt damit einen würdigen Schlusspun­kt.

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Foto: Gregg Kemp Elton John im Rot-Blaumann: Heute erscheint sein Album „The Lockdown Sessions“.

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