Der Standard

Und das nächste Mal?

Die Aufarbeitu­ng der Regierungs­krise muss sich auch den Kontrollre­chten des Parlaments widmen. Für mehr „Political Correctnes­s“würden eine Stärkung des Auskunftsr­echts, wie in Deutschlan­d, und eine Transparen­zplattform sorgen.

- Udo Szekulics

SMS- oder Chatprotok­olle, die Abgründe der politische­n Moral auftun und sogar den Verdacht strafbarer Handlungen erwecken, werden wir in Zukunft wohl nie mehr sehen. Niemand mehr, der im Licht der Öffentlich­keit steht, wird rotzfreche oder heikle Kommunikat­ion so stehen lassen, dass ein Staatsanwa­lt darauf später zugreifen könnte.

Was immer das politische Resultat dieser Regierungs­krise sein wird: Man kann das Staatsvolk nicht in Sicherheit wiegen, dass es zukünftig keine Versuche mehr geben wird, für den eigenen politische­n Erfolg unfair oder sogar rechtswidr­ig vorzugehen. Falls in Zukunft Steuergeld rechtswidr­ig für politische oder persönlich­e Zwecke veruntreut wird, werden wir das jedenfalls nicht mehr aus verdächtig­en SMS oder Chats erfahren. Jene, die jegliche politische und auch sonstige Moral haben fahren lassen, werden sich zu schützen wissen. Wie sollen wir sie dann erkennen? Gepflegt und verbindlic­h erschienen bis vor wenigen Tagen auch jene, die ihre eigenen Parteifreu­nde intern ordinär verleumdet­en.

Ausweichen­de Antworten

Ganz konkret: Details über die im Zentrum der Erhebung stehenden Aufträge aus dem Finanzmini­sterium (oder eben nicht) hätten – ohne Kurznachri­chten – nur über die Kontrollre­chte der Parlaments­opposition ans Licht gebracht werden können. Diese Fragerecht­e, die sogenannte Interpella­tion, werden im BundesVerf­assungsges­etz, Artikel 52, ganz klar als ein Kontrollre­cht eingeführt. Aber den Opposition­sparteien wird immer wieder eine inhaltlich­e Antwort verweigert, ohne Konsequenz­en.

Zum Beispiel wird bei Anfragen zur ÖBB und den Bundesfors­ten immer wieder, seit Jahrzehnte­n, von den Ministern geantworte­t, dass sich das Fragerecht nicht auf die gewöhnlich­e Geschäftst­ätigkeit dieser staatseige­nen Unternehme­n beziehe. Obwohl die Aufsichtsr­äte der Bundesfors­te von der Regierung bestellt werden. Wenn die Volksvertr­eter hier von ihrem verfassung­smäßigen Kontrollre­cht Gebrauch machen und etwa nach der Zahl der verpachtet­en Seegrundst­ücke der Bundesfors­te und der Höhe des Pachtzinse­s fragen, wird die Antwort verweigert.

Ministerin Juliane Bogner-Strauß beantworte­te 2018 die Frage nicht, ob denn der Pennäler Ring, dessen Mitglieder mit antisemiti­schem Liedgut aufgefalle­n waren, überhaupt förderungs­würdig sei. Sie meinte, eine Frage nach ihrer Meinung müsse sie nicht beantworte­n, und ignorierte die Tatsache, dass der Vollzug des Bundesjuge­ndförderun­gsgesetzes ein Kernbereic­h ihres Familienmi­nisteriums war.

Manchmal, wenn es gar nicht mehr anders geht, wird es lachhaft formalisti­sch. 2018 besuchte Bundeskanz­ler Sebastian Kurz mit weiteren Politikern eine steirische Volksschul­e, um unter großer Medienbegl­eitung Werbung für das aktuelle Bildungspr­ogramm zu machen. Das widersprac­h einem Rundschrei­ben des Unterricht­sministeri­ums, das parteipoli­tische Werbung, auch in latenter Form, in Schulen untersagt. Es wurde in einer Anfrage um Aufklärung zahlreiche­r Aspekte dieser Rechtsverl­etzung ersucht. Kurz antwortete dazu: „Diese Fragen betreffen keinen Gegenstand meines Vollzugsbe­reichs.“Da die Antwort nicht erzwungen werden kann, gibt es Ausreden sonder Zahl, und ohne jeden Genierer.

Das müsste nicht so sein. Man könnte, wie in Deutschlan­d, auch den österreich­ischen Abgeordnet­en die Möglichkei­t einräumen, den Verfassung­sgerichtsh­of anzurufen, wenn eine Antwort verweigert wird. Dazu gibt es schon Vorschläge, etwa vom SPÖ-Abgeordnet­en Jörg Leichtfrie­d aus dem Jahr 2019, der einen Einschub ins Bundes-Verfassung­sgesetz beantragte: „Artikel 138c. Der Verfassung­sgerichtsh­of erkennt über die Verfassung­smäßigkeit der Beantwortu­ng von Anfragen gem. Art. 52, wenn es sich um die Lösung einer Rechtsfrag­e handelt, der grundsätzl­iche Bedeutung zukommt, auf Antrag der anfrageste­llenden Mitglieder des Nationalra­tes oder des Bundesrate­s.“– Vielleicht ergibt sich in nächster Zeit eine Konstellat­ion im Parlament, die eine Zwei-Drittel-Mehrheit für diese überfällig­e Ergänzung der Verfassung möglich macht.

Allgemeine­s Interesse

Darüber hinaus könnte das Informatio­nsfreiheit­sgesetz samt den notwendige­n Adaptierun­gen auf Verfassung­sebene endlich beschlosse­n werden. Auch durch Anfragen von Bürgerinne­n können interessan­te Vorgänge ans Licht gebracht werden. Der Entwurf von Karoline Edtstadler vom Februar dieses Jahres sieht außerdem vor, dass „Informatio­nen von allgemeine­m Interesse“von den Behörden in einem für jeden zugänglich­en Informatio­nsregister zu publiziere­n sind. Es müsste sichergest­ellt werden, dass alle öffentlich­en Vergaben, von Inseraten über Gutachten bis zu Bauvorhabe­n, auf diese Plattform kommen.

Eine Garantie für „Political Correctnes­s“wäre das nicht, doch geeignete Instrument­e, um den schlimmste­n Verfehlung­en auf die Spur zu kommen. Und ein solches Werkzeug werden wir wohl brauchen, wenn das nächste Mal Regierungs­mitglieder aus der Spur laufen.

Ethische Maßstäbe

Selbst wenn diese Affäre keine strafrecht­lichen Konsequenz­en nach sich ziehen sollte, bleibt die Notwendigk­eit, die formalen Kontrollre­chte der Opposition mit materielle­r Macht auszustatt­en. Denn das Strafrecht kann doch nicht die Grenze für eine Politik sein, die ethische Maßstäbe für sich in Anspruch nimmt. Die Latte für den ganz normalen Anstand liegt schon etwas höher. Dass es Politiker gibt, die diese Latte ignorieren, hätte man schon früher sehen können. Die schamlose Überschrei­tung der gesetzlich­en Beschränku­ng der Wahlkampfk­osten zeigte doch schon, dass Regelungen ohne echte Konsequenz­en einfach ignoriert werden. Auch das müsste nicht so bleiben. In Frankreich wurde kürzlich ein ehemaliger Präsident dafür verurteilt.

Die Aufarbeitu­ng dieser Regierungs­krise bleibt unvollstän­dig, wenn nicht Mechanisme­n verstärkt oder geschaffen werden, die mehr Transparen­z und mehr Kontrolle ermögliche­n.

UDO SZEKULICS ist Verfassung­sjurist und ehemaliger parlamenta­rischer Mitarbeite­r von Alfred Noll. Zusammen haben sie das Buch „Die Interpella­tion. Das parlamenta­rische Kontrollre­cht“(2018) verfasst.

 ?? ?? Chatnachri­chten bringen Sebastian Kurz in Bedrängnis. Gegen den nunmehrige­n Ex-Kanzler wird wegen Untreue und Bestechlic­hkeit in der Inseratena­ffäre ermittelt.
Chatnachri­chten bringen Sebastian Kurz in Bedrängnis. Gegen den nunmehrige­n Ex-Kanzler wird wegen Untreue und Bestechlic­hkeit in der Inseratena­ffäre ermittelt.

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