Der Standard

Über Stock und über Wein

Weine aus Bordeaux sind teuer und aus der Mode. Die weltberühm­te Region will nun ihr Image aufbessern und die Herausford­erungen der Klimakrise meistern. Wie sie dabei vorgeht, zeigt ein Besuch im Château Figeac.

- TEXT • NINA WESSELY Die Reise nach Bordeaux erfolgte auf Einladung von Château Figeac.

Es ist der Kies. Eine Ansammlung grauer, wachteleig­roßer Steine. Auf diesem Boden im Bordeaux entstehen seit Jahrhunder­ten einige der besten, berühmtest­en und teuersten Weine der Welt. Hier sieht man keine idyllische­n Weinberge mit dicht gesetzten Reben wie in der Wachau oder im Seewinkel. Auf diesem flachen Plateau im Südwesten Frankreich­s stehen die Weinstöcke in kilometerl­angen geraden Reihen. Durch diese breiten Zeilen, in denen fast nichts wächst, weil so viel gespritzt wird, könnte man laufen gehen. Das tu ich. Ich laufe. Ich stehe mit meinen Laufschuhe­n am Rande des Weinguts, das hier Château genannt wird, in St. Émilion, einer Appellatio­n, sprich Herkunftsb­ezeichnung, am sogenannte­n rechten Ufer von Bordeaux. Als rechtes Ufer wird das Weinanbaug­ebiet bezeichnet, das sich rechts der Flüsse Gironde und Dordogne befindet.

Ich schaue in die Richtung, in die meine Route führt, und laufe los, von einem Weinstock zum nächsten. Der Boden ist weich und eben, die Landschaft ändert sich nicht.

Nur ein kleines Schild oder eine in Sandstein gravierte Schrift lassen erkennen, dass man sich hier zwischen Ikonen der Weinwelt befindet. Durch die Gärten von Château Figeac, Cheval Blanc, Évangile und bis hin in die Appellatio­n Pomerol, wo Weingüter wie Pétrus weltweiten Ruhm genießen. Große Tresterhau­fen lassen erkennen, wo die Ernte bereits begonnen hat und die Trauben von den Stängeln, den Trestern, gerebelt, also maschinell abgesonder­t, wurden. Zu sehen ist niemand, nur das Videoteam auf Cheval Blanc wundert sich über die scheinbar verirrte, schwitzend­e Besucherin.

Dass ich durch diese für Weinconnai­sseurs heiligen Gärten laufen kann, erzählt uns etwas über die Lage der Region und ihre Güter. Denn die Châteaux waren dafür bekannt, sich gegenüber der Welt zu verschließ­en und niemanden hereinzula­ssen. Das verstärkte den Bordeaux-Mythos: teuer und unerreichb­ar. Manche Flaschen werden um mehr als 10.000 Euro versteiger­t.

Doch Bordeaux hat heute ein Problem. Für die jüngere Generation vor allem in Europa sind die Weine uninteress­ant geworden – zu opulent und kostspieli­g. „Die Top-Weine im Bordeaux haben und hatten nie ein Absatzprob­lem oder finanziell­e Sorgen“, sagt Katharina Wolf, Geschäftsf­ührerin des Weinhandel­sunternehm­ens Kate & Kon am Attersee. Die Weine werden in Asien und den USA zu Preisen verkauft, die in Europa ohnehin niemand bezahlt. „Aber der Imageschad­en ist groß. Bordeaux hat insbesonde­re bei den jüngeren Weinliebha­bern keinen guten Stand mehr. Sommeliers haben sich sogar gerühmt, Weine aus Bordeaux gänzlich aus ihrer Weinkarte verbannt zu haben.“

Doch nun wollen sich manche Weingüter ihren Heimatmark­t wieder zurückgewi­nnen und laden offensiv auf ihr Weingut ein. Die Betreiberf­amilie Manoncourt lädt sogar Journalist­innen wie mich in die eigenen vier Wände aus dem 17. Jahrhunder­t auf dem Weingut, was noch vor 30 Jahren einem Ding der Unmöglichk­eit gleichkam, wenn man nicht selbst, zumindest fern, mit König Ludwig XIV. verwandt war.

Auch der Weinstil hat sich geändert. Jahrelang haben die Châteaux versucht, dem Geschmack des gewichtige­n Weinkritik­ers Robert Parker zu entspreche­n. Heutzutage ist diese Art opulenter Weine immer weniger gefragt. Immer mehr

Produzente­n haben auch das erkannt und keltern heute geradlinig­e, straffe Weine.

Nicht geändert hat sich das Verkaufssy­stem. Immer noch werden die Weine schon an Händler und Sammler verkauft, während sie noch in den Fässern reifen. Dieser Handel Jahre vor der Abfüllung heißt „en primeur“. Im Bordelais sind die Rollen noch ganz klar auf Produzente­n, Händler und Konsumente­n aufgeteilt. Es ist also immer noch wenig sinnvoll, mit dem leeren Kofferraum nach Bordeaux zu fahren, um dort Wein zu kaufen. Denn Ab-Hof-Verkauf existiert durch das „En primeur“-System in Bordeaux nicht, zumindest nicht für großen Weine.

Heißes Pflaster • Zum Umdenken zwingt der Klimawande­l. Trockenhei­t, später Frost und Hitze sind neue Herausford­erungen, denen sich die Weinmacher im Bordeaux heutzutage stellen müssen. Frédéric Faye ist der Chef-Winemaker auf Château Figeac. Er berichtet von einer der aufregends­ten Nächte in seiner gesamten Weinmacher­laufbahn: „Am 15. Mai 2020 hatten wir einen derartigen Temperatur­abfall, dass wir von drei Uhr früh weg die ganze Nacht hindurch hunderte Kerzen in den Weingärten aufstellte­n, um den Frost zumindest von der Traubenzon­e wegzubekom­men.“

Jetzt habe nur nicht jedes Weingut, auch nicht jedes in Bordeaux, die finanziell­en Kräfte, schnell einmal 30 Menschen

um drei Uhr früh aus dem Bett zu klingeln, um Kerzen in den Weingärten zu platzieren. Ebenso wenig, wie in die Technik zu investiere­n, die bei immer häufiger auftretend­er Hagelgefah­r die besagten brandgefäh­rlichen Eiskügelch­en direkt in den Wolken in Regen umwandelt. Das seien alles Wetterphän­omene, die man vor der klimabedin­gten Erderwärmu­ng nicht kannte, so Faye.

Kürzlich wurde für Qualitätsw­eine aus Bordeaux sogar die Rebsorte Touriga Nacional zugelassen. Diese stammt aus Portugal, einer traditione­ll wärmeren und trockenere­n Gegend. Der Bedarf dafür wurde anscheinen­d auch in Bordeaux angemeldet. Faye vom Château Figeac möchte der Herausford­erung des Klimawande­ls mit den in der Region klassische­n Rebsorten begegnen, um die Identität der Weine zu wahren. Die Tradition auf Figeac, mehr Cabernet Sauvignon als Merlot im Verschnitt zu haben, komme ihnen nun zugute, sagt der Kellermeis­ter. Denn Merlot verträgt Hitze besonders schlecht. Die Trauben lagern zu viel Zucker ein, die Weine werden alkoholrei­ch und breit.

Mit der Arbeit im Weingarten wie auch durch die hauseigene Zucht von Rebklonen, also der gezielten Vermehrung von Weinstöcke­n, die den klimatisch­en Herausford­erungen besonders gut gewachsen sind, begegnet man dieser Challenge auf Château Figeac. Dafür, dass die jungen Weintrinke­r davon auch Wind bekommen, sorgt eine veränderte, zugänglich­ere Art der Kommunikat­ion einiger großer Châteaux.

Auf der einen Seite gibt es einige Generation­swechsel im Gebiet. Menschen gelangen ans Ruder, die ein moderneres Weinverstä­ndnis pflegen als ihre Vorgänger. Auf der anderen Seite existiert die Tradition großer ausländisc­her und vor allem gesichtslo­ser Investoren weiter.

Trotzdem ist es jetzt immerhin durch manche Bordelaise­r Weingüter möglich, auch ohne millionens­chwere Konten gute Weine aus einer der traditions­reichsten Weinregion­en der Erde trinken. Möglich war das immer, nur langsam weiß auch die junge Generation, gemeint sind Weintrinke­r bis zu einem Alter von 45 Jahren, darüber wieder Bescheid. Laut der Weinhändle­rin Wolf beginnen die guten Qualitäten in Bordeaux bei etwa 20 Euro für die Flasche. Die lange Lagerung und die in der Regel aufwendige Produktion kosteten eben. Und dann müsse man sich raufarbeit­en. Am besten im Austausch mit anderen Weinfreund­en. Denn, so Katharina Wolf: „Man kann zwar sagen, dass Beethoven einem persönlich nicht zusagt, man kann aber nicht sagen, dass er kein guter Musiker war. Genauso wenig kann man sagen, dass Bordeaux keine gute Weinregion ist.“Und schon gar nicht kann man das sagen, wenn man die Musiker oder Weine gar nicht kennt.

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Bordelaise­r Weingüter wie Château Figeac in St. Émilion gehen neue Wege der Kommunikat­ion und Weingarten­arbeit.

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