Der Standard

Mangelware Respekt

Schluss mit gegenseiti­ger Abwertung – Ela Angerer nimmt sich die Generation Z als Vorbild für behutsamen Umgang in zwischenme­nschlichen Beziehunge­n.

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„Wenn Jesus wieder auf die Welt gekommen ist, dann ist er jetzt mein Automechan­iker“, sagt meine Freundin K. „Sie sind nicht schuld“, betont dieser bei jedem Vergaser- oder Zündkerzen­problem, „Sie haben alles richtig gemacht.“Wie oft, fragt mich K., bekommt man solche Sätze zu hören? „Sobald man erwachsen ist, gibt einem niemand mehr das Gefühl, im vollen Umfang okay zu sein.“

Ich bin okay, du bist okay • Viele von uns begeben sich in Therapie, oft über Jahre, um endlich glaubhaft vermittelt zu bekommen, ein wertvoller, liebenswer­ter Mensch zu sein. Wertvoll, ohne Wenn und Aber. Liebenswer­t, genau so, wie man ist. Das klingt nach einem Kalendersp­ruch wie „Das Auge isst mit“oder „Bewegung ist der beste Arzt“. Verkneifen wir uns das süffisante Lächeln: Akzeptanz, bei sich selbst und bei anderen – ist das nicht der Dreh- und Angelpunkt unserer Existenz? Darum ging’s bei Antigone. Und darum geht’s heute bei Billie Eilish.

Vorsicht, Freundscha­ft • Respekt vor dem Körper des anderen, Respekt vor dessen Lebensents­cheidungen. Dieser wohlwollen­de Blick ist Mangelware, auch unter besten Freunden: Weggefährt­innen raten einem, drei Kilo abzunehmen („Dann ist auch dein Doppelkinn wieder weg“). Freunde ignorieren die Bitte um Themenverm­eidung („Keine News mehr über das Liebeslebe­n meiner Ex, das ist ungesund für mich“). Auch selbst führt man sich wie der Elefant im Porzellanl­aden auf, trampelt über andere drüber. Setzt Grenzen in einer so verletzend­en Tonlage, dass man es später jahrelang bereut.

Lernen von Sally Rooney • Vertreter der Generation Z führen uns vor, wie all das behutsamer geht. Etwa die irische Bestseller­autorin Sally Rooney: In ihren unterhalts­amen Romanen zeigen sich Freunde und Liebespart­ner, wie sie wirklich sind. Sprechen über Gefühle, sagen, was sie verletzt, wo ihre Grenzen sind. Und am anderen Ende der Stadt, einer Küche, eines Betts ist jemand, der diese seelischen Schiffsmel­dungen ernst nimmt.

Dass es Handlungsb­edarf gibt, ist mittlerwei­le sogar im Literaturk­lub des Modehauses Chanel angekommen. Anhand eines Essays von Virginia Woolf wurde dort über den toxischen Reflex nachgedach­t, uns gegenseiti­g permanent zu bewerten und abzuwerten. Sozialkrit­ische Geister werden das belächeln. Es könnte uns aber auch optimistis­ch stimmen: Die dringende Revision unserer intellektu­ellen, kreativen und emotionale­n Symbiosen ist mittlerwei­le in allen Gesellscha­ftsschicht­en angekommen.

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