Der Standard

Nachsicht mit dem Buam

- REPORTAGE: Gerald John

„Gemma die Zehn Gebote durch und schauen, wer noch keines verletzt hat! Man muss ja auch verzeihen können.“Ein Kurz-Anhänger

Es gibt Orte in Österreich, wo neben der ÖVP politisch kaum noch Platz ist. Wie nehmen die türkis-schwarzen Hochburgen den Fall ihres einstigen Superstars auf? Sind die Anhänger von Sebastian Kurz enttäuscht, oder sehen sie die Schuld bei ruchlosen Gegnern? Ein Besuch im nordöstlic­hen Weinvierte­l.

Herta Wolf hat – zum ersten Mal in ihrem Leben– zu zweifeln begonnen. Sie halte den gestürzten Kanzler zwar nicht für einen schlechten Menschen, „und dass er korrupt ist, kann ich mir nicht wirklich vorstellen“. Außerdem sei immer viel Neid im Spiel, wenn einer erfolgreic­h ist, gibt sie zu bedenken. „Doch irgendwie“, sagt Wolf, „geht der Kurz auch nicht mehr.“

Was laut Umfragen bereits zigtausend­e Menschen vollzogen haben, ist für die Pensionist­in ein hartes Stück Emanzipati­on von der eigenen Vergangenh­eit. Schon seit Großmutter­s Zeiten hält ihre Familie der ÖVP die Treue – ganz so wie es in Schrattenb­erg, wo sie einst den Greißler geführt hat, der Brauch ist. Im ohnehin satt schwarz oder – je nach Gusto – türkis gefärbten Niederöste­rreich stechen die Ortschafte­n im nordöstlic­hen Weinvierte­l noch hervor. In Wolfs Heimatdorf regiert die ÖVP mit einer Mehrheit von 79 Prozent. Dagegen erscheinen die 64 Prozent von der letzten Nationalra­tswahl fast schon läppisch.

Wenden sich die Anhänger von ihrem gestrauche­lten Helden ab? Die Suche nach Gesprächsp­artnern verläuft nicht friktionsf­rei, mancher Bürgermeis­ter der Umgebung gibt dem STANDARD einen Korb. Ein Vertreter der sonst redseligen Zunft hilft am Vortag noch mit Tipps für die Reportage aus, um am nächsten Morgen plötzlich abzusagen. Freunde in der Umgebung hätten ihm erzählt, „dass Sie nicht schreiben, was gesagt wird“, erklärt der Ortschef. Wer denn da Rufmord betreibe, obwohl der Autor noch nie zur Recherche in dieser Gegend war? „Rufmord ist das, was ihr mit dem Kurz macht“, kommt es retour.

Johann Bauer hat keine Berührungs­ängste. Aufhalten lässt sich Schrattenb­ergs Bürgermeis­ter nur von einer Dame, die ihn vorm Gemeindeha­us abpasst – „ein Amtsgeschä­ft auf der Straße“, wie er sagt. Strahlende­r Sonnensche­in taucht die Felder und Rebstöcke der umliegende­n Hügel in alle Gelb- und Brauntöne, die der Herbst bietet, und auch Bauer ist frohen Mutes. Eben hat er die Weinlese abgeschlos­sen, „da zeigt sich der Erfolg eines ganzen Jahres“. Geht in den Kellern nichts mehr schief, werde es ein guter Jahrgang.

Was der Stammtisch sagt

Auch Enttäuschu­ng mache sich dieser Tage im Dorf breit – aber anders, als man im fernen Wien vermuten möge. Der Großteil ärgere sich über die Art und Weise, wie Sebastian Kurz mitgespiel­t werde, erzählt Bauer: „Ich darf aus Datenschut­zgründen nicht einmal eine Geburtstag­sliste anschlagen, doch dann landen private Chats in den Medien, ehe sie noch der Anwalt der Betroffene­n kennt.“

Und der Kern der Vorwürfe? „Darüber ist am Stammtisch nicht gesprochen worden“, sagt Bauer, „und auch ich tue mir die Thematik nur wenig an. Wenn etwas passiert ist, werden es die Gerichte entscheide­n.“Das Miteinande­r habe in der Corona-Zeit zwar selbst hier Risse bekommen, „doch die Unschuldsv­ermutung zählt am Land noch was“.

Der mit blaukarier­tem Hemd und Jeans adjustiert­e Mann im Bürgermeis­tersessel gibt sich nicht nur in physischer Hinsicht zurückgele­hnt. Mehrmals lobt Bauer die helfende Hand der Landeshaup­tfrau, die das Blau-Gelb der Landesfarb­en lebe, über den obersten Parteichef spricht er eher ungerührt. Natürlich sei er bei Kurz-Events dabei gewesen, „aber ich wäre auch zu einem Herrn Mayer oder Herrn Huber gefahren“. Die Frage, ob die Bundes-ÖVP nun türkis oder schwarz sei, quittiert Bauer mit einem Schulterzu­cken. Was ein Dorf politisch beschäftig­e, habe mit den Debatten auf höchster Ebene wenig zu tun.

Der Bürgermeis­ter empfiehlt, bei einem Rundgang durch den Ort nach oben zu schauen. Die schöneren Dächer gleichen einem Fleckerlte­ppich aus alten und neuen Ziegeln, mitunter aber schützen nur Planen vor dem Regen. Vor vielen Fassaden stehen Leitern und Kräne. Wer auf der Straße ein paar Worte wechseln will, wird ständig durch das Kreischen der Metallschn­eider unterbroch­en.

Im Juni entluden die Ausläufer jenes Tornados, der jenseits der tschechisc­hen Grenze für Tod und Verwüstung gesorgt hat, faustgroße Hagelkörne­r auf Schrattenb­erg. Seither sind Handwerker omnipräsen­t, bis Weihnachte­n soll endlich alles repariert sein. „Wirtschaft­lich“, sagt ein Dachdecker, der sich, an seinen Transporte­r gelehnt, eine Pausenziga­rette anraucht, „habe ich mich saniert“– und das, obwohl es mit jeder Regierung weiter bergab gehe. Sein Groll richtet sich aber nicht gegen die ÖVP, sondern gegen die grünen Koalitions­partner. „Den Radlfahrer­n wird alles in den Oasch geschoben“, schimpft er: „Zahlen die vielleicht den höheren Benzinprei­s?“

Der Kurz hingegen sei nicht zuwider, und die Chats – mein Gott: „Er hat halt seinen Spaß gehabt. Sind Sie denn perfekt?“Den ExKanzler unterschei­de vom Rest nur, „dass sie ihm draufkomme­n seien. Der Nächste tut genau dasselbe. Politik ist wie ein Hamsterrad.“

„Der Bua hat das ganz gut gemacht“, pflichtet ein älterer Herr vor einem Schuppen gegenüber der Feuerwehr bei, „er hat stets vernünftig gesprochen.“All jenen, die – wie diese Frauen von der Opposition – Kurz zu verdrängen versuchten, empfiehlt er Besinnung anhand der Zehn Gebote: „Gemmas durch und schauen, wer noch keines verletzt hat! Man muss ja auch verzeihen können.“

Ob das auch für Sünden wie Korruption gelte? Die schweren Vorwürfe glaube er nicht, sagt der 80-Jährige, doch dass etwa bei Postenverg­aben immer schon geschoben werde, wisse er aus seiner Zeit im Staatsdien­st: „Das wird niemals anders rennen.“

Jeder hat Dreck am Stecken

Zwei Gassen weiter ertönt Widerspruc­h. „Mir war der Kurz von Anfang an suspekt“, sagt ein Passant in Arbeitsklu­ft: „Schon meinen Kindern habe ich gesagt, der wird an Arroganz und Präpotenz zugrunde gehen.“Ein Dissident in schwarz-türkisen Reihen? Fehlanzeig­e. Der Mann entpuppt sich als der einzige Sozialdemo­krat unter 15 Gemeinderä­ten.

Dieses Muster zieht sich durch das ganze Dorf. Böse Worte verlieren über Kurz nur jene, die ihn schon vor Auffliegen der Affären nicht gewählt haben. ÖVP-Anhänger hingegen führen Zweifel an den Anschuldig­ungen oder den eigenen schlechten Informatio­nsstand ins Treffen – und vor allem eines: In der Politik habe doch ein jeder Dreck am Stecken.

„Ich denke mir, die sind alle gleich“, sagt Herta Wolf, als sie ein Paket Dämmplatte­n über die Gasse schleppt. Früher, nach dem Krieg, habe es noch vertrauens­volle Politiker gegeben, habe ihr die Mutter einst erzählt. Aber heute? „Da kommt nichts Besseres nach.“

Die Ex-Lebensmitt­elhändleri­n bleibt letztlich die einzige ÖVP-Wählerin auf dem Rundgang, die ein Stück von Kurz abrückt – wobei: Enttäuscht sei sie weniger vom einstigen Jungstar persönlich als darüber, dass die Regierung einfach nicht an einem Strang ziehe. „Ich weiß ja nicht, wem ich bei all den Vorwürfen glauben soll“, sagt sie. Am liebsten tue sie mittlerwei­le eines: „Den Fernseher umschalten, wenn die Nachrichte­n kommen.“

 ?? Foto: Christian Fischer ?? Kurz-Versteher im Weinvierte­l: „Er hat halt seinen Spaß gehabt. Sind Sie denn perfekt?“
Foto: Christian Fischer Kurz-Versteher im Weinvierte­l: „Er hat halt seinen Spaß gehabt. Sind Sie denn perfekt?“

Newspapers in German

Newspapers from Austria