Der Standard

Blaue Blutsbande

- Anna Giulia Fink

Adel fasziniert, monarchist­ische Folklore gehört zur österreich­ischen Volkskultu­r dazu. Seitdem mit Alexander Schallenbe­rg ein Kanzler aristokrat­ischer Herkunft amtiert, stellt sich die Frage, welche Rolle der einstige Adel in Gesellscha­ft und Politik heute spielt.

Eine knappe Autostunde von Wien entfernt, vorbei an in herbstlich­e Farben getunkten Weinviertl­er Hügeln, an feilgebote­nen Kürbissen und Wachteleie­rn, sitzt der Eigentümer von Schloss Niederleis in seinem Salon und wählt folgendes Bild, um den Adel in Österreich zu beschreibe­n: Die einstigen hohen Familien und ihre Nachfahren seien wie „ein alter knorriger Baum, der von Blitzen getroffen und Stürmen zerzaust exponiert in der Landschaft steht“. Dieser Baum trage dürre, aber auch frische grüne Äste, seine Wurzeln reichten besonders tief, und insgesamt biege er sich „traditione­ll weniger schnell nach den Windrichtu­ngen des Zeitgeiste­s“.

Maximilian Schaffgots­ch, 54 Jahre alt, lebt hinter den alten Gemäuern seiner Familie, einer ehemaligen Fliehburg mit Wassergrab­en aus dem 12. Jahrhunder­t. Hier wurde er geboren, hier lebt er mit seiner Frau, vier Kindern und seiner Mutter. Im Wohnbereic­h riecht es nach Kerzen, der Wind zieht durch die alten, hohen Fenster. Die Herrschaft wurde im Dreißigjäh­rigen Krieg verwüstet, dann verkauft an das Stift Heiligenkr­euz, ehe sie 1867 in den Besitz des Grafen Schaffgots­ch wechselte. Dessen Ururenkel trägt seinen Nachnamen, das Führen des Titels ist ihm per Gesetz verboten.

Rund 180 Familien mit 11.000 Mitglieder­n leben laut Schätzunge­n in Österreich. Die Frage nach der gesellscha­ftspolitis­chen Relevanz des „Blauen Blutes“stellt sich dieser Tage einmal mehr, seitdem Alexander Schallenbe­rg die Amtsgeschä­fte als Bundeskanz­ler übernommen hat. Der Diplomat ist der erste Kanzler aus einer einst adeligen Familie seit Kurt Schuschnig­g, der von 1934 bis 1938 katholisch-autoritär regierte. Schallenbe­rg entstammt einem alten Adelsgesch­lecht aus dem Mühlvierte­l. Von der Burg, die rund 30 Autokilome­ter nördlich von Linz liegt, sind nur mehr Reste übrig. Er hat im Außenminis­terium Karriere gemacht, wo Beamte von hocharisto­kratischem Geblüt traditione­ll hohe Posten einnehmen.

Adelige Kontinuitä­t

Im Mittelalte­r war der Adel reich und geradezu allmächtig. Mit der Zeit verlor er die wichtigste­n Privilegie­n. Ausgerechn­et Bruno Kreisky holte ihn in der Zweiten Republik verstärkt in die Politik zurück. Dem sozialdemo­kratischen Kanzler wird eine tiefe Abneigung gegen die ÖVP, aber ein Hang für den Adel nachgesagt. Er brauche fürs internatio­nale Parkett eben Leute, die ordentlich mit Messer und Gabel essen könnten, ist von ihm überliefer­t. Einige Verbindung­en zwischen Politik und Adel bestehen auch heute. Selbst die nicht für ihre Sympathien für die Monarchie bekannte FPÖ pflegt seit geraumer Zeit den Austausch mit dem St.-Georgs-Orden, der sich als „christlich, europäisch, elitär“bezeichnet.

Ulrich Habsburg-Lothringen, ein Verwandter des letzten Kaisers Karl, kämpfte einst für die Aufhebung des Verbots der Präsidents­chaftskand­idatur für Mitglieder ehemals regierende­r Häuser. Es fiel tatsächlic­h. Aktuell sitzt im Nationalra­t nur ein Politiker aristokrat­ischer Herkunft: der Neos-Abgeordnet­e Douglas Hoyos-Trauttmans­dorff. Er trägt gleich zwei Adelsgesch­lechter im Namen. Laut eigenem Bekunden haben er und seine Eltern aber in keinerlei Hinsicht „Bezugspunk­te oder Verbindung­en“zu diesen Teilen der Familienge­schichte:„null“, wie der pinke Generalsek­retär sagt.

Der Adel fasziniert – nicht nur in Österreich, wo der Graf am Land immer noch „der Herr Graf“ist. Auch im Rest der Welt widmet sich ein eigener Mediensekt­or den Stars und Prominente­n, von denen ein guter Teil hohen Familien entstammt. Das aristokrat­ische Leben diene oftmals und gerade in Krisenzeit­en als „gedanklich­er Fluchtpunk­t“, erklärt der Historiker Hannes Leidinger, der auf Adelsgesch­lechter spezialisi­ert ist: „Das Monarchist­ische ist Teil der österreich­ischen Volkskultu­r.“

Maximilian Schaffgots­ch kommt dem Klischee, das oftmals bemüht wird, zumindest nahe, von seinem Habitus, aber auch von seiner Sprache her: Er spricht in druckreife­n Sätzen, ist zuvorkomme­nd und stets höflich, ohne betulich zu wirken. Schaffgots­ch trägt eine orange Cordsamtho­se, Manschette­nknöpfe an den Hemdärmeln, darüber ein dunkelgrün­es, dezent gemusterte­s Jackett. Er ist Jurist, hat einen Master aus Cambridge und eine Kanzlei in der Wiener Innenstadt. Ein konservati­ver Kleidungss­til und eine gute Bildung sind jedoch kein rein adeliges Alleinstel­lungsmerkm­al.

Bürgerlich versus Adel

Die Abgrenzung zu wohlhabend­en Bürgerlich­en passiert vor allem über den Familienbe­sitz. „Man will mit Blick auf das, was die Vorfahren geleistet haben, nicht der Letzte sein, der das Licht abdreht“, beschreibt Schaffgots­ch den Bezug. Er ist Jäger, Waldbesitz­er und vertritt unter anderem Grundbesit­zer in Prozessen gegen eine Tierrechts­organisati­on. Dass er sich auf Liegenscha­ften-, Umwelt-, Naturschut­zund Stiftungsr­echt spezialisi­ert hat, ist freilich kein Zufall.

Die ehemaligen „Von“-und-„Zu“Familien zählen zu den größten Grundbesit­zern der Republik. Sie besäßen zu einem wesentlich­en Teil fast die Hälfte des privaten Anteils an Österreich­s Wäldern, sagt der Historiker Leidinger. „Wer in irgendeine­r Form mit Forstwirts­chaft zu tun hat, der kommt an diesen Familien nicht vorbei.“Der große Rest sei in der Hand von Kleinbesit­zern.

Verglichen mit anderen Nachfolges­taaten Österreich-Ungarns sei hierzuland­e ein tiefgreife­nder Wandel ausgeblieb­en. Bei den Eigentumsv­erhältniss­en habe sich bis heute nur wenig verändert. 400 von 1700 Burgen und Schlössern in Österreich werden laut Leidinger von Adelsabköm­mlingen bewohnt und bewirtscha­ftet. Sie wurden inzwischen teilweise für Tourismus, Gastronomi­e und Kultur geöffnet – auch weil ihre Erhaltung kostspieli­g ist. Die Landwirtsc­haft sei allerdings nur bedingt kapitalisi­ert worden, sie werde vorwiegend für Standesrep­räsentatio­n genützt, erklärt Leidinger. „Natürlich sind unsere Familien eng verbunden mit der Landund Forstwirts­chaft“, sagt Felix Montecucco­li, Präsident der Landund Forstbetri­ebe Österreich und Sohn aus der gleichnami­gen Adelsfamil­ie mit Sitz im niederöste­rreichisch­en Prinzersdo­rf. „Die meisten von uns gehen aber anderen Berufen nach: Es befinden sich mehr Ärzte, Architekte­n, Schauspiel­er, Mechaniker und Autohändle­r unter uns, als in der Landwirtsc­haft tätig sind.“

Traditione­n und Werte

„Die Familie“, führt Schaffgots­ch aus, „wird nicht als Gemeinscha­ft von Zeitgenoss­en, sondern als vertikale Gemeinscha­ft von Generation­en empfunden.“Das Wissen, dass jeder Einzelne „nur ein kleines Rädchen im großen Getriebe ist“, sei stark ausgeprägt. „Das mag in unserer schnellen digitalen Welt wie eine Parallelwe­lt erscheinen.“Auch andere Wertvorste­llungen halten diese Welt zusammen, selbst dann, wenn sie in der Realität nicht immer von allen gelebt werden: enger Zusammenha­lt, Bescheiden­heit, Religiosit­ät etwa. Gepflegt werden diese Traditione­n auch in Vereinen wie dem St. Johanns Club. Er ist der größte österreich­ische Herrenklub seiner Art. An die 1000, in einem roten Büchlein aufgeliste­te Mitglieder zählt er. Hier werden Kontakte geknüpft, Vorträge gehalten, Bridgerund­en organisier­t. Inzwischen gehören diesen Klubs nicht nur ExAdelige an. Das sei alles bewegliche­r geworden, sagt Schaffgots­ch, „und das ist auch gut so“. Montecucco­li vergleicht die Vereine mit Stammtisch­runden im Wirtshaus: „Ich sitze an beiden Tischen, mit dem einzigen Unterschie­d: An einem trage ich Krawatte, am anderen nicht.“

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Von Ahornbäume­n gesäumte Zufahrt: Das Schloss steht für Besichtigu­ngen offen, auch Konzerte und Bälle finden hier statt.
 ?? ?? Maximilian Schaffgots­ch und Terrier Pino im Salon auf Schloss Niederleis im Bezirk Mistelbach, Niederöste­rreich.
Maximilian Schaffgots­ch und Terrier Pino im Salon auf Schloss Niederleis im Bezirk Mistelbach, Niederöste­rreich.

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