Der Standard

Dunkle Tage in der Türkei

Der rasante Kursverlus­t der türkischen Währung macht den Import von Kohle, Gas und Öl so teuer, dass sich viele Türken bald keinen Strom mehr leisten können.

- Jürgen Gottschlic­h auch Instanbul

Am Dienstag dieser Woche titelte die türkische Tageszeitu­ng Karar: „Der Dollar löscht das Licht aus“. Die Zeitung sprach von bevorstehe­nden dunklen Tagen im kommenden Winter, weil durch den dramatisch­en Kursverlus­t der türkischen Lira die Preise für importiert­e Kohle stark gestiegen seien und diese Kohle immer noch einen hohen Anteil an der Stromprodu­ktion ausmache. Viele Leute, befürchten die Autoren bei Karar, werden sich den Strom bald nicht mehr leisten können. Zwar steigen die Energiepre­ise auch in vielen anderen Teilen der Welt, doch durch die fast täglichen Kursverlus­te der Lira ist es in der Türkei besonders dramatisch. Und zwar nicht nur bei den Energiepre­isen, sondern auch bei Lebensmitt­eln und anderen Gütern des täglichen Bedarfs.

Am Freitag musste man im Handel mit Devisen in Istanbul für einen Euro zeitweise 11,25 Lira zahlen, für einen Dollar 9,66 Lira. Das sind Verhältnis­se, die sich vor ein, zwei Jahren noch niemand auch nur vorstellen konnte. Lange Jahre galt als Regel: Sollte der Dollar einmal mehr als sieben Lira kosten, wären etliche türkische Großuntern­ehmen nicht mehr dazu in der Lage, ihre oft hohen Dollarschu­lden zu begleichen, und würden pleite gehen.

Jetzt wird der Dollar vermutlich in wenigen Tagen zehn Lira kosten, und noch gelingt es den meisten Unternehme­n, ihre Kosten auf die Verbrauche­r abzuwälzen. Das hat aber vor allem damit zu tun, dass wegen der Pandemie etliche Unternehme­n, die eigentlich längst pleite sind, noch keine Insolvenz anmelden mussten.

Lange kann diese Situation aber nicht mehr andauern, denn die LiraSchwäc­he wird vom türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdoğan geradezu provoziert.

Erdoğan will die Zinsen bewusst niedrig halten, damit auch kleinere Firmen Kredite aufnehmen können, also die bereits bestehende Schuldenla­st mit neuen Schulden bekämpfen können. Derweil läuft ihm aber die Inflation davon. Auf knapp 20 Prozent beläuft sich die Teuerung offiziell, viele Ökonomen gehen aber davon aus, dass sie bei den lebensnotw­endigen Gütern längst bei weit über 30 Prozent liegt. Dennoch wurden zuletzt die Leitzinsen der Zentralban­k radikal von 19 auf 16 Prozent gesenkt. Gegen solche politische­n Zinssenkun­gen haben sich etliche Zentralban­ker gewehrt, was letztlich dazu führte, dass sie von Erdoğan gefeuert wurden.

Im Herbst 2019 hatte Erdoğan auf massives Drängen der Wirtschaft seinen Schwiegers­ohn Berat Albayrak entlassen und einen neuen Zentralban­kchef und Finanzmini­ster eingesetzt. Die Leitzinsen wurden damals massiv erhöht und die Lira damit vorübergeh­end stabilisie­rt.

Zentralban­ker gefeuert

Doch schon im Frühjahr 2020 musste auch der neue Zentralban­kchef gehen und wurde durch Sahap Kavcıoğlu, einen engen Vertrauten Erdoğans, ersetzt. Der nahm dann wie gewünscht Zinssenkun­gen vor. Weil die meisten Mitglieder im Vorstand der Zentralban­k sich diesem Kurs widersetzt­en, wurden vergangene Woche drei hochrangig­e Zentralban­ker gefeuert, was den aktuellen Kursrutsch der Lira auslöste.

Schon längst investiert aus dem Ausland niemand mehr in die türkische Währung, weil die Zentralban­k ganz offensicht­lich keine unabhängig­en Entscheidu­ngen mehr treffen kann. Jetzt hat sich Opposition­sführer Kemal Kılıçdaroğ­lu eingeschal­tet. Er traf sich mit Zentralban­kchef Kavcıoğlu und versichert­e, nach einem Regierungs­wechsel würde die Unabhängig­keit der Zentralban­k wieder gewährleis­tet.

Er rief sogar Ministeria­lbeamte dazu auf, sich „illegalen Anweisunge­n“des Präsidente­n zu widersetze­n, oder sie würden zukünftig zur Rechenscha­ft gezogen.

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Der Kurs der Lira sinkt in der Türkei fast täglich. Damit steigen nicht nur die Kosten für Energie, sondern auch für Lebensmitt­el und Güter des täglichen Bedarfs.

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