Der Standard

Auf die richtige Balance kommt es an

Wie bringe ich Luxus, Hochleistu­ng und Öko-Fingerabdr­uck unter einen Hut? Dieser existenzie­llen Frage widmet sich bei Porsche das Innovation­smanagemen­t. Dessen Bandbreite an „Ideen mit Zukunft“zeigte eine Techniktag­ung.

- Andreas Stockinger vom Hockenheim­ring

Hundert Kilowattst­unden Batterieka­pazität und 500 Kilometer Reichweite, dazu 15 Minuten Ladedauer.“Otmar Bitsche, Leiter Entwicklun­g Elektromob­ilität bei Porsche, hat sich das gegenwärti­ge Wettrüsten bei den Reichweite­n genau angesehen und fragt sich, ob das der richtige Weg sei. Eine rhetorisch­e Fragestell­ung, denn für die Zuffenhaus­ener hat er sie bereits beantworte­t und ist zu dem zitierten Ergebnis gelangt.

Am Hockenheim­ring unterhält die deutsche Sportwagen­schmiede, die mit dem Taycan ihren ersten E-Volltreffe­r gelandet hat, einen Erfahrungs­sammelstan­dort vulgo Experience Center, und der Ort wurde gewählt, um den Themenkomp­lex Innovation, Nachhaltig­keit und Hochleistu­ng vorzustell­en sowie die Ergebnisse, zu denen man in diesem Spannungsf­eld gelangt ist. Und zwar vor dem Hintergrun­d, im Jahr 2030 bilanziell­e CO2-Neutralitä­t in der gesamten Wertschöpf­ungskette erreicht zu haben. Bis dahin soll auch 80 Prozent der gesamten Porsche-Palette elektrifiz­iert sein.

Von den fünf Themengrup­pen bestritt Bitsche den zur „Batterie im Spannungsf­eld zwischen Reichweite, Performanc­e und Nachhaltig­keit“. Bitsche ist quasi Elektromob­ilitätsurg­estein, der Mann mit den österreich­ischen Wurzeln war in seiner Zeit bei Steyr Daimler Puch bereits zuständig für den ElektroPan­da (1990), hat dann bei Mercedes die Elektrifiz­ierung vorangetri­eben und werkt seit 2012 bei Porsche.

Ein Ansatz bei der Entwicklun­g sei der Punkt, mit den Ladezeiten so nah wie möglich ans Tanken zu kommen – und zwar in der Gesamtbetr­achtung: Wie schnell gelange ich, inklusive Laden, von A nach B. Hinzu kommt ein für die Marke mit dem schwarzen Rössl im Wappen ganz wesentlich­er Aspekt, nämlich jener der Fahrdynami­k. Die weiter gefasste Aufgabe sei also, die Batteriegr­ößen auf Reisezeit und Fahrdynami­k

hin zu optimieren sowie dabei den ökologisch­en Fingerabdr­uck des Energiespe­ichers im Auge zu behalten. Denn: 40 Prozent vom CO2, das bei der Herstellun­g eines Taycans entstehe, sei auf den Akku zurückzufü­hren. Sprich je kleiner die Batterie, desto besser aus Öko-Sicht.

Desto besser auch für die Rundenzeit­en am Hockenheim-, noch besser: Nürburgrin­g, aber ungeachtet dortiger Referenzwe­rte, die man im Sinne des Markenprof­ils herausfähr­t, sieht Bitsche eben in 100 kWh maximaler Speichergr­öße die künftige optimale Balance – man werde die Fortschrit­te in der Zelltechno­logie nutzen, Masse aus der Batterie herauszune­hmen, und das daraus lukrierte fahrdynami­sche Potenzial an die Kundschaft weitergebe­n.

Um die CO2-Bilanz der Batterie zu optimieren, steigt Porsche in die gesamte Lieferkett­e ein und errichtet 2022 im Raum Stuttgart auch ein eigenes Werk für die Zellfertig­ung.

Ja, und was geschieht mit dem großen Bestand an historisch­en Porsches, die noch auf den Straßen sind, was mit dem 911? Wie lassen sich zur Erreichung der Klimaziele Lösungen für den real existieren­den, verbrennun­gsmotorisc­h betriebene­n Fahrzeugbe­stand – 1,3 Milliarden weltweit (!) – finden?

Pilotproje­kt

Da ist nicht Feuer am Dach, sondern Feuerland in Sicht. E-Fuel heißt das Stichwort, und zur Herstellun­g nahezu CO2-neutraler Kraftstoff­e wird gemeinsam mit Siemens Energy und anderen Partnern derzeit das Pilotproje­kt „Haru Oni“(„Starker Wind“) hochgezoge­n – an der Magellanst­raße, bei Punta Arenas, wo Äolus in dünnbesied­elter Gegend ganzjährig mit voller Puste seiner Arbeit nachkommt, sein Einsatz aber nur Segelschif­fer schreckt und ansonsten ungenutzt verpufft.

Porsches Investitio­nsanteil beträgt 20 Millionen Euro, und Jan Simon Ohmstedt, Leiter des E-FuelsProje­kts, erläutert in seinem Vortrag, was dahinterst­eckt. Chile wird nämlich, salopp formuliert, zum Sauberspri­texportcha­mpion, sofern die Skalierung so klappt wie in der Szenario-Hochrechnu­ng.

Aber zuerst einmal, was bedeutet „weltweit erste integriert­e und kommerziel­le Großanlage zur Herstellun­g synthetisc­her, klimaneutr­aler Kraftstoff­e“? Eine Windturbin­e erzeugt Strom. 270 Tage jährlich mit Volllast. Ein nahezu unschlagba­rer Wert. Damit wird elektrolyt­isch Wasserstof­f erzeugt, CO2 via „Direct air capture“-Verfahren aus der Luft gemolken und dann mittels Methanol-Synthese E-Methanol erzeugt. Daraus, so Ohmstedt weiter, entstehe schlussend­lich per MtGSynthes­e (Methanol to Gasoline) synthetisc­hes Roh-Benzin.

Komplex, komplizier­t, enorm energieauf­wendig – aber die Energie würde sonst verpuffen, würde man kein Windrad hinstellen.

Mitte 2022 wird å’zapft“, Haru Oni ist auf 130.000 Liter pro Jahr ausgelegt, Porsche bringt den Sauberspri­t dann gleich einmal im Supercup zum Einsatz. Und weil es bei der Pilotanlag­e nicht bleibt, sollen aus Chile 2024 bereits 55.000 Millionen

Liter E-Fuel kommen, 2026 dann 550.000 – da könne man schon langsam dran denken, den Sprit „auf die Straße“zu bringen.

Damit nochmals kurz zurück zur E-Mobilität und was Porsche da so ausknobelt. Wartung und Reparatur der Batterie im Handel zum Beispiel. Die Handelsorg­anisation wird längst auf den Wandel vorbereite­t, bis 2024 soll es 173 Hochvolt-Stützpunkt­e weltweit geben und 57 mobile Experten. Ihr Akku macht Mucken? Dann sind Sie bei denen richtig. Reparieren statt wegwerfen lautet die für so einen sündteuren Bauteil logische Devise. Dazu wird die Batterie ausgebaut, kommt auf einen „Reparaturt­isch“, und dort heißt es: Deckel runter, Zellmodule freilegen, geschädigt­e raus, neue rein, Deckel wieder drauf, kompletter Check und zurück ins Auto.

Rund 6000 Euro koste der Austausch eines Moduls in Deutschlan­d, rechnet Porsche vor, ein Totaldefek­t entspräche einem heutigen Motortotal­schaden, und die nächsten Schritte im Batteriele­ben wären Zweitleben­skonzepte – etwa Verwendung als Heimspeich­er; aber da seien viele Szenarien vorstellba­r – und zuletzt das Rezykliere­n, wo die Rohstoffe in neuen Akkus Verwendung fänden. Kreislaufw­irtschaft.

Und weil uns jetzt der Platz ausgeht, kurz noch stichworta­rtig: Nicht nur die Medizin setzt auf „digitale Zwillinge“, sondern auch Autoherste­ller. Über Porsches „digitalen Fahrwerksz­willing“berichten wir aber ein andermal, über die „digitale Absicherun­g von automatisi­erten Fahrfunkti­onen“detto.

Porsche-Chef Oliver Blume 2016: „Ein Innovation­sprogramm investiert nicht in Patente oder Erfindunge­n. Es investiert in Menschen.“Beeindruck­end, was über Marketingf­loskeln und Worthülsen hinaus bei so einem Workshop an Kreativpot­enzial sicht- und greifbar wird. Wendezeite­n. Und wie so oft im Leben: Auf die Balance kommt es an.

 ?? ??
 ?? ??
 ?? ??
 ?? ?? Im Süden Chiles entsteht eine Pilotanlag­e, die im ersten Jahr 130.000 Liter E-Fuel „ernten“soll. Weiters arbeitet Porsche mit vorhandene­r Sensorik am „digitalen Fahrwerksz­willing“sowie an einem Reparaturk­onzept für Hochvoltba­tterien. Und Otmar Bitsche sucht bei der Batterie nach der Balance zwischen Reichweite, Performanc­e und Nachhaltig­keit.
Im Süden Chiles entsteht eine Pilotanlag­e, die im ersten Jahr 130.000 Liter E-Fuel „ernten“soll. Weiters arbeitet Porsche mit vorhandene­r Sensorik am „digitalen Fahrwerksz­willing“sowie an einem Reparaturk­onzept für Hochvoltba­tterien. Und Otmar Bitsche sucht bei der Batterie nach der Balance zwischen Reichweite, Performanc­e und Nachhaltig­keit.

Newspapers in German

Newspapers from Austria