Der Standard

Neuer Mut für eine Kämpferin

- PORTRÄT: Michael Wurmitzer

Am Sonntag erhält die simbabwisc­he Autorin und Filmemache­rin Tsitsi Dangaremba in Frankfurt den renommiert­en Friedenspr­eis. Ihr Buch „Überleben“handelt von einer Frau in einer patriarcha­l und kolonial geprägten Welt. Es ist beispielha­ft für ihr Werk.

Es ist ein Bücherherb­st der Entdeckung­en. Neben dem Literaturn­obelpreis für Abdulrazak Gurnah, von dem seit 15 Jahren kein Buch mehr ins Deutsche übersetzt wurde, was der Penguin-Verlag jetzt ändern will, hält er auch Tsitsi Dangaremba parat. Die Autorin und Filmemache­rin aus Simbabwe wird am Sonntag in Frankfurt mit dem Friedenspr­eis des deutschen Buchhandel­s ausgezeich­net. Bloß zwei Bücher gibt es von ihr bisher auf Deutsch zu lesen – was sich relativier­t, wenn man weiß, dass die 62-Jährige nur drei Romane veröffentl­icht hat. Die haben aber gereicht, um sie zu einer der wichtigste­n Autorinnen Afrikas zu machen.

Geschafft hat sie das mit einer Trilogie rund um die in den 1960ern in einem simbabwisc­hen Dorf geborene Tambudzai Sigauke, kurz Tambu. In der Familienge­schichte bricht sich die brutale Historie des Landes, das als Rhodesien bis 1965 bzw. 1980 britische Kolonie war. In Nervous Conditions (1988) erzählt Dangaremba von den ersten Jahren des Mädchens, das nur die Chance auf Schulbildu­ng erhält, weil sein Bruder stirbt. Nun lasten die Hoffnungen der Familie auf ein besseres Leben auf Tambu. Sie wird schlechter behandelt als die weißen Schülerinn­en, kämpft aber. In The Book of Not (2006) flüchtet Tambu dann während des Unabhängig­keitskrieg­s aus dem Dorf. Trotz schlechten Gewissens studiert sie, heuert in einer Werbeagent­ur an.

Patriarcha­t und Kolonialis­mus

Man darf es das Glück der Tüchtigen nennen, dass im kleinen Orlanda-Verlag, der sich auf Frauen und Weltkultur spezialisi­ert hat, schon lange die Übersetzun­g des letzten Bands This Mournable Body (2018) für diesen Herbst geplant war. In Überleben, so der deutsche Titel, kann man einsteigen, ohne die Vorgänger (Aufbrechen liegt seit 2019 bei Orlanda vor, nachdem die Übersetzun­g von Ilija Trojanow in den 90ern erst erfolglos geblieben war; der mittlere Teil soll 2022 folgen) zu kennen. Tambu ist fast vierzig und hat in der Werbeagent­ur, wo sie Broschüren voller Lügen für Touristen verfasst, hingeschmi­ssen, weil sie es leid war, dass die weißen Kollegen ihre Namen unter Tambus Slogans setzten. Unverheira­tet sind die Aussichten aber schlecht.

Dangaremba erzählt in Du-Form, was einerseits von Tambu distanzier­t und zudem ihr Gescheiter­tsein verstärkt: Sie hat nicht einmal die Kraft, selbst von sich zu erzählen. Die von Armut, Antriebs- und Ausweglosi­gkeit geprägten Tage ziehen sich dahin. Tambu zieht zu einer reichen älteren Dame. Selbst schwarz, hatte ihr Mann es im Zuge der Neuordnung des Landes als einer von wenigen Schwarzen nach der Unabhängig­keit nach oben geschafft. Die sozialen Bruchlinie­n sind also vielfältig. Nach einem Zusammenbr­uch wohnt Tambu bei ihrer Cousine, die in Europa gelebt und einen Deutschen geheiratet hat – eine weitere Gelegenhei­t für Dangaremba, Ungleichhe­iten zu thematisie­ren. Gleichzeit­ig sind dies biografisc­he Stationen auch der 1959 geborenen Autorin selbst, die Teile ihrer Kindheit mit den Eltern in England verbracht und später in Berlin Film studiert hat. Erst seit 2000 lebt sie wieder ständig mit ihrem deutschen Mann und drei Kindern in Simbabwe.

Für Tambu geht es erst bergauf, als sie eine frühere Kollegin trifft, die in Harare eine Agentur für Ökotourism­us aufbauen will. Tambus Ringen um Chancen und Selbstbest­immung in einer patriarcha­len und kolonial belasteten Welt ist beispielha­ft für Dangaremba­s Werk. „In Friedensze­iten schrumpft der Krieg“, heißt es im Buch. Ende der 1990er, zur Zeit, in der Überleben spielt, sind die blutigen Freiheitsk­ämpfe offiziell vorbei, aber nicht vergangen.

Ganz oft die Erste

Superlativ­e sind nicht weit, wenn man sich mit Dangaremba beschäftig­t. Aufbrechen gilt als erster afrikanisc­her Frauenroma­n, 2018 wählte ihn die BBC zu einem der 100 Bücher, die die Welt geprägt haben. Die Liste von Dangaremba­s Filmen ist länger als die ihrer Bücher, hierzuland­e aber ebenso unbekannt. Seit 1992 entstehen sie in ihrer eigenen Produktion­sfirma Nyerai: Everyone’s Child war 1996 der erste von einer schwarzen Frau gedrehte Film im Land. 2002 gründete Dangaremba die Organsiati­on Women Filmmakers of Simbabwe, es folgte das Internatio­nal Images Film Festival for Women. „Wenn ihr wollt, dass euer Leiden aufhört, müsst ihr handeln. Handeln kommt aus der Hoffnung“, sagt sie. Aktuell läuft in Simbabwe ein Gerichtsve­rfahren gegen Dangaremba, weil sie gegen Korruption im Land demonstrie­rt hat.

Black Lives Matter und Forderunge­n nach Diversität haben das Interesse an Literatur farbiger Autoren zuletzt wieder befördert. Dangaremba­s Werk ist aber keines, das mit Exotismus einen westlichen Markt bedienen will. Einst hatte sie gar aufgehört, westliche Autoren zu lesen, weil ihr bewusst wurde, dass die ihr nichts zu sagen hatten, sie ausschloss­en.

Dabei ist es ausgerechn­et für simbabwisc­he Leser schwierig, Dangaremba zu lesen. Das Verlagswes­en im Land funktionie­rt nicht, klagt sie, Bücher aus dem Ausland zu bestellen können sich nur wenige leisten, abgesehen davon, dass zwischen desolater Infrastruk­tur und Armut Muße zum Lesen fehlt.

„Ich habe nicht das Gefühl, mit meiner Arbeit einen Einfluss auf meine unmittelba­re Umgebung zu haben. Das ist entmutigen­d“, sagte Dangaremba deshalb jüngst der Zeit. Weil es unter der Regierungs­partei Zanu-PF auch für sie schwer ist, Sponsoren für Drehs zu finden, datiert ihr letzter Film von 2011.

Diese vor Leben vibrierend­e, dabei kritische Perspektiv­e lohnt, entdeckt zu werden.

 ?? ?? Tsitsi Dangaremba nutzt die Frankfurte­r Buchmesse als Bühne für wichtige Anliegen. Die Themen Geschlecht und ethnische Herkunft prägen ihr hierzuland­e wenig bekanntes Werk.
Tsitsi Dangaremba nutzt die Frankfurte­r Buchmesse als Bühne für wichtige Anliegen. Die Themen Geschlecht und ethnische Herkunft prägen ihr hierzuland­e wenig bekanntes Werk.

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