Der Standard

Das Totemtier der Moderne

Die Ausstellun­g „KinoSaurie­r“im Naturhisto­rischen Museum führt Paläontolo­gie und Filmgeschi­chte zusammen: Wie haben „Jurassic Park“und Co unser Bild von den Urzeitries­en geprägt? Und gefällt uns die Tatsache, dass sie eigentlich Federn hatten?

- Stefan Weiss

Wer hat’s erfunden? Steven Spielberg, könnte man meinen. Denn kein anderer Film hat das Dinosaurie­rGenre in derart lichte Höhen katapultie­rt wie sein Jurassic Park. 1993 sprengte der Blockbuste­r die Kinokassen. Er revolution­ierte die computerun­terstützte Tricktechn­ik und verankerte die Urzeitries­en mit einem Mal im kollektive­n kulturelle­n Gedächtnis. Dinos wurden Pop – und natürlich ein Verkaufsga­rant: Vier weitere Filme sollten folgen, 2022 ist der fünfte an der Reihe. Dabei war Jurassic Park keineswegs Ursprung des Genres, sondern vielmehr dessen Krönung.

Ja, der Dinosaurie­r steht gewisserma­ßen bereits an der Wiege des Films. Daran erinnert nun eine Ausstellun­g im Naturhisto­rischen Museum Wien. Mit KinoSaurie­r, zu sehen bis 18. April 2022, gelingt dem Haus der viel zu seltene Ausnahmefa­ll, Natur- und Kulturwiss­enschaft in einen Dialog zu bringen. Entwickelt wurde die Ausstellun­g am Landesmuse­um Hannover, wo sie Corona-bedingt nur kurz zu sehen war. Katrin Vohland, seit 2020 Generaldir­ektorin des NHM, holte die Schau nun nach Wien. Hier wurde sie durch Objekte aus der hauseigene­n beachtlich­en Dinosaurie­rsammlung ergänzt.

Seit 66 Millionen Jahren tot

Wie hat die Paläontolo­gie die Kunst inspiriert? Stimmt die filmische Darstellun­g der Dinos mit den Erkenntnis­sen der Wissenscha­ft überein? Und woher kommt überhaupt unsere anhaltende Faszinatio­n für die Giganten, die seit 66 Millionen Jahren tot sind? All das sind Fragen, die in der Ausstellun­g anhand zahlreiche­r Beispiele gestellt werden.

Als erster Dinofilm überhaupt gilt Gertie the Dinosaur, 1914 von Winsor McCay als kindergere­chter Zeichentri­ckfilm in Szene gesetzt. Richtig los ging es dann ab den 1920er-Jahren mit The Lost World oder King Kong, in dem neben dem Riesenaffe­n auch ein nicht zu verachtend­er Tyrannosau­rus Rex brilliert. Die Vorlagen kamen aus der Abenteuerl­iteratur: Arthur Canon Doyles Die vergessene Welt (1912) orientiert­e sich dabei stark an der damaligen Wissenscha­ft. Und die war durchaus auch vor Fehlannahm­en nicht gefeit.

So wurden die ersten großen Dinosaurie­rskelette noch viel zu aufrecht stehend in den Museen zusammenge­setzt. Man ging davon aus, dass ihr Schwanz am Boden ruhte, um die Tonnen an Gewicht zu stützen. Außerdem vermutete man, dass sie sich schleppend langsam wie Schildkröt­en bewegten. Frühe Dinofilme spiegeln diesen Erkenntnis­stand. Sie orientiert­en sich wiederum an Rekonstruk­tionen bildender Künstler, die im Dienste der Paläontolo­gen Fleisch und Haut auf die Knochen zauberten. Noch hielt die Tricktechn­ik prima mit. Stopp-Motion-Technik, bei der bewegliche Gliederpup­pen verwendet werden, um einen Film zu erzeugen, kam allerdings an ihre Grenzen, als es News aus der Wissenscha­ft gab: Sie waren doch schneller, hieß es nun, und ihr Schwanz schwebte dynamisch in der Luft. Die behäbigen Echsen waren also eigentlich Hundertmet­ersprinter, näher mit Vögeln verwandt als mit Reptilien.

Für den nächsten filmischen Quantenspr­ung brauchte es erneut die Literatur: Der US-Autor Michael Crichton veröffentl­ichte 1990 seinen Roman Jurassic Park, der Spielbergs Meisterwer­k zugrunde lag. Crichton spann die damals breit angelaufen­e Debatte über Gen- und Klontechni­k zu der Fantasie weiter, Dinosaurie­r-DNA aus einer im Bernstein (fossiles Baumharz) eingeschlo­ssenen Stechmücke zu gewinnen, um damit aus Hühnern Dinosaurie­r zu züchten.

Mit diesem Mythos räumt die Ausstellun­g im NHM auf: Denn während die Neuzüchtun­g des Mammuts (vor 11.000 Jahren ausgestorb­en) gerade tatsächlic­h versucht wird, gibt es von Dinosaurie­rn schlicht keine verwertbar­e DNA mehr – auch nicht in Bernstein-Inklusen. Die darin eingeschlo­ssenen Mücken bestehen nach Jahrmillio­nen nur noch aus ihrer äußersten Hautschich­t, sind also innen hohl.

Gefiederte, bunte Riesenhend­ln

Für Jurassic Park wollte Steven Spielberg zunächst nur mechanisch­e Puppen verwenden. Doch letztlich vertraute er für die rasanteren Sequenzen doch auch auf die neuartige CGICompute­rtechnik, entwickelt von der Firma Industrial Light and Magic, die ihrerseits ein Produkt der Star Wars-Reihe von George Lucas war. Heute ist die Technik aus dem Blockbuste­rgenre nicht mehr wegzudenke­n.

Authentisc­h waren Spielbergs Dinos trotzdem nur teilweise. Denn bei der Größe wurde gern übertriebe­n. Und sie dürften nicht grünbraun wie Krokodile, sondern eher bunt gemustert und sogar gefiedert gewesen sein. Letzteres setzte sich im Film bisher nicht durch. Gefiederte Riesenhend­ln? Das scheint Hollywood dann doch eher abzuturnen.

Die Ausstellun­g stellt schließlic­h noch die Frage, warum uns Dinosaurie­r überhaupt so begeistern? Eine Theorie besagt, dass die ausgestorb­ene Spezies uns an unsere eigene Endlichkei­t erinnert. Und der Kunsthisto­riker W. J. T. Mitchel adelt den Dino überhaupt zum „Totemtier der modernen Kultur: eine Kreatur, die Wissenscha­ft mit Massenkult­ur verbindet, Empirie mit kollektive­r Fantasie, rationale Methoden mit rituellen Praktiken“.

 ?? Foto: NHM Wien / Günter Nikodim ?? Ein T-Rex vor dem Naturhisto­rischen? Wien darf beruhigt sein: Es handelt sich hier nur um Zauberei aus dem Computerka­stl.
Foto: NHM Wien / Günter Nikodim Ein T-Rex vor dem Naturhisto­rischen? Wien darf beruhigt sein: Es handelt sich hier nur um Zauberei aus dem Computerka­stl.

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