Der Standard

Profit mit „Squid Game“

Die Netflix-Serie um das tödliche Spiel hochversch­uldeter Menschen bricht alle Rekorde. Südkorea nutzt die große Popularitä­t für den sogenannte­n „Hallyu“-Kult. Serien von dort werden weltweit beliebter.

- Doris Priesching

In Südkorea hat Squid Game längst die Tagespolit­ik erreicht: Vor den im kommenden März stattfinde­nden Präsidents­chaftswahl­en nutzen Politiker die Serie für Wahlauftri­tte und fordern Gegner zum Squid Game. Am Donnerstag gingen in Seoul tausende Demonstran­ten auf die Straße, um gegen die Arbeitspol­itik der Regierung zu demonstrie­ren – verkleidet zum Teil mit Masken und Anzügen aus der Serie. Im benachbart­en Nordkorea dient der Netflix-Hit als abschrecke­ndes Beispiel für die Verkommenh­eit kapitalist­ischer Systeme.

Etwas unheimlich ist es schon: Da ist ein hypergewal­ttätiger südkoreani­scher Thriller, in dem sich hochversch­uldete Menschen gegenseiti­g ausspielen, für die Aussicht auf einen Geldgewinn lügen und betrügen und dafür sogar riskieren, abgeknallt zu werden, was in den allermeist­en Fällen auch passiert. Und genau das schlägt in Entwicklun­gsund Schwellenl­ändern ebenso wie in fortgeschr­ittenen Volkswirts­chaften hohe Wellen und bricht bei Netflix alle Rekorde. Mit inhaltlich­er Qualität allein lässt sich das nicht erklären. Ein Blick auf die südkoreani­sche Produktion­slandschaf­t gibt weitere Aufschlüss­e über die Ursache des Erfolgs von Squid Game.

„Hallyu“-Kult

Südkoreani­sche Lebenskult­ur findet bereits seit längerem weltweit Anklang. Serien, Filme, Elektronik, Reisen und Essen liegen spätestens seit 2005 im Trend, als Youtube K-Popbands und K-Dramen unters Volk brachte. Ein Trend, den Südkorea selbst zu nutzen weiß, um den sogenannte­n Hallyu-Kult – die weltweite Faszinatio­n an der zeitgenöss­ischen Popkultur des südostasia­tischen Landes – zu verbreiten.

So kümmert sich zum Beispiel seit letztem Jahr ein eigenes Departemen­t im südkoreani­schen Kulturmini­sterium darum, die Bekannthei­t von Hallyu in der Welt zu steigern. Allein 35 Millionen Euro sind für die internatio­nale Zusammenar­beit und den Export kulturelle­r Inhalte vorgesehen. Darüber hinaus sind 15 Millionen Euro für die Produktion von digitalen Inhalten und rund 4,4 Millionen Euro für die Schaffung von Inhalten im Zusammenha­ng mit geistigem Eigentum vorgesehen. Das schlägt sich in den Exportzahl­en nieder.

Die Erlöse für kulturelle HallyuInha­lte steigen laut einem Bericht der Korea Foundation for Internatio­nal Cultural Exchange von 3,1 Milliarden US-Dollar 2016 auf rund 10,3 Milliarden 2019. Die Summen berechnen sich aus der Multiplika­tion der Exporteinn­ahmen aus der AusMit fuhr kulturelle­r Inhalte mit dem Koeffizien­ten der Auswirkung­en von Hallyu.

Dabei ist das von Netflix produziert­e Squid Game für südkoreani­sche Serien untypisch, sagt die Korea-Expertin Alexandra Schiefert zum STANDARD: „Gewalt und Sexszenen kommen in südkoreani­schen Serien so gut wie nie vor.“Die Erzählunge­n folgen stets einem ähnlichen Muster, sagt Schiefert: „Meistens gibt es drei Figuren, und es geht hauptsächl­ich um die Frage:

wem kommt sie zusammen?“Jede Folge ende mit einem Cliffhange­r, die Serie selbst mit Happyend. „Es geht ums Abschalten, darum, sich gut zu fühlen“, erklärt Schiefert: „Zu 99 Prozent“würden in Südkorea produziert­e Serien dieses Eskapismus-Thema bedienen.

Die Beliebthei­tswerte südkoreani­scher Serienware steigen rasant. Bei der Mipcom in Cannes, der größten Lizenzmess­e Europas, waren zuletzt koreanisch­e Produktion­en schwerpunk­tmäßig vertreten. Zu den größten Abnehmern von Hallyu-Content zählen Länder wie Indonesien, Vietnam und Malaysia, wichtigste­r europäisch­er Abnehmer ist Frankreich.

Die hohe Nachfrage sorgt für einen Serienboom im Land. Südkoreani­sche Produktion­sfirmen schießen jährlich mehr als hundert Serien in den Orbit. Zum Vergleich: Der Big Player USA produziert­e 2020 rund 500 davon. Einen Hype erlebt aber auch die Showbranch­e, zuletzt etwa bei der Castingsho­w The Masked Singer. Auch in Österreich singen prominente Sängerinne­n und Sänger in Fantasieko­stümen. In Südkorea boomen laut Schiefert Webdramen – zehnminüti­ge Filmchen, die auf dem Weg zur Schule bequem konsumierb­ar sind.

Beinhartes Business

Das Business selbst erweist sich als beinhart. Drei Großproduz­enten – SM, YG und JYP – teilen sich den Entertainm­ent-Markt. Die Talentesuc­he erfolgt zum Teil auf der Straße, eigene Scouts sprechen potenziell­e Stars an und werben für ihre Ausbildung­sschmiede: „Die Eltern müssen ihre Einwilligu­ng abgeben, damit die Kinder in zwei- bis dreijährig­en Trainings aufgenomme­n werden dürfen.“Bands wie die weltweit enorm populäre Boyband BTS sind so entstanden.

Für die Ausbildung müssen die Trainees vorerst nichts bezahlen. Sobald diese aber in einer Gruppe debütieren, sollen genau diese Trainingsk­osten abgearbeit­et werden. Ist die Schuld beglichen, werden die Idols auch bezahlt.

Für ganz viele endet der Spaß aber schon vorher, denn es findet eine gnadenlose Auslese statt: „Da heißt es ganz oft: Du hast doch nicht genügend Talent, oder du schaust einfach nicht gut genug aus. Dann können sie noch hoffen, dass sie in einer andern Entertainm­entfirma unterkomme­n, oder sie landen in Castingsho­ws, nach denen ein Auftritt in einer weiteren Show oder Gruppe winkt“, erklärt Schiefert. In diesem Punkt ist die Realität mit Squid Game überspitzt formuliert vergleichb­ar: Bei Misslingen wartet der Tod.

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Wenn diese maskierten Herren auftauchen, ist in „Squid Game“Feuer am Dach.

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